Der Breitmaulfrosch: Festival ohne Bedeutung

Kolumnenfoto_Johanna

Ob Poetry-Invasion oder die hippesten Hipster-Klamotten – über Kunst, Lifestyle, Mode und Kultur lässt sich gut das Maul zerreißen. Ein chronischer Maulzerreißer ist der Breitmaulfrosch, der in dieser Kolumne merkwürdige Trends aufs Korn – und dabei kein Seerosenblatt vor den Mund nimmt. Heute: Exotik auf Festivals. Nicht nur das hinduistische Holi, sondern auch indianischer Federschmuck und Möchtegern-Hippie-Klamotten müssen für den Festivalspaß herhalten. Der Breitmaulfrosch fragt sich: Wo bleibt da die Bedeutung?

3,2,1 – Farbexplosion! Das Atmen fällt schwer, weil die Luft plötzlich voll von rotem Pulver ist,das auf die weißgekleideten Feiernden herunterrieselt. Es ist Holi – aber nicht in Delhi oder Benares, sondern mitten in Deutschland, auf einem beliebigen Festivalgelände. Im August ist das zum Beispiel auch im Dortmunder Fredenbaumpark der Fall. Besonders heilig scheint die Angelegenheit niemandem zu sein – und das, obwohl im Bühnendekor der Gott Shiva knallbunt vor einem stilisierten Taj Mahal tanzt.Was wird hier eigentlich gefeiert? Wohl kaum der hinduistische Frühlingsanfang.

Auf so manchem Festival hat man nicht erst in dieser Saison das Gefühl, in einem Raum völliger Sinnentleerung gelandet zu sein. Kulturelle Symbole en masse finden sich nicht nur als Begründung für Partys und Saufgelage wie beim „Holi – Festival of Colours“, sondern vor allem auch als Accessoires oder Kleidungsstücke. Wer einen Sombrero trägt, hat mit Feldarbeitern in Mexiko nicht unbedingt etwas am Hut. Es scheint Mainstream geworden zu sein, sich mit kulturellen Symbolen zu schmücken – ob man deren ursprünglichem Sinn nun Bedeutung beimisst oder nicht.

Gekleidet in Irrelevanz

Scharenweise werden die Festivalwiesen von Mädchen mit indianisch anmutendem Federschmuck, überdimensionierten Kreuzketten oder Tribal-Mustern bevölkert. Besonders beliebt ist das Hippie-Outfit: Modeketten bringen im Sommer regelmäßig ganze Linien mit Blumendruck, Lederbändern und langen Röcken heraus. Aber mit sozialer Revolte hat dieser gelenkte Konsum nur noch wenig zu tun, zumal die Entwicklung vom Nischen- zum Massenphänomen auch das Ende der Hippiekultur der 60er-Jahre bedeutete. Das ist dem ordinären Festivalhippie schnuppe. Statt freier Liebe, Frieden und sozialen Umwälzungen wünscht er sich ohnehin eher einen Shoppinggutschein zum freien Einkaufen.

Es geht beim Tragen dieser Symbole nicht um religiöse, politische oder sonstige Ansichten, sondern um ein bestimmtes Image. Mit dem Hippie-Outfit scheint man zugleich ein Versprechen auf Sommer, Sonne, Spaß und Sorglosigkeit überzustreifen. Passend zu dieser Imagekultur muss das Ergebnis selbstverständlich auch für die sehnsüchtig wartende Öffentlichkeit dokumentiert werden. Und so kommt es, dass man auf Festivals manchmal den Wald vor lauter Bäumen oder die Bühne vor lauter Smartphones nicht mehr sieht. Das bietet die Chance, neue Kontakte zu schließen – nämlich dann, wenn man jemanden bitten muss, das Handy zu halten, weil der eigene Arm nicht lang genug ist, um den Federkopfschmuck auf einem Selfie in seiner ganzen Größe und Großartigkeit einzufangen. Wenn diese Person dann auch noch ebenfalls Federn trägt, ist das Gesprächsthema schon mal gesichert.

Hauptsache schön

Peinlich wird es erst dann, wenn jemand mal nachfragt, was diese verschnörkelte Hand auf dem Jutebeutel denn bedeutet. Ob man sich vielleicht mit Fatima, der Tochter des Propheten Mohammed, oder dem nordafrikanischen islamischen Volksglauben identifiziert. Aber das ist doch ganz egal. Hauptsache, es sieht schön aus!

Niemand will, dass kulturelle Mauern entstehen und wir fortan in einem eigenen Saft aus Dirndl, Bergmannsliedern, Sauerkraut und Helene Fischer kochen. Auf was müssten wir dann alles verzichten! Yoga. Sushi. Hip Hop. Mokassins. Wichtig ist aber, sich vor Augen zu führen, dass wir uns mit unserer Kleidung, unserer Nahrung, unserer Sprache und auch unseren Festivals nicht in einem luftleeren Raum bewegen. Nutzt man Symbole, die in bestimmten Kontexten eine wichtige Bedeutung tragen, sollte man sich das auch bewusst machen.

Das Festival scheint allerdings der ideale Ort zu sein, um solche Befindlichkeiten zu vergessen. Dreht man die Bässe nur laut genug, ist von der ursprünglichen Bedeutung der Symbole nichts mehr zu hören. Auch, wenn sie noch so lautstark versuchen, sich wieder in Erinnerung zu rufen. Was bleibt, ist der schöne Schein.

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