Um Mitglied der Europäischen Union zu werden, muss ein Land seine demokratische und rechtsstaatliche Integrität unter Beweis stellen. Um diesen Test zu bestehen, darf der Einfluss rechtsextremer Parteien nicht zu groß sein, denn deren Ideologie gefährdet per Definition genau dies Grundsätze. Wie stark ist der rechte Rand der EU tatsächlich? Wir zeigen die Mitgliedsstaaten – und die, die es gern werden wollen – von ihrer rechten Seite.
Den Einfluss rechten Gedankenguts zu messen ist nicht einfach. Es tritt in vielen Formen auf: Versteckt oder offen, extrem oder gemäßigt, organisiert oder unorganisiert. Ein deutliches Indiz ist aber der Einfluss, den rechte Parteien auf die Regierung ihres Landes ausüben. Als gewählte Vertreter des Volkes sollen sie schließlich die Einstellung der Bevölkerung widerspiegeln. In dieser Übersichtskarte ist daher der Anteil rechter Parteien zu sehen, die im nationalen Parlament der EU-Staaten vertreten ist. Insbesondere wurde bei Parlamenten mit mehreren gesetzgebenden Kammern diejenige berücksichtigt, deren Mitglieder direkt vom Volk gewählt werden.
Dabei ist „rechte Partei“ hier im weiteren Sinne definiert. Neben klar rechtsextremistischen Parteien sind auch solche mit einbezogen, deren Extremismus weichere Formen annimmt. Gerade in gefestigten Demokratien, wie sie in den EU-Staaten zu erwarten sind, wirken harte Formen des Rechtsextremismus häufig abschreckend auf die breite Masse. Gemäßigtere Formen rechten Denkens sind deshalb oft umso wirkungsvoller, was bereits am Erfolg der oft als rechtpopulistisch bezeichneten Parteien abzulesen ist. Ihre antidemokratische Einstellung ist schwer zu erkennen: Meist vertreten sie nach außen hin demokratische Grundwerte, bedienen sich jedoch gleichzeitig bei der rechtsextremen Szene, was Rhetorik und Programm angeht. Nicht berücksichtigt sind in dieser Grafik dagegen rein konservative oder nationalistische Parteien, wenn sie keine extremistischen Züge aufweisen.
Definitionen
Rechts|ex|tre|mis|mus, der
Am leichtesten zu definieren ist Extremismus, egal welcher Sorte, anhand dessen, was er nicht tut: Er akzeptiert nicht die Kriterien eines demokratischen Verfassungsstaates, oder lehnt zumindest essenzielle Teile davon ab. Dazu gehören etwa die fundamentale menschliche Gleichheit, die Souveränität des Volkes, der Minderheitenschutz oder der Schutz persönlicher Freiheitsrechte.
Extremistische Gruppierungen sind außerdem oft an ihrem Dogmatismus und ihrer Orientierung an kompromisslosen Freund-Feind-Schemata zu erkennen. Im Rechtsextremismus nimmt das meist die Form von Fremdenfeindlichkeit und Rassismus an. Rechtsextreme Organisationen neigen zum Führerkult und zu diktatorischen Ordnungsvorstellungen, häufig verknüpft mit einem ausgeprägten Nationalismus.
Die Politikwissenschaftler Eckhard Jesse und Tom Thieme unterscheiden nach „weichem“ oder „hartem“ Extremismus, je nach Intensität und Grad der antidemokratischen Einstellung. Gerade im Fall von parteiförmigem Extremismus bedeutet „weich“ aber nicht immer auch „harmlos“, im Gegenteil: Extremistische Organisationen geben sich oft nach außen hin demokratisch, um sich breiteren Zuspruch zu sichern. Durch diese Legalitätstaktik ist ihre antidemokratische Grundhaltung oft schwer zu erkennen, wodurch sie eine umso größere Wirkung entfalten kann.
Vgl. Jesse, Eckhard / Thieme, Tom (2011): Extremismus in den EU-Staaten. Theoretische und konzeptionelle Grundlagen. In: E. Jesse & T. Thieme (Hrsg.): Extremismus in den EU-Staaten. Wiesbaden. VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien. S. 11-24. Hier: S. 15-20.
Rechts|po|pu|lis|mus, der
Rechtspopulismus ist ein gern genutzter Begriff, dessen eigentliche Bedeutung selten hinterfragt wird. Selbst die Politikwissenschaft ist sich uneinig, ob es eine einheitliche Definition überhaupt geben kann. Was der (Rechts-)Populismus jedoch am ehesten ist, ist ein politischer Stil. Seine besondere Rhetorik vereinfacht und polarisiert, um seine Ziele zu erreichen. Populistische Parteien geben sich als Vertreter der „schweigenden Mehrheit“. Sie schaffen oft eine künstliche Spannung zwischen der intellektuellen, machtgierigen Elite („denen da oben“) und dem einfachen Volk.
Der Populismus vertritt das „Wir“, das sich natürlich abgrenzt von „den Anderen“, den Fremden. Diese Haltung resultiert nicht selten in pluralismus- und ausländerfeindlichen Ansichten. Neuerdings besonders beliebt ist die Islamophobie, getarnt als Islamismuskritik. Durch seine polarisierende Weltsicht begibt sich der Rechtspopulismus oft in die ideologische Nähe zum rechten Extremismus. Tendenziell ist der Populismus jedoch etwas flexibler in seiner Weltanschauung und gibt sich oft gemäßigter als der Extremismus. Daher wird der Begriff des Rechtspopulismus auch oft im Sinne von „Rechtsextremismus light“ verwendet. Das trifft in vielen Fällen zwar zu, die beiden Begriffe beschreiben jedoch im Grunde unterschiedliche Phänomene. Extremistische Parteien, links wie rechts, können populistisch sein oder auch nicht. Umgekehrt kann Populismus auch ganz ohne extremistische Neigungen existieren.
Vgl. Bauer, Werner T. (2015): Rechtsextreme und rechtspopulistische Parteien in Europa. Wien. S.5-9. Download.
Natürlich wird diese Visualisierung der Komplexität des Themas nicht vollständig gerecht. Sitzanteile im Parlament sind nur ein Aspekt von vielen, aus denen sich der Einfluss der politischen Rechten zusammensetzt. Er berücksichtigt nicht die verflochtenen politischen Systeme, die unterschiedlichen Konstellationen und Aufgaben der Parlamente, geschweige denn den Extremismus außerhalb politischer Parteien im jeweiligen Land. Ein Teil der rechten Szene etwa wird diese aus Prinzip nicht unterstützen, sondern die eigenen Ansichten eher durch selbst geplante Treffen und Aktionen umsetzen, wie die Politikwissenschaftler Jesse und Thieme in ihren Betrachtungen zum Extremismus in Europa erläutern (Vgl. Jesse, Eckhard / Thieme, Tom (2011): Extremismus in den EU-Staaten.).
Gerade im Hinblick auf den internationalen Zusammenhalt der EU ist der parteiförmige Extremismus jedoch besonders interessant. Wenn rechte Parteien die Mehrheit erlangen, gerät das politische System ins Wanken. Auf der Karte ist zum Beispiel der hohe Anteilswert in Polen gut zu erkennen. Dort ist die rechtsextreme Partei PiS (Recht und Gerechtigkeit) aus der letzten Wahl als Sieger hervorgegangen. Die Auswirkungen dieses Rechtsrucks führen aktuell sogar so weit, dass die EU nun im Fall von Polen zum ersten Mal die Rechtsstaatlichkeit eines Mitgliedslandes überprüft.
Aus der Karte ersichtlich ist außerdem der Filter unseres deutschen Blickwinkels: In der Debatte um die internationale Rechte spielen hier etwa der französische Front National oder die britische UKIP eine große Rolle. Dabei ist ihr Anteil an den nationalen Regierungen aktuell noch verschwindend gering. Wie der Politikwissenschaftler Carsten Koschmieder von der FU Berlin im Interview mit eldoradio* erklärt, sind sie dennoch nicht zu unterschätzen.
Abgesehen davon werde unser Blickwinkel auch schlicht durch Sprachbarrieren geprägt, so Koschmieder. Gerade extremere rechte Parteien veröffentlichen ihr Parteiprogramm meist nur in Landessprache, und die Landesmedien übersetzen ihre Texte nur selten. Deshalb gebe es in Deutschland etwa weit weniger Diskussionen um die finnische Partei Perussomalaiset (häufig als „Die Finnen“ übersetzt, manchmal auch „wahre Finnen“ oder „Basisfinnen“) oder um die rechte Szene vieler osteuropäischer Länder.
Zeigt diese Karte nun bereits einen Rechtsruck an? Ist sie Grund zur Beunruhigung? Es sei jedenfalls durchaus ratsam, die Entwicklungen der nächsten Zeit mit Vorsicht und offenen Augen zu verfolgen, erklärt Carsten Koschmieder. Er hat unsere Ergebnisse mit unseren Reportern von eldoradio* diskutiert und eingeordnet. Das komplette Interview ist bald als Podcast verfügbar. In der Zwischenzeit werfen wir einen näheren Blick auf die Politik der Rechten: Unser Thesenvergleich guckt den größten von ihnen genau auf die Finger.
Über diesen Beitrag
Diese Übersichtskarte wurde mit cartodb erstellt. Die Rohdaten wurden selbst erhoben und sind hier einsehbar. Der verwendete Programmiercode ist hier verfügbar.
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(Sophie Schädel)
Großbritannien:
E. Jesse & T. Thieme (Hrsg.): Extremismus in den EU-Staaten. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien.
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Freitag, Jan & Thieme, Tom (2011); Extremismus in Schweden. In: E. Jesse & T. Thieme (Hrsg.): Extremismus in den EU-Staaten. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien. S. 329-334.
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