Zug um Zug zum eigenen Brettspiel

Brett- und Kartenspiele sind auch in digitalen Zeiten keine Ladenhüter. Nette Familiennachmittage mit „Mensch ärgere dich nicht“, lange „Tabu“-Abende unter Studienfreunden oder nerdige „Dungeons and Dragons“-Wochenenden – das Angebot ist groß. Die kreativen Köpfe hinter den Spielen nennt man Spielautoren. Aber wie kommt man dazu, Spiele zu entwickeln? Am Wochenende trafen sich einige der Erfinder zum Spielautorentag in Bochum. Dabei wurde natürlich vor allem gespielt – von zehn Uhr morgens bis zehn Uhr abends.

An einem Tisch bekämpfen sich prähistorische Bestien, an einem anderen versucht man, eine griechische Insel für den Tourismus zu besiedeln. In der Runde gegenüber hantieren die Spieler mit Flusssteinen. Im Evangelischen Gemeindehaus in Bochum-Langendreer haben sich am Samstag fünfzehn Spielautoren versammelt – vom Science-Fiction-Drehbuchschreiberling bis hin zum Brettspielarchäologen. Sie sind hier, um die eigenen Spiele ihrem Traum ein Stück näher zu bringen – der Veröffentlichung.

Foto: Ilias Stampoulis

Diese Runde ist schon seit längerem dabei. Ein gutes Spiel muss fesseln können. Fotos: Ilias Stampoulis, Teaserbild: knipseline/pixelio.de.

Jeder hat sein eigenes, mehr oder weniger ausgefallenes Spiel mitgebracht. Erst wird es kurz vorgestellt und erklärt, dann wird auch schon losgelegt, gezogen und gewürfelt. Es herrscht reger Spielbetrieb. Mal geht es flott – dann kommt schon nach einer halben Stunde ein neues Spielbrett auf den Tisch – mal langsam: Die Runde nebenan läuft schon seit einigen Stunden. Seit 2010 treffen sich die Autoren in freundschaftlicher Runde.

Spielen aus Passion

„Pass mal auf, das könnte man an der Stelle anders machen.“ Jeder Tipp kommt ins Notizbuch. Die Skizzen auf dem Blatt nehmen Form an. Alle Autoren sind hier, um ihre Spiele zu verbessern. Und das geht gerade durch das professionelle Feedback der erfahrenen Vielspieler und Hobby-Autoren.

Foto: Ilias Stampoulis

Karsten Höser teilt seine Passion für Brettspiele und lud zum Spielautorentreffen ein.

Ins Leben gerufen wurde dieser „Spielautorentag im mittleren Ruhrgebiet“ von Karsten Höser. Er spielte schon immer gerne, ob als Kind oder in seiner Tätigkeit in der Jugendarbeit. Je älter er wurde, desto tiefer ging es in die Materie: „Es reichte mir nicht mehr, nur zu spielen. Ich wollte mehr über die Hintergründe erfahren.“ Ihm offenbarte sich eine bunte, detailverliebte und facettenreiche Welt. So machte er seine Passion zum Beruf. Als Spiel-Lektor unterstützt er nun angehende Autoren beim schwierigen Unterfangen, Spiele zu veröffentlichen. Höser selbst ist aber kein Erfinder: „Da fehlt mir das besondere Gen für.“

Aber wer spielt heute noch Brettspiele?

In unserem digitalen Zeitalter, in dem am besten alles einen Bildschirm haben sollte, haben Brettspiele noch lange nicht ausgedient. Im Gegenteil: Die Branche wächst sogar. Im Vergleich zu Konsolen und Computer-Spielen haben Brett- und Kartenspiele nämlich eine entscheidende Stärke: die Geselligkeit. Holger Herrmann, der den Spielautorentag mitorganisiert, sagt: „Allein hilft mir mein Tablet oder Handy. Aber in Gesellschaft liegt der Schwerpunkt nach wie vor bei den Brettspielen.“ Die verschiedenen Branchen würden sich nichts wegnehmen, sondern nebeneinander existieren, erklärt der Würfel-Veteran. Auch er ist wie Höser  seit den 90ern in der Szene. „Wenn man dann auf zwei, drei Messen war, lässt es einen nicht mehr los.“

Markus Leers, Spielautor aus Dortmund, sieht die Rolle der Gesellschaftsspiele in einem größeren Zusammenhang: „In Zeiten von Facebook und Twitter entwickelt sich ein Trend, dass man irgendwann gar nicht mehr vor die Tür gehen muss.“ Gesellschaftsspiele dagegen sind ein Geselligkeitsgarant.

Was macht ein Spiel erfolgreich?

Sollte es einfach oder kompliziert sein? „Beides klappt“, antwortet Holger Herrmann, der den Autorentag mitorganisiert. „Die Grundregel lautet: Es muss funktionieren.“ Und um das herauszufinden, wird immer wieder gespielt: der nächste Zug geplant, der nächste Würfel geworfen, die nächste Karte gezogen, das nächste Plättchen gelegt.

