Ein Beitrag von Matthias Wiesel
Er hat weder eine feste Route, noch genaue Zwischenstopps geplant. Denn auf dem Jakobsweg, will Lukas (22) vor allem frei sein. „Man muss in gewisser Weise naiv an die Sache gehen. Ich kann nicht alles planen“, sagt er. Zwei Monate soll die Tour dauern. Ängste hat er kaum, im Gegenteil: Wenn er sich die Pilgerroute auf der Karte anguckt, würde er am liebsten gleich losfahren.

Wenn sich Lukas Tölle die Pilgerkarte anguckt, würde er am liebsten direkt losfahren. Teaserfoto: Thomas Max Müller / pixelio.de. Fotos: Matthias Wiesel
„Ich muss das jetzt machen“, antwortete er seinen Freunden, als sie ihn nach dem „Warum“ fragten. Lange behielt Lukas die Idee für sich. Erst als er sich selbst ganz sicher war, erzählte er von seinem Vorhaben, den Jakobsweg mit dem Rad zu bestreiten. Nur wenige hatten dafür Verständnis, dass er für eine Radtour zwei Monate auