Duell: Entertainment oder Voyeurismus bei GNTM?

Das Duell GNTM Sinan Susanne
Vom tristen Alltag auf die Laufstege der Weltmetropolen – dieser vermeintliche Mädchentraum lockt Millionen Deutsche vor die Fernseher. Zwei Stunden lang, auf dem besten Sendeplatz, seit zehn Jahren. Heidi Klums Castingshow Germany’s Next Topmodel bietet Einblicke in die glamouröse Modewelt und fiese Intrigen – Hauptsache, es knallt. Für Sinan Krieger spannende Abendunterhaltung zum Mitfiebern. Bedenkliche Schaulust, findet Susanne Romanowski.

 „We love to entertain you“,

sagt Sinan Krieger.

Donnerstagabend, zehn Stunden Uni in den Beinen und die Füße auf dem Tisch – X:enius auf Arte brauche ich da nicht mehr. Ich will Heidi und ihre Mädels. Viel können die vielleicht nicht, meinen Donnerstag runden sie jedoch Mal für Mal ab. Warum? Germany’s Next Topmodel (GNTM) ist eine Mischung aus Castingshow und Reality-TV-Format und dient der Unterhaltung. Momentan läuft die zehnte Staffel, es scheint zu funktionieren. Schwer zu glauben, dass sich unter den durchschnittlich 2,6 Millionen Zuschauern ausschließlich Voyeure oder bildungsferne Menschen befinden.

Vielmehr ist GNTM gut in dem, was es verspricht: Entertainment. Hübsche Mädchen, Lästereien und Zickenkriege – es müssen nicht immer Nachrichten und Bildungsfernsehen sein. Vielmehr trifft GNTM den Zahn der Zeit. Individualisierungswahn samt Selfie-Zwang finden in diesem Format ihren Höhepunkt, keine Branche scheint so oberflächlich, wie die der Mode. Ein netter Charakter ist auf einem Foto nun mal nicht zu sehen, schlanke Beine hingegen schon.

Keiner wird gezwungen

Wer also keine Probleme damit hat, sich auf sein Äußeres beschränken zu lassen, kann besten Gewissens bei GNTM anheuern. Keine Kandidatin wird zum Mitmachen gezwungen. Vielmehr ist die Aussicht auf Ruhm der entscheidende Faktor, warum Castingshows im Allgemeinen so erfolgreich sind. Auch wir Zuschauer wollen mitfiebern. Im Endeffekt verhält es sich bei den Casting-Entscheidungen wie mit dem Elfmeterschießen, das uns den Atem anhalten lässt. „Ich habe heute leider kein Bild für dich“ – Wir brauchen Sieger und Verlierer. Wir brauchen Dinge, über die wir am nächsten Tag reden können. Das Format generiert diesen Gesprächsstoff so gut, wie kaum ein Anderes. Vielleicht nicht für eine Uni-Vorlesung, aber für den Pausenhof.

Spiegelbild statt Vorbild

„Du bist zu dick“, sagt Heidi Klum häufig. „Du bist zu blöd“, sagen die Kritiker. Die Wahrheit liegt meistens in der Mitte. Das Streben nach einem schlanken Körper ist in unserer Gesellschaft allgegenwärtig. Fitnesspläne, Diät-Ratgeber und Entschlackungskuren häufen sich nur so in den Frauenzeitschriften. Man ist nicht mehr dick, man hat seine „Problemzonen“ – ein Model sollte keine haben. Auf dem Laufsteg bleibt als Erscheinungsmerkmal nur das Äußere.

Ist diese Äußerlichkeit mit Makeln versehen, fehlt das Alleinstellungsmerkmal – die Antwort auf die Frage: „Was unterscheidet eine hübsche Frau von einem Supermodel?“. Genau diesem feinen Unterschied muss sich auch Heidi Klum beugen. Siegerinnen mit Rundungen wären für den Großteil der Bevölkerung vielleicht sympathischer, aber bei Weitem nicht so gefragt, wie Konkurrentinnen, die dem aktuellen Ideal der Modelbranche entsprechen: dünn und fit. Lena Gercke statt Claudia Roth.

GNTM als Plattform

Durch die sozialen Medien bietet GNTM den Kandidatinnen zudem eine weitere Chance: Aufmerksamkeit. Die jungen Frauen kommen ins Gespräch, werden bekannt. Mit Wolfgang Joop sitzt derweil ein weltweit anerkannter Designer in der Jury. Lena Gercke, Barbara Meier oder auch Anna Vanessa Hegelmaier sind nur Beispiele für Kandidatinnen, die im Anschluss den Durchbruch geschafft haben. Zieht man die aufgesetzten Zickereien, Heidis Piepstimme und die Werbeunterbrechungen ab, bleibt eine riesengroße mediale Plattform. GNTM ist das Instagram des TVs. Zeitgenössisch, modern und irgendwie gut.

