Die wahren Pöhler

Das ehemalige "Stadion am Schloss Strünkede" in Herne. Heute heißt es "Abisol Arena", ist aber immer noch eins der schönsten Stadien des Ruhrgebiets.(Foto: Wikipedia)

Das ehemalige "Stadion am Schloss Strünkede" in Herne. Heute heißt es "Abisol Arena", ist aber immer noch eins der schönsten Stadien des Ruhrgebiets. (Foto: Wikipedia, Teaserbild: Peter Smola, pixelio)

Freitag ist die 33-tägige Winterpause der Fußball-Bundesliga vorbei. Um 20.30 Uhr beginnt die Rückrunde mit dem Schalker Heimspiel gegen Hannover 96. Von da an werden wieder Abertausende von Menschen im Ruhrgebiet jedes Wochenende im Bann der deutschen Eliteliga stehen. Doch es gibt nicht nur S04, den BVB, VfL oder MSV. Von vielen unbeachtet blüht die Fußballkultur auch in den unteren Spielklassen – und besitzt einen ganz eigenen Reiz.

Schon der Weg zum Stadion zu einem Oberliga- oder Regionalligaspiel hat nichts mit dem Wahnsinn eines Bundesligaspieltages zu tun. In der U-Bahn sitzen lediglich eine handvoll Fahrgäste, jeder hat eine Sitzbank für sich allein, geredet wird wenig. Wo ich sonst  zwischen Bierbäuchen eingeklemmt nach Luft zu schnappe und sich kalter Tabakrauch, Schweiß und Alkoholfahnen ihren Weg in die Nase bahnen –  angenehme Frische. Lediglich die singenden am Bahnhof erinnern daran, dass es zu einem Fußballspiel geht. Als die Türen aufgehgen quetscht sich die gesamte Gruppe in den nächsten U-Bahnwagen. Muss wohl eine Art Teambuildingmaßnahme sein. Sie hätten sich auch bequem auf den ganzen Zug verteilen können.

Schöne Stadien

Ist der Weg von der Haltestelle zum Stadion geschafft, erwartet mich keine bunte Fanzone. Es werden Gott sei Dank keine Klatschpappen verteilt und kein Schwarzhändler versucht mir Tickets zu verkaufen. Beim Anblick des Stadions gerate ich ins Schwärmen. Es hat nichts gemeinsam mit den gesichtslosen Betonbauten der Bundesligisten, die sich nur noch durch die Farbe der Sitzschalen unterscheiden. Seit das Essener „Georg-Melches-Stadion“ abgerissen wurde, besitzt meiner Meinung nach Oberligist Westfalia Herne das schönste Stadion des Ruhrgebiets. Es zu betreten ist wie eine Zeitreise. Um das holperige Naturrasenfeld schmiegt sich eine Tartanbahn, dahinter erhebt sich in den Kurven und auf der Gegengerade ein verwitterter und unüberdachter Stehplatzrang. Nur die einfache Hauptribüne bietet Sitzplätze und Schutz vor Wind und Regen. Schon an der schieren Größe erkennt man, dass das Stadion für Spitzensport gebaut wurde. Es fasst trotz moderner Sicherheitsbestimmungen immer noch 32.000 Zuschauer und sah Westfalia Herne in guten Zeiten schon in der ersten und zweiten Liga spielen. Stehen Fußballromantiker hier an einen Wellenbrecher gelehnt, können sie gar nicht anders, als von längst vergangenen Zeiten zu träumen.

Ein Spiel in der Regionalliga West oder der Oberliga Westfalen ist oft auch ein bisschen Museumsbesuch. Hier spielen Mannschaften mit großer Vergangenheit. Die SG Wattenscheid 09 war noch bis 1994 Erstligist. Die SpVgg Erkenschwick sorgte vor der Einführung der Bundesliga für packende Duelle gegen Rot-Weiss Essen und Schalke. Selbst in der Kreisliga spielt mit dem SV Sodingen ein Verein, der mal für den modernsten Fußball in Deutschland berühmt war. Und will man mehr aus der goldenen Vergangenheit dieser Vereine hören, braucht man meist nur einen der betagteren Herren im Stadion ansprechen. Da ich gleich noch was vor habe, lasse ich das bleiben.

