Duell am Donnerstag: Die Tatsachenentscheidung

Das Duell: Nina vs. Mary

Im Fußball sind Tatsachenentscheidungen regelmäßig Anlass für hitzige Diskussionen. Jüngster Fall: Stefan Kießlings Phantomtor im Spiel Leverkusen gegen Hoffenheim. Aber ist es überhaupt noch zeitgemäß, dass die Tatsachenentscheidungen des Schiedsrichters gelten – egal, was die Technik sagt? Die Frage spaltet Fußball-Romantiker und Technik-Fans. Auch unsere Autorinnen Mary Hense und Nina Stoffer.
(Teaserfoto: Peter Smola / pixelio.de)

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Jede Sportart besitzt Regeln. So ist auch die Tatsachenentscheidung eine feste Regel im Fußballsport. Sie besagt, dass die Entscheidungen des Schiedsrichters zu spielrelevanten Tatsachen endgültig sind. Dazu gehören auch das Ergebnis des Spiels sowie die Entscheidung „Tor“ oder „kein Tor“. Wie eben beim Spiel Leverkusen gegen Hoffenheim.

Was der Schiri pfeift, das zählt

Die Tatsachenentscheidung ist wichtig, denn sie schützt vor ständigen Einsprüchen gegen Spielwertungen. Somit haben Entscheidungen des Referees auch Gültigkeit, wenn sie im Nachhinein als falsch enttarnt werden, zum Beispiel durch TV-Bilder. Ohne diese Regel gäbe es keinen Spielfluss. Mit Videobeweisen würde man doch nur dauernde Spielunterbrechungen mit mehrfacher Wiederholung der Szene erreichen – Lamentieren der Spieler und Trainer inklusive. Die Zuschauer wollen aber Fußball sehen und nicht gelangweilt rumsitzen oder etwa Werbung vor die Nase gesetzt bekommen, bis die Entscheidung durch den Videobeweis gefallen ist. Das hat für mich nichts mit gutem Fußball zu tun. Und deswegen sollte ein Videobeweis nicht eingeführt werden.

Fußball ist Emotion pur

Sicher, der Sport geht immer mit strittigen Entscheidungen einher. Schiedsrichter sehen nicht alles, sie machen Fehler und genau das erzeugt Emotionen. Durch den Videobeweis würden viele diskussionswürdige Situationen nicht mehr existieren. Was bleibt dann noch vom Reiz dieses Sports übrig? Platt gesagt: recht wenig! Und sind wir doch mal alle ehrlich: es würde ein Stück Fußballkultur fehlen, wenn sich die unzähligen Fußballstammtische nicht mehr Spieltag für Spieltag die Köpfe heiß diskutieren würden.

Niemand profitiert vom Videobeweis

Die Tatsachenentscheidung ist heute noch zeitgemäß und auch die Medien können nicht leugnen, davon zu profitieren. Ohne die Entscheidung gäbe es doch keine Mutmaßungen mehr, keine Meinungskolumnen, keine Empörungen und keine Diskussionen in den Leserbereichen. Sie ist ein Garant für hitzige Debatten.

Ich gebe zu, die Situation beim Spiel Hoffenheim gegen Leverkusen war nicht einfach. Aber das DFB-Sportgericht hat entschieden das Spiel nicht zu wiederholen und das ist gut so.  Denn Fußball beruht auf Tatsachenentscheidungen, auch auf Falschen. Und wenn dieses Spiel wiederholt worden wäre, hätten einige andere Spiele genauso erneut ausgetragen werden müssen. Ja, es war schon eine außergewöhnliche Fehlentscheidung der Schiedsrichter, aber ich halte an der Tatsachenentscheidung fest. Übrigens: ohne sie gäbe es jetzt wahrscheinlich keine Phantomtor-Anekdote, an die man sich auch in der Zukunft noch erinnern wird.

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Abseitstore, unberechtigte Elfmeter oder Rote Karten für Fouls, die eigentlich keine sind – das sind Tatsachenentscheidungen, gut und schön. Aber für mich hat das nichts mehr mit Fair Play zu tun. Besonders deutlich wurde das zuletzt beim Phantomtor: Kießling schießt, trifft das Außennetz, ärgert sich – und wird dann überrascht: Der Schiedsrichter pfeift ein Tor. Im Video wird klar, dass der Ball offensichtlich durch ein Loch im Netz ins Tor gelangt ist – ganz klar kein gültiger Treffer. Doch das sah der Schiedsrichter nicht. Und was er sieht oder eben nicht sieht, ist laut Fußballgericht eine Tatsache.

Modernste Technik, verstaubte Regeln

Beim Stand der heutigen Technik ist es längst möglich, Videobeweise schnell auf die Stadionleinwand zu schicken. So kann auch der Schiedsrichter sehen, was Sache ist. Klar, man kann nicht für jede Abseitsstellung, jedes Foul oder sonstige Unklarheiten eine Videoanalyse veranlassen. Aber bei der Frage, ob ein Tor auch ein Tor ist, sollte dies auf jeden Fall geschehen. Noch einfacher wäre natürlich ein Chip im Ball, der die Bälle und somit Tore hinter der regulären Torlinie registriert. Solche technischen Maßnahmen gibt es schon – sie würden Fehlentscheidungen wie die im Fall des aktuellen Phantomtors verhindern. Und nicht nur das.

Entlastung für Schiedsrichter

Auch die Schiedsrichter würden nicht mehr einem so hohen psychischen Druck ausgesetzt sein. Technische Mittel würden sie bei Entscheidungen unterstützen und entlasten. Und endlich könnten sie auch mal das mitkriegen, was Zuschauer auf dem Sofa, im Stadion und in der Kneipe schon längst in drei Zeitlupen zu jeder Szene sehen.

Bei Fehlentscheidungen geht es außerdem nicht nur um Ruhm und Ehre, sondern auch um eine nicht zu verachtende Summe an Geld. Falls Leverkusen in dieser Saison irgendwelche Titel und somit auch Geld absahnen sollte, dann werden sie es wohl (hoffentlich) mit einem Stich schlechten Gewissens tun.

Wenn die Entscheidung die Wahrheit verdreht
Tatsachen sind keine Auslegungssache. Wenn der Deutsche Fußball-Bund, Schiedsrichter und der deutsche Fußball allgemein einen fairen und gerechten Sport haben möchten, sollten sie auch genauer hinsehen und gerechte Entscheidungen treffen. Wenn es schon nicht bei Fouls oder Abseitspfiffen ist, dann doch auf jeden Fall bei der Frage: War der Ball drin oder nicht? Die Bequemlichkeit ist es doch, die sonst verhindert, dass faire Entscheidungen gefällt werden.

Im Fall von Kießling war der Ball nicht im Tor. Das ist die wahre und einzige Tatsache. Daran kann auch keine sogenannte Tatsachenentscheidung etwas ändern. Es ist traurig, lächerlich und schade für den deutschen Profi-Fußball, wenn Tatsachenentscheidungen keine Tatsachen widerspiegeln.

das-duell-feeder Foto: stockxchng/bizior, Montage: Steinborn/Schweigmann, Teaserfoto: Gunther von Hagens, Institut für Plastination, Heidelberg

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