Willkommen im Hotel Mama

Laut  Eurofound-Studie gibt es bei jungen Europäern zwei Gründe für das Nesthocken: Finanzielle Not und enge Bindung an die Familie. Psychotherapeutin Susanne Egert aus Rendsburg sind diese Gründe nicht fremd. Oft spiele auch der Mangel an Wohnungen in die Entscheidung mit hinein, bei den Eltern wohnen zu bleiben. „Jugendliche, die in ihrer Heimatstadt studieren wollen, werden außerdem zum Teil bei der Studienplatzvergabe bevorzugt.“ Grund dafür ist die sogenannte Landeskinderregel.

Psychotherapeutin Susanne Egert - Foto privat

Psychotherapeutin Susanne Egert gibt Erziehungstraining für Eltern und Lehrer. (Foto: privat)

Im Gegensatz zu den 60er und 70er Jahren hätten Eltern heutzutage mehr Verständnis für ihre Kinder. „Das Gefühl „Ich muss hier raus“ haben heute nur noch die wenigsten“, sagt Egert. „Man lässt sich gegenseitig Freiheiten und schätzt den anderen anders als damals.“ Zu diesem Umdenken in der Eltern-Kind-Beziehung hat vor allem die heutige Eltern- und Großelterngeneration beigetragen: „Der Umgang mit den eigenen Kindern ist nicht länger von Kampf und Auseinandersetzungen geprägt.“

Bequem im Hotel Mama

Im Hotel Mama zu wohnen ist nicht nur günstiger, sondern oft auch bequem. Mutti kocht, Mutti putzt, Mutti macht die Wäsche – es ändert sich im Grunde genommen nichts. „Bei den Eltern wohnen zu bleiben verführt dazu, in den alten Rollen zu bleiben – man wird bemuttert, die Eltern denken für einen mit“, sagt Egert. Was auf den ersten Blick verführerisch aussehen mag, ist für das Zusammenleben und die individuelle Entwicklung gar nicht so förderlich. „Es ist egal, wie tolerant man mit einander umgeht, als Kind in der Familie ist die Selbstständigkeit geringer als in einer eigenen Wohnung.“ Nesthocker machen oft keine eigenen Erfahrungen, sie lernen nicht, die Arbeit der Erwachsenen wertzuschätzen.

„Da stecken aber auch kleinere Mosaiksteine drin im Puzzle der Selbstständigkeit, zum Beispiel, dass dich niemand an Termine und Verpflichtungen erinnern kann, du dir deine Zeit selbst einteilen musst“, erklärt Egert die verschiedenen Prozesse. Man muss lernen Verantwortung für sich zu übernehmen, den inneren Schweinehund ohne Ermahnungen von den Eltern eigenständig überwinden. Auch mit emotionalen Situationen muss man laut Egert alleine fertig werden: „Man kann sich zwar Rat oder Trost holen,aber zunächst einmal muss man alleine zurecht kommen.“

Reifeprozess verlangsamt

Leben Studenten bei den Eltern, ist der eigene Reifeprozess oft langsamer als bei anderen Studenten – es fehle an Selbstständigkeit und Erfahrung, so Susanne Egert „Es muss sich erst eine neue Ebene entwickeln im Umgang“, erklärt Egert, „damit sich Kinder und Eltern auf Augenhöhe begegnen können.“ Dafür sei es vor allem wichtig, sich von eingefahrenen Verhaltensmustern zu verabschieden. Dazu gehört es auch, sich von dem alten Kinderzimmer zu trennen, es neu zu gestalten oder Räume zu tauschen.

Eltern und Kinder müssen erst lernen, dass sie niemandem mehr Rechenschaft schuldig sind: „Besonders Eltern sollten darauf achten, dass sie sich mit ihren Rückfragen zurücknehmen.“ Nur so könne ein Zusammenleben auf Augenhöhe möglich sein. Ein Erfolgsrezept gibt es dafür aber nicht, sagt Egert; nur gegenseitiger Respekt sei das „A und O“. Eine dogmatische Arbeitsplanung braucht ein gutes Zusammenleben nicht. „Kinder sollen sich gerne beteiligen im Haushalt, aber ohne, dass es zu kontraproduktiven Streitpunkten führt“, sagt Psychotherapeutin Egert.

Wann der richtige Zeitpunkt zum Ausziehen gekommen ist, hängt von der eigenen Reife ab. Spätestens wenn die Eltern sich ausgenutzt fühlen, sollten sie das Thema Auszug ansprechen – ohne die Kinder gleich aus dem Nest zu schmeißen.

 

 

 

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