Schöne Models, schöne Kleider und ein Fotograf, der die Schönen ablichtet – eine typische Modenschau, könnte man meinen. Wäre da nicht ein winziges Detail: Außer dem Fotografen Karsten Hein, kann auf dieser Veranstaltung niemand sehen. Die Models sind blind, Zuschauer gibt es nicht. Im Interview mit pflichtlektüre erzählt Karsten Hein, was hinter dem Projekt steckt.
[mega-slider id=“182658″/]Eine Modenschau für Blinde: Wie sind Sie auf diese Idee gekommen, Karsten? Gerade Mode ist ja ein Thema, das man als erstes vielleicht nicht gerade in Verbindung mit Blindheit sieht.
Es gibt zwei Ansätze. Ich arbeite jetzt seit etwa fünf Jahren mit Blinden. Dadurch, dass die beiden blinden Frauen, mit denen ich von Anfang an Kontakt hatte, das Thema Mode extrem wichtig finden, war das in all unseren Gesprächen immer schon sehr früh präsent. Wobei wir am Anfang noch keine Vorstellung davon hatten, was wir daraus machen würden. Aber es war mir schon klar, dass – für die beiden zumindest – Schönheit und Mode wichtig sind.
Die andere Sache ist: In Blindeneinrichtungen, zum Beispiel Blindenvereinen, gibt es regelmäßig sogenannte „Modeschauen“. Da kommen fliegende Boutiquen vorbei und unterbreiten ihr Angebot den anwesenden Blinden, die sich davor scheuen, in Geschäfte zu gehen oder ganz normal einzukaufen.
Wie sehen solche Modeschauen dann aus?
Ich selbst war auch schon bei so einer Veranstaltung dabei. Und die war ein solches Ärgernis für mich. Ich fand das so erbärmlich, so schlimm: Die Verkäuferin ist mit ihren Kleiderständern rein gerollt gekommen und meine erste Assoziation war – DRK-Kleidersack.
Ich habe dann leise zu einer Frau neben mir gesagt: „So wie Sie angezogen sind, Sie dürfen sich zuhause mit dem Zeug da nicht blicken lassen. Das ist schlimm!“ Dann habe ich ihr die Sachen etwas beschrieben und sie meinte nur: „Ach, du meine Güte, das wissen die ganzen Leute hier ja gar nicht!“ Und so war das dann auch.

Porträt von Karsten Hein, fotografiert von der blinden Fotografin Silja Korn. (Foto: Silja Korn/Karsten Hein)
Sie haben ein Projekt zum Thema „Schönheit und Blindheit“ gemacht. Worum ging es darin genau und wie ist es zustande gekommen?
„Die Schönheit der Blinden“ – das ist im Kern die Fotodokumentation einer Modenschau von Blinden für Blinde, die ich vor drei Jahren gemacht habe. Ich habe mit sieben blinden Models eine Modenschau gemacht, die im Prinzip für die Models selbst und die Kamera stattgefunden hat. Auf eine sehende Öffentlichkeit habe ich verzichtet, um den Blinden das Gefühl zu ersparen, begafft zu werden.
Was waren das für Kleider, die die blinden Models auf der Modenschau getragen haben?
Die Kleidung habe ich extra von Designern machen lassen. Das Besondere war, dass sie mit Punktschrift bestickt waren. Die Punktschriftbestickung hat eine Kunststickerin aus Halle gemacht, Antje Kunze. Sie hat zum ersten Mal eine Technik entwickelt, wie Punktschrift auf Stoff wirklich richtig lesbar ist. Also auch längere Texte, auch Fließtext, richtig lesbar ist – oder besser gesagt tastbar ist – für Blinde.

Auf der Modenschau fühlt eine Frau die Punktschriftbestickung auf dem Ärmel eines Mannes. (Foto: Karsten Hein)
Wofür diese Punktschriftbestickung?
Ich hatte ursprünglich nur die Idee: Wenn ich sieben Blinde gleichzeitig vor der Kamera habe – die haben keine Orientierung und dementsprechend weiß ich auch gar nicht, was da passieren wird. Ich kann sie ja nicht alle gleichzeitig dirigieren.
Und ich habe gedacht: Wenn auf der Kleidung etwas drauf ist, was einen Sinn ergibt, wenn ich weiß, wo ihre Hände hingehen – dann weiß ich auch, wo die Menschen hingehen. Und das war dann tatsächlich auch so. Dass dann darüber hinaus so etwas entstanden ist, dass die Sache ein Selbstläufer geworden ist, dass die Bekleidung selbst oder diese Sticktechnik so gut angekommen ist, das ist natürlich toll.
Die beiden blinden Frauen, mit denen Sie von Anfang an Kontakt hatten: Woran haben Sie gemerkt, dass das Thema Schönheit für die beiden wichtig ist?
Die beiden Frauen, mit denen ich am Anfang in Halle zusammengearbeitet habe, sind Jennifer Sonntag und Ilka Eberle. Ich habe sie ursprünglich im Porträt fotografiert – und für beide Frauen war es von vornherein ein Thema „Wie sehe ich aus? Wie wirke ich?“
Beide haben mir dann von sich aus erzählt, wie sie das so machen: Dass sie im Berufsförderungswerk eine kleine Schminkausbildung bekommen haben, dass sie sich selbst morgens schminken und dass sie ein Grund-Makeup selber hinbekommen – ohne fremde Hilfe. Und das stimmt auch: Beide waren für unseren Fototermin geschminkt und ich hätte nicht gedacht, dass sie das selbst so hinbekommen haben. Haben sie aber.
Blinde wissen ganz wenig über das Aussehen ihres Gesichtes und ich erzähle ihnen aber ganz viel darüber. Deswegen saugen sie das auf wie ein Schwamm. Porträtsitzungen mit Blinden dauern um ein Vielfaches länger, weil sie einfach unglaublich viele Fragen haben, die ihnen bisher noch niemand beantwortet hat.
Und dann sind Sie zusammen auf die Idee gekommen, etwas in der Richtung zu machen?
Wir haben relativ früh gesagt: Man könnte ja auch extra was für Blinde machen und überlegt, wie das aussehen könnte. Ich habe dann zunächst mit einer Modeschule in Magdeburg gesprochen.
Die haben mir Vorschläge gemacht, wie ihre Schüler etwas Experimentelles machen könnten – ich weiß noch, dass das Stichwort Joghurtbecher fiel. Ich habe dann Jennifer und Ilka davon erzählt, auch von den Joghurtbechern. Daraufhin haben die beiden gesagt: „Nein, den Quatsch wollen wir nicht. Wir wollen schön aussehen! Wir wollen normale Klamotten anhaben!“ Es ging ihnen gar nicht um konservativ oder so – es sollten einfach normale Klamotten sein.
Und was für Kleider sind es dann geworden?
Die Kleider, die die Models hinterher auf der Modenschau getragen haben, sind jeweils mit den Designern vorher abgesprochen worden. In zwei Fällen sind die Kleider extra geschneidert worden, in zwei Fällen wurden sie angepasst. Die Männer wurden von einem italienischen Label sozusagen mit den Basics ausgestattet, die dann mit der Punktschrift bestickt wurden.
Alle Models waren daran beteiligt, was gemacht worden ist. Und von den Designern weiß ich auch, dass alle sehr engagiert waren.