Bei komplizierten Spielen liegt der Reiz darin, sie trotzdem zu knacken. Das liege in der Natur des Menschen, glaubt Spieleautor Hartwig Jakubik: „Der Mensch sucht immer nach Herausforderungen. Und solange er erkennt, dass diese lösbar sind, funktioniert es.“ Für Vielspieler wie ihn kommt „Mensch-ärgere-dich-nicht“ nicht auf den Tisch: „Das ist zu einfach. Man ist nur vom Glück abhängig, völlig fremdgesteuert.“

Spiele müssen auch variantenreich sein, sonst benutzt jeder die gleiche Strategie. Außerdem muss ein Spiel ein schönes Thema haben. „Dass man Lust kriegt, sich überhaupt erst davor zu setzen“, sagt Herrmann.

Wie kommt man darauf, Spiele zu erfinden?

Foto: Ilias Stampoulis

"Beim entspannten Spazieren kommen die guten Einfälle." - Hartwig Jakubik

Hartwig Jakubik hat schon immer gerne gespielt, vor allem Schach. Nachdem er zufällig über einen Volkshochschulkurs „Spielentwicklung“ stolperte, beschäftigt er sich intensiv mit dem Thema. Nun tüftelt er seit anderthalb Jahren und entwickelte bereits fünf Spiele. Wegen seiner neuesten Erfindung „Kea“ – es geht um die touristische Erschließung einer griechischen Insel – haben auch schon einige Verlage angefragt.

Für Holger Herrmann war der Einstieg ins Spiele-Erfinden ein anderer: „Der erste Schritt ist, dass man ein Spiel spielt und es einen noch nicht ganz zufrieden stellt.“ Wenn man den Wunsch verspüre, ein Spiel besser zu machen, dann sei das Fundament gelegt.

Akribie und Herzblut

Der Job eines Spielautoren ist eine kreative Tätigkeit, ein zeitaufwendiges und leidenschaftlich gepflegtes Hobby. Von der Idee bis zur Umsetzung ist es ein langer Weg, der auch mal zwei Jahre dauern kann.

„Bei so viel Aufwand wäre es gelogen zu sagen, man wolle nicht reich und bekannt werden“, sagt Markus Leers. Aber so glühend, wie die Autoren ihre Spiele vorstellen, erkennt man, dass sie vor allem die Begeisterung für die Sache antreibt. Viel Geld könne man ohnehin nicht verdienen, sagt Hermann: „In Deutschland gibt es höchstens eine Handvoll Autoren, die davon leben können. Um mit dem Spiele-Erfinden Geld zu verdienen, müssen selbst bei namhaften Dauerbrennern weitere Titel folgen.“

Der Markt ist umkämpft. Jedes Jahr gibt es 600 bis 800 Neuerscheinungen. Auf Messen treten die Spielautoren an die Verlagsredakteure heran und stellen ihre Spielideen vor. Erscheint den Redakteuren eine Idee interessant, bastelt der Autor einen Prototyp, der eingängig geprüft wird. Wenn die Idee nicht in die Verlagszielgruppe passt, nicht neu oder aber zu weit weg vom Mainstream ist, wird eine Veröffentlichung unwahrscheinlich. Daher entwickeln viele für den Eigenbedarf, auf der Suche nach einem perfekten Spiel.

Foto: Ilias Stampoulis

"Ein gutes Spiel lässt die Zeit zur Nebensache werden." - Markus Leers

An der Vision eines solchen Spiels arbeitet Markus Leers: Seit 2007 werkelt er an seinem „Operation C“. Akribisch schrieb Leers eine umfangreiche Hintergrundgeschichte um Zeitreisen, Dinosaurier und dubiose Konzernmachenschaften. Sein Mikrokosmos könnte als Science-Fiction-Drehbuch durchgehen.

Das Interessante an seinem Konzept: Es wird zusammen gespielt und nicht gegeneinander – ein Trend, der sich seinen Weg bahnt: das kooperative Spiel. Die Charaktere erhalten Erfahrungspunkte und entwickeln sich. Am Ende kommt es zur unerwarteten Wendung. Dass es Rollenspiele nicht nur am Computer gibt, ist eher unbekannt.

Analoge Spiele in einer digitalen Welt? Es funktioniert

„Das ist wie mit den Büchern. Das Haptische überzeugt“, vergleicht Jakubik. Besonders das Beisammensein, wenn gespielt wird, ist der große Trumpf der Gesellschaftspiele. In Zeiten digitaler Vereinsamung ist analoge Geselligkeit ein Sechser-Pasch für Gesellschaftsspiele. Karsten Höser freut sich über die interessante Runde und lädt schon zum nächsten Autorentag. Dann werden sie wieder zusammenkommen und spielen, von zehn bis zehn. Die Würfel in Sachen Brettspiel sind noch lange nicht gefallen.

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