Als noch Kohle und Stahl das Gesicht des Ruhrgebiets prägten, war der Himmel zwischen Duisburg und Dortmund nur selten blau. Seitdem hat sich die Luft im Ruhrpott verändert. Besonders sauber ist sie aber heute immer noch nicht.
Er liegt in der Luft. Man kann ihn weder riechen, weder schmecken, noch sehen. Und doch ist er eine Gefahr für unsere Gesundheit: der Feinstaub. Unbewusst gelangt er beim Einatmen in unseren Körper – mit weitreichenden Folgen. Feinstaub ist überall. So auch an der Recklinghauser Straße in Herne. Die vielbefahrene Straße führt über den Rhein-Herne-Kanal auf die Autobahn 42. Zu Stoßzeiten kommt es auf der vierspurigen Strecke häufig zu Verkehrsbehinderungen und Stau. Im vergangenen Jahr fand man hier die höchste Konzentration an Feinstaub in Nordrhein-Westfalen und die zweithöchste in ganz Deutschland.
Feinstaub ist ein Gemisch fester und flüssiger Partikel, die für das menschliche Auge unsichtbar sind. Diese Teilchen entstehen beispielsweise durch Verbrennungsprozesse in Motoren, bei der Metall- und Stahlerzeugung, oder durch Holzöfen in Wohnhäusern. Aber auch beim Abrieb von Autobremsen gelangt Feinstaub in die Luft; ebenso durch Aufwirbelungen von Staub auf der Straßenoberfläche. Von Feinstaub sprechen Experten ab einer Größe von weniger als zehn Mikrometer (PM10). Zum Vergleich: In einem millimetergroßen Staubkorn passen mehr als eine Million solcher „Particulate Matters“ (PM). Das erklärt, warum diese Teilchen problemlos in die Nasenhöhle und Luftröhre des Menschen eindringen können. Noch kleinere Partikel (PM2,5) sind in der Lage, sich in die Bronchien und Lungenbläschen festzusetzen. Ultrafeine Partikel mit einem Durchmesser von weniger als 0,0001 Millimeter gelangen sogar über das Lungengewebe in unseren Blutkreislauf.
Europaweite Grenzwerte für Feinstaub
Ob die Partikel gesundheitsgefährdend sind, hängt von ihrer chemischen Zusammensetzung ab. Am schädlichsten gelten kleinste Rußpartikel, die giftige Schwermetalle mit sich tragen. Die Auswirkungen auf unsere Gesundheit sind vielschichtig: Sie reichen von Hustenanfällen, Entzündungen der Lunge und Atemwege, bis hin zu Herzkreislauferkrankungen. Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat ausgerechnet, dass sich die Lebenserwartung der Europäer aufgrund der Feinstaubbelastung durch PM2,5 um knapp neun Monate verringert. Zum Schutz der menschlichen Gesundheit hat die Europäische Union im Jahr 2005 bestimmte Grenzwerte für Feinstaub festgelegt, die auch in Deutschland gültig sind. So darf beispielsweise die Konzentration an PM10 über das Jahr gemittelt nicht mehr als 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft betragen (µg/m3). Doch damit nicht genug: Zusätzlich dazu gibt es einen Tageswert, der höchstens an 35 Tagen im Jahr überschritten werden darf.

Die Luft wird in das Messgerät eingesaugt. Der Feinstaub setzt sich auf dem Laufband ab. Foto: LANUV
Die Entscheidung, genau diese Werte festzusetzen, ist nicht für jeden nachvollziehbar. Die eingeführten Grenzwerte sind aus einem Kompromiss entstanden, weiß Alfred Wiedensohler vom Leibniz-Institut für Troposphärenforschung: „Man hat versucht einen Grenzwert zu finden, der ökonomisch machbar ist und trotzdem dem Gesundheitsschutz entspricht.“ In Nordrhein-Westfalen kontrolliert das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (LANUV), ob die Richtlinien auch eingehalten werden. An 67 Stellen quer über NRW verteilt, misst es die Feinstaubkonzentration. Die Brackeler Straße in Dortmund gehört zu diesen Messpunkten. Nahezu unscheinbar steht dort in einer Parklücke am Straßenrand ein beiger Container. Im Inneren untersucht eine Messvorrichtung stündlich die Menge an Feinstaubpartikeln in der Luft. Das LANUV wertet die Daten am Ende des Tages aus und stellt sie auf seiner Internetseite der Öffentlichkeit zu Verfügung. Die Messergebnisse sind wenig erfreulich. Zwar konnte im Jahr 2012 an allen untersuchten Orten die vorgeschriebene Jahresmittelkonzentration für PM10 eingehalten werden, an manchen Stationen lagen die Tagesmesswerte jedoch deutlich häufiger über dem Grenzwert als erlaubt. An der Kurt-Schumacher-Straße in Gelsenkirchen verzeichneten Wissenschaftler des LANUV an 51 Tagen Feinstaubmengen von über 50 µg/m3. Spitzenreiter ist die besagte Recklinghauser Straße in Herne mit insgesamt 58 Überschreitungstagen.
Ruhrgebiet besonders betroffen
Von den insgesamt elf deutschen Standorten mit erhöhten Grenzwerten befinden sich mehr als die Hälfte in Nordrhein-Westfalen, genauer gesagt im Ruhrgebiet – ein Zufall? Wohl kaum, findet Ute Dauert, die die Luftqualität in Deutschland für das Umweltbundesamt bewertet. „Die Besonderheit des Ruhrgebiets liegt in der Größe des Ballungsraums mit viel Verkehr und Industrie“. Hinzu kommt laut Peter Bruckmann vom LANUV, dass „die Talsenke, in der sich das nördliche Ruhrgebiet befindet, die Feinstaubbelastung zusätzlich anhebt“. Bis 2013 war Peter Bruckmann lange Jahre Leiter des LANUV in Essen. Über die erhöhten Messwerte kann auch er nicht zufrieden sein.