Spannend ohne Kunststückchen: FC Kray gegen Wiedenbrück. (Foto: Kornelius Dittmer)

Spannend ohne Kunststückchen: FC Kray gegen Wiedenbrück. (Foto: Kornelius Dittmer)

Sport statt Show

Den besten Fußball spielen die Regional- und Oberligisten heute mit Sicherheit nicht mehr. Spannend ist es aber trotzdem immer. auch für Champions League verwöhnte Fan eines großen Ruhrgebiets-Klubs – wie ich es einer bin. Wenn sich ein Wiedenbrücker Abwehrhüne  mit einem polnischen Fluch ins Getümmel schmeißt oder der Stürmer des FC Kray bei Rückstand einen Foulelfmeter in den Fangzaun donnert, sehne ich mich nicht nach technischen Kunststückchen. Der Fußball ist ursprünglich, der Torjubel nicht extra einstudiert. Es geht mehr um Sport als um Show. Ich bin als Zuschauer nah

dran am Geschehen. Ich höre wie der Trainer seine Spieler zusammenfaltet und wie ein gefoulter Spieler von seinem Mannschaftskameraden aufgefordert wird, lauter zu schreien, damit es damit es auch wirklich einen Freistoß gibt.

Selbst bei einem mauen Kick ist auf der Tribüne für Unterhaltung gesorgt. Wenn beispielsweise  traditionsbewusste Fußballfans auf die moderne Fußballschuhmode treffen wird es lustig. In feinstem Ruhrdeutsch hagelt es Schimpftiraden gegen die Ersatzspieler des Gegners: „Geeelb? Was soll das denn. Das sind doch keine Fußballschuhe!“ Ein anderer stimmt ein. „Sind die aus Filz? Die müssen schwarz sein.“ Selbst wenn es ganz schlimm kommt, brüllen die Fans von der Tribüne gegen jede Widrigkeit an. Das „Herner geben niemals auf, ihr Wichser“ der Westfalia Fans klingt bei Null zu Drei Rückstand, schlechter Tabellenposition und Eiseskälte beinahe wie ein Glaubensbekenntnis. Und wenn das das Bekenntnis ist, dann sind Wurst und Bier das Abendmahl.

„Eine Spende für die Jungend?“

Denn natürlich sind Bier und Bratwurst auch die Stadion-Grundnahrungsmittel in Liga vier und fünf. Im Gegensatz zu so manchem Bundesliga-Catering kann man sie sogar bar und ohne lästige Chipkarte bezahlen. Die etwa zwei Euro pro Bier oder Wurst kann ich mit Blick in mein Studenten-Portmonnaie genauso leisten wie den ermäßigten Eintritt von meist 5 Euro. Und auch für die kleinen Jungs die mit den Spendenbüchsen der Jugendmannschaften durch den Block ziehen, habe ich immer noch etwas Kleingeld übrig. Zumindest beim ersten Mal. Denn wittern sie die Chance abzusahnen, versuchen sie es auch gerne mehrmals – wenn sie nicht gerade hinter dem Tor stehen und den Gästetorwart ärgern.

Während ich bereitwillig ein paar Euro in die Blechbüchse werfe, bin ich mir sicher, dass sich die Investition in die Zukunft des Ruhrgebietsfußballs lohnt. Denn ein Stadionbesuch abseits der Glamour-Welt Bundesliga ist jedesmal ein Erlebnis – nicht nur für Fußballnerds die die Kreuztabellen der taiwanesischen Liga auswendig kennen oder Romantiker, die für Kuzorra und Adi Preißler schwärmen. Daher sollte jeder Fußballfan einen Blick riskieren, auch alle Zugezogenen und Austauschstudenten. Denn wer seinen Fußball nicht kennt, kennt das Ruhrgebiet nicht – und näher am Ursprung ist man nirgendwo anders.

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