„Voyeurismus der dümmsten Art“,

sagt Susanne Romanowski.

Episode zehn heißt „Bubble Gum“ – tatsächlich ist „Germany’s Next Topmodel“ ein Format, das man den Machern in die Haare schmieren will. Es ist knallbunt, zieht sich in die Länge und wird trotzdem schon nach kurzer Zeit geschmacklos. Gerade einmal sieben Minuten dauert es, bis die erste Kandidatin weint, kunstvoll mit Slowmotion inszeniert. Aber nicht nur die Kamera ist überall: Modelmama Heidi Klum steht schon um fünf Uhr früh unangemeldet in den Schlafzimmern der Mädchen, ihre Stimme kommentiert zusätzlich aus dem Off.

Diese Tränen sind Gold wert

Die Castingsendung selbst führt nur zu einem verschwindend geringen Teil des Einkommens Klums. 2011 wurde dieses vom Finanzmagazin „Forbes“ auf rund 20 Millonen Euro geschätzt – jährlich. Die Heidi-Klum-GmbH ist ein Familienunternehmen. Ihr Vater Günter Klum ist Chef der Modelagentur „one-eins“, bei der die Gewinnerinnen der Show unter Vertrag genommen werden. Welches Topmodel sich dort an den Knebelverträgen stört, ist diesen Status schnell los. So geschehen bei Jana Beller, Siegerin der sechsten Staffel. Kurz nachdem sie sich gegen zehntausende Konkurrentinnen durchgesetzt hatte, tauschte sie Designerkleid gegen Kittel. Heute leitet sie eine „Backwerk“-Filiale in München.

Vielleicht beißt sie donnerstagabends in eine Rosinenschnecke, wenn sie die Ambitionen der aktuellen „Mädchen“ verfolgt. Mit den Einschaltquoten sinkt jährlich auch die Selbstachtung der Kandidatinnen. Was Heidi sagt, ist „richtig gut“ und wenn ein Shooting nicht richtig gut läuft, dann folgt auf die Tränen die Erkenntnis: Das ist meine Schuld. Da kann Wolfgang Joop als gute Seele der Jury noch so viel trösten – die 20-jährige Lisa fürchtet dennoch, die Entscheidung am Ende der Folge „nicht zu überleben“. So viel Fatalismus in jungen Jahren hätte man einst nur Goethes Werther zugetraut. Doch „Germany’s Next Topmodel“ schießt dramaturgisch den Vogel ab, als Teilnehmerin Anu endlich ihren leiblichen Vater kennenlernt. Das ergriffene Mitschluchzen vor dem Bildschirm zahlt sich nicht nur für die Quote aus – nach so einem Auftritt hat Anu auch den nächsten Modeljob in der Tasche.

Natürlich nur ganz ironisch

Was macht ein Fernsehprogramm wie dieses mit seinen Zuschauern? Es amüsiert sie. Gerade in der Gruppe macht das profitable Gefühlschaos Spaß. Man kann gut den Kopf schütteln über Mädchen, die an der englischen Sprache verzweifeln, auf High Heels herumstorchen und sich gegenseitig die Augen auskratzen. Der ironisch distanzierte Rezipient denkt sich: „Eigentlich ist mein Leben doch relativ geil.“

Denn wie die Teilnehmerinnen so schön reflektieren: selbst schuld. Niemand zwingt die Grazien, sich dem Voyeurismus der studentischen Feierabendtruppe auszusetzen. Vielleicht sind manche Teilnehmerinnen naiv, manche schlicht blöd. Aber das macht das schamlose Gaffen nicht besser. „Germany’s Next Topmodel“ ist nur eine Ausprägung einer zweifelhaften Tendenz von „Dschungelcamp“ bis „Bauer sucht Frau“. Diese beschreibt kaum jemand so gut wie Felix Brummer, Frontmann der Band Kraftklub, im Song „Schüsse in die Luft“:  „Und alles ist gut solange die auf RTL noch bisschen dümmer sind als du“. Dann schießt er im Video in die Luft – „bang, bang, bang“ – hoffentlich trifft er dabei ein bisschen Bubble Gum.

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Foto: stockxchng/bizior, S. Hofschlaeger/pixelio.de. Montage: Fehling/Schweigmann.
Teaserfoto: Foto: Markus Tacker / flickr.com

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