Altbergbau: Das Risiko unter unseren Füßen

Ende November 2013: Unter den Gleisen des Essener Hauptbahnhofs wird bei Bauarbeiten zufällig ein alter Bergbaustollen gefunden. Der Zugverkehr wird vorläufig eingestellt. Keine sechs Monate später sorgt der nächste Zufallsfund für Chaos: Bei Bauarbeiten wird wieder ein alter Stollen entdeckt, diesmal unter der A40 mitten in Essen. Er droht einzustürzen. Doch die Folgen des Altbergbaus sind keineswegs ein Privat-Problem der Stadt Essen. Das gesamte Ruhrgebiet ist betroffen. Wir müssen uns darauf einstellen, dass alte unbekannte Stollen unter der Erde jederzeit schlagartig nachgeben können, warnen die Experten.

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16 Meter unter den Gleisen des Essener Hauptbahnhofs wurde ein alter, unbekannter Stollen gefunden. Foto: Michael Kraemer / pixelio.de

Laut der Bezirksregierung Arnsberg gibt es in NRW rund 60.000 Zugänge zu Gruben und Stollen, sogenannte Tagesöffnungen. Genaue Zahlen können die Verantwortlichen nicht nennen, denn von den geschätzten 60.000 Tagesöffnungen ist nur gut die Hälfte erfasst. Für die andere Hälfte, also immerhin knapp 30.000 Stollen und Schächte, gibt es keine Aufzeichnungen. Ihre Lage ist unbekannt, wie im Fall des Stollens unter dem Essener Hauptbahnhof.

„Hier haben wir ein Problem. Erst seit 1868 gibt es das Allgemeine Berggesetz, das Aufzeichnungen über Tagesöffnungen vorschreibt. Vorher gab es diese Pflicht nicht“, sagt Dietmar Österle vom Dezernat Altbergbau der Bezirksregierung. Steinkohle wird aber schon seit dem 14. Jahrhundert im Ruhrgebiet abgebaut – deutlich vor der Einführung des Gesetzes. Allein der Essener Stollen ist gut 130 Jahre älter als das Allgemeine Berggesetz. Erschwerend kommt der illegale Steinkohleabbau hinzu. „Während der Kriegszeiten ist Kohle auch einfach aus dem Boden rausgeholt wurden, ohne dass das jemand aufgezeichnet hat. Genauso hat man im 18. und im 17. Jahrhundert Kohle gefördert und keiner hat da irgendwelche Aufzeichnungen erstellt“, erklärt Österle.

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Ein alter Stolleneingang. Foto: Hannes Tier / pixelio.de

Problem Standsicherheit

Aufgrund dieser Umstände können die Experten nur schätzen, wo sich noch wie viele alte Tagesöffnungen befinden. Genau hier fangen die Probleme an: Die unbekannten Schächten liegen seit Jahrzehnten oder oft Jahrhunderten unter unseren Füßen. Theoretisch könnten sie aber jederzeit nachgeben und einstürzen. „Wir haben unter Tage einen Hohlraum, der durch die ehemalige Sicherung während des Bergbaus noch gehalten wird. Diese ist aber nicht dauerhaft standsicher, insbesondere weil die Sachen ja nicht gepflegt und gewartet werden, wie das im aktiven Bergbau der Fall ist“, erklärt Christian Melchers, Professor für Geoingenieurwesen und Nachbergbau an der Technischen Fachhochschule „Georg Agricola“ in Bochum.

Um die Schächte und Stollen dauerhaft standsicher zu machen, müssen die Hohlräume mit Spezialbeton verfüllt werden. Man spricht von einer kursiven Verfüllung – bei dem Stollen unter der A40 kam diese Technik ebenfalls zum Einsatz. In den 1960er und 70er Jahren hat man hingegen oft nur mit Lockermaterial verfüllt, wie lockeres Gestein und Sand. Eine Fehlentscheidung, wie die Experten mittlerweile wissen: „Es hat sich gezeigt, dass das Lockermaterial nicht dauerhaft standfest ist. Insbesondere wenn Wasser in die Strukturen eindringt, wird das Füllmaterial rausgetragen“, so Melchers.

