Mein Körper auf dem Prüfstand: Mann oder Frau?

Gefangen im falschen Körper – solche Berichte liest und sieht man immer wieder. Aber das ist immer so weit weg, oder? Von wegen. Jahrelang saß ich in der Schule neben Sebastian. Er wollte auch nie der sein, als der er geboren wurde. Heute ist er Caroline und kann sein Leben genießen. Meine Erinnerungen an sein Identitätwechsel.

Geschlechtsumwandlung

Gefangen im falschen Körper: 20 Jahre hat Sebastian darauf gewartet als Caroline leben zu können. Im April hat sie sich umoperieren lassen. Foto: Privat

17. April 2012. Wir schreiben gerade unsere Deutsch-Abiklausur, ich sitze neben Sebastian. Gleich teilt unsere Lehrerin die Klausuren aus, wir sind alle nervös. Sebastian – groß und mager, lange Beine, blonde Surferfrisur, markantes Gesicht – ist auch total aufgedreht, aber wie immer gut drauf. Neben ein paar Schokoriegeln hat er auf seinem Tisch sein Maskottchen aufgebaut: ein Mops von Schleich. Sebastian liebt diese Hunde, er hat sie überall: auf seiner Federmappe, an seinen Taschen, in seinem Smart am Rückspiegel baumelt auch einer.

Sebastian und ich verstehen uns super, sitzen im Spanischkurs nebeneinander, lachen viel im Unterricht, aber privat haben wir nicht so viel miteinander zu tun.

30. Juni 2012. Abiball. Seit Wochen haben wir auf diesen Tag gewartet. Sebastian hat mir in Spanisch oft von seinem Anzug erzählt. Dass er sich nicht entscheiden konnte, welche Farbe der Anzug haben soll, ob Fliege oder Krawatte und was für Schuhe er anziehen soll.

Er kommt in einem schwarzen schicken Anzug mit schmaler Krawatte und glänzenden Lederschuhen. Er sieht wie immer top aus. Auch sonst ist er immer sehr gut angezogen – sehr stylisch und natürlich – da passt immer alles zusammen.

7. Juni 2013. Ich habe Sebastian heute in der Stadt getroffen und war überrascht und ein bisschen sprachlos. Sebastian hat jetzt nämlich einen stylischen blonden Bob, trägt Leggins und ein enges T-Shirt und hat eine Handtasche dabei. Er ist dezent geschminkt, ein bisschen Puder, Rouge und Wimperntusche. Sebastian heißt jetzt Caroline. Ich glaube, Sebastian hat mir angemerkt, dass ich ein bisschen perplex war und ehrlich gesagt immer noch bin. Aber das hat ihn nicht gestört, wir haben uns auf einen Kaffee verabredet.

10. Juni 2013. Wir treffen uns in einem Café und Caroline – ich muss mich sehr konzentrieren, dass ich Caroline nicht aus Versehen Sebastian nenne – erzählt mir vom letzten Jahr, als ihr neues Leben angefangen hat. Dass sie nach dem Abiball angefangen hat, sich die Haare lang wachsen zu lassen, Frauenklamotten zu tragen und so langsam in die Frauenrolle geschlüpft ist. Sie sagt, dass ihr das nicht immer leicht gefallen ist:

Eine dieser Herausforderungen war auch ihre OP. Seit April ist Caroline nämlich nicht mehr nur innerlich Caroline, sondern auch äußerlich. Ihr Geschlecht ihrer neuen Identität angepasst. Und sie erzählt mir von dem schönsten Moment in ihrem Leben: Als sie nach ihrer OP aufgewacht ist, die Ärztin den Verband abgenommen hat und sie sich ihren neuen Körper, den sie sich so lange gewünscht hat, im Spiegel anschauen konnte.

Ich kann mir diese Situation irgendwie nicht vorstellen. Wie das wohl ist, als derjenige in den OP-Saal geschoben zu werden, der man 20 Jahre lang war, und hinterher als diejenige rauszukommen, die man immer sein wollte? Ich habe großen Respekt vor Caroline, dass sie das alles durchgezogen hat. Sie sagt, dass sie all das auf sich genommen hat, weil sie sich ihren großen Traum von einem weiblichen Körper endlich erfüllen wollte.

Ich habe auch das Gefühl, dass für Caroline jetzt alles perfekt ist. Denn als ich Sebastian damals kennengelernt habe, wusste ich, dass er irgendwie anders ist als andere Jungs: Er in einer Jazzdance-Gruppe getanzt, hatte immer ein perfekt, nach Farben geordneten, Schulordner, war immer gerne shoppen und hat sich abends am liebsten mit seinen Mädels getroffen, um den neuesten Klatsch und Tratsch auszutauschen und Modemagazine durchzublättern.

Jetzt ist mir absolut klar, warum Sebastian irgendwie immer anders war. Er war einfach schon immer Caroline und ich kenne auch nur Caroline. Sebastian habe ich nie kennengelernt. Er war gefangen im falschen Körper.

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