Doch das Ruhrgebiet hat in der Vergangenheit schon weitaus gravierendere Luftverschmutzungen hinnehmen müssen. Im Dezember 1962 erreichte die Smog-Episode ihren Höhepunkt. Eine Dunstglocke hatte sich über das Revier gelegt. Innerhalb eines Monats stieg die Sterberate im Ruhrgebiet um fast ein Drittel. Am Nikolaustag lag die Konzentration an Schwefeldioxid in Bochum bei 5000 µg/m3. Nicht umsonst forderte der damalige Kanzlerkandidat Willy Brandt ein Jahr zuvor: „Der Himmel über dem Ruhrgebiet muss wieder blau werden!“ Seitdem ist viel passiert. Zahlreiche Luftreinhaltepläne, Sanierungsprogramme in Industrieanlagen und die Umstellung auf Öl- und Gasheizungen in den Haushalten haben die Staubbelastung von etwa 200 µg/m3 auf ein Achtel gesenkt. Dem LANUV zufolge sind andere Schadstoffe wie Schwefeldioxid, Blei oder Kohlenmonooxid heutzutage unter Kontrolle und liegen nur noch in sehr geringen Konzentrationen in der Luft vor.
Schlechte Luft durch Verkehr
Trotz dieser Fortschritte bleibt die Luft, die wir in Bochum, Dortmund und den anderen Städten des Ruhrpotts einatmen, von gesundheitsschädlichen Substanzen erfüllt. „Neben Feinstaub bereitet in Nordrhein-Westfalen vor allen Dingen Stickstoffdioxid Probleme“, sagt Dauert vom Umweltbundesamt. Das LANUV hat im vergangenen Jahr in 67 Fällen erhöhte Werte für Stickstoffdioxid (NO2) festgestellt. Dabei fällt vor allem eines auf: Alle NRW-weiten Grenzwertüberschreitungen für NO2 sind ausnahmslos auf den Verkehr zurückzuführen. Obwohl die Hauptursache der Feinstaubbelastung nur schwer ermittelt werden kann, ist sie wie NO2 ebenfalls in Straßennähe besonders stark ausgeprägt.
Während erste Maßnahmen zur Luftverbesserung primär die Industrie betrafen, richten sich die heutigen Bemühungen auf das Verkehrsproblem des dichtbesiedelten Ruhrpotts. Seit Januar 2012 besteht zwischen Duisburg im Westen und Dortmund im Osten die Umweltzone Ruhrgebiet. Diese löste bereits vorhandene, lokale Umweltzonen ab und weitete den Bereich auf etwa 1.500 km2 aus. Autofahrer dürfen im gesamten Raum nur noch mit einer gelben oder grünen Plakette fahren. Ab Juli 2014 sollen in der Umweltzone Ruhrgebiet nur noch Fahrzeuge mit grüner Plakette erlaubt sein. Dabei kann sich die Auswirkung der seit 2008 im Ruhrgebiet existierenden Umweltzonen auf die Luftqualität durchaus sehen lassen. „Im Mittel sinkt die Feinstaubbelastung um 2 µg/m3 im Jahr. Das ist ein hoher Wert“, bestätigt Sabine Wurzler vom LANUV. Noch eindrucksvoller ist der Rückgang der Überschreitungstage. Waren es im Jahr 2007 an der Brackeler Straße in Dortmund noch 83 Tage, so lag dort der PM10-Wert bereits zwei Jahre später nur noch an 42 Tagen jenseits des erlaubten Grenzwerts. Über die Jahre gesehen, nimmt die Feinstaubkonzentration zudem im gesamten Ruhrgebiet kontinuierlich ab.
Irreführende Messwerte?
Allerdings ist bei all diesen Zahlen Vorsicht geboten. Die PM10-Werte lagen 2012 zwar unter dem Niveau der vorangegangenen drei Jahre. Jedoch sind meteorologische Ursachen dafür verantwortlich. „Wir hatten 2012 im Vergleich zu 2011 wenige Inversionswetterlagen und deshalb nur geringe Feinstaubüberschreitungen“, erklärt Dauert vom Umweltbundesamt. Von Inversion spricht man, wenn die oberen Luftschichten wärmer sind als die unteren und deshalb kein Luftaustausch stattfindet. Die Feinstaubpartikel können also nicht entweichen, was insbesondere in Ballungsräumen zu hohen Luftschadstoffwerten führt. Extreme Witterungsverhältnisse wirken sich demnach stark auf die Messdaten aus. Winde transportieren die leichten Feinstaubpartikel meist kilometerweit und bestimmen dadurch ebenfalls die Schadstoffkonzentration. „Das Wetter ist der Einflussfaktor Nummer eins“, sagt Jürgen Friesel, der beim LANUV das Luftmessnetz überwacht.
Angesichts der schwankenden Messergebnisse ist eine Entwarnung auf dem Weg zu einer sauberen Luft im Ruhrgebiet keinesfalls angebracht. Trotz der erzielten Erfolge fordert das Umweltbundesamt deshalb, die Bemühungen um eine bessere Luftqualität fortzuführen. Fast 30 Jahre nach der letzten großen Smog-Episode gehört das Ruhrgebiet immer noch zu den bundesweiten Problemzonen in Sachen Luftverschmutzung. Dass sich daran in Zukunft etwas ändert, ist für alle Beteiligten eine große Herausforderung. Der Kampf gegen Feinstaub ist noch längst nicht gewonnen.