Ewigkeitslast Grubenwasser

Generell ist Wasser eine Bedrohung für Schächte und Stollen, die nicht bekannt oder verfüllt sind – auch in Zukunft. 2018 enden die Subventionen für den aktiven Steinkohlebergbau in NRW. Dann können die Pumpen, die aktuell das salzige Grubenwasser abführen und so ein Arbeiten unter Tage möglich machen, nicht einfach abgeschaltet werden. Sonst könnte das Grubenwasser so hoch steigen, dass es zum Beispiel auf einen einsturzgefährdeten Schacht trifft, der dann nachgibt.

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Die Zeche Prosper-Haniel in Bottrop ist eine der drei noch aktiven Steinkohlebergwerke in NRW. Hier wird Tiefenbergbau betrieben. 2018 ist auch für diese Zeche Schluss. Foto: Dieter Schütz / pixelio.de

Bergbau-Professor Melchers entwickelt zusammen mit der deutschen Steinkohle AG Strategien, wie hoch das Grubenwasser nach Ende des aktiven Steinkohlebergbaus in NRW maximal anstiegen darf. „Zurzeit gehen wir den Weg der größten Sicherheit. Man sagt, das Wasser steigt nicht höher an, als die Lagerstätte selbst. Das bedeutet im nördlichen Revier eine Tiefe irgendwo zwischen 400 und 500 Metern“, erklärt Melchers. „Die ganzen Strukturen im Süden sind nicht davon betroffen – dort besteht keine Gefahr durch ansteigendes Grubenwasser.“

Das liegt an der Struktur des Bergbaus im Ruhrgebiet. Diese sind zweigeteilt: Während im nördlichen Ruhrgebiet Tiefenbergbau betrieben wurde, zeichnet sich der Süden durch einen Steinkohleabbau aus, der sehr nah unter der Oberfläche stattgefunden hat. Besonders dieser tagesnahe Bergbau – oft wurde nur wenige Meter unter der Erde Kohle abgebaut – macht den Boden instabil und kann zu Brüchen an der Oberfläche führen, wie Mitte Juli in einem Wohngebiet in Witten. Um das zu verhindern, muss man herausfinden, wo die alten Hohlräume sind.

Das Risiko bleibt

Die Bezirksregierung Arnsberg scannt dafür im Moment die alten, noch vorhandenen Grubenbilder und vergleicht sie mit heutigen Karten. So kann die Lage der Schächte auf 10 bis 25 Meter bestimmt werden. Ein Team fährt dann mit einem Bohrer raus, um den Untergrund aufzuschließen, erklärt Dietmar Österle vom Dezernat Altbergbau der Bezirksregierung. „Sie stoßen Löcher in den Boden und irgendwann, wenn sie dann bei den Bohrungen eine Anomalie antreffen, sprich der Bohrer rutscht durch, haben sie einen Hohlraum getroffen. Man bohrt auch mit einer Wasserspülung. Wenn die Wasserspülung nicht mehr nach oben kommt, geht man auch von einer Lockerzone aus.“

Pro Jahr gibt das Land NRW zwei Millionen Euro für die Suche und Sicherung der Tagesöffnungen im Ruhrgebiet aus. Dabei wird eine Liste abgearbeitet: Alte Schächte, die zum Beispiel unter einem Wohngebiet liegen, stehen weiter oben. Wieder andere stehen noch gar nicht drauf, weil die Experten einfach nicht wissen, wo sie sich befinden. „Bis alle Schächte wirklich verfüllt sind und der ganze Altbergbau abgearbeitet ist, das werden wir nicht mehr erleben“, so Oesterle.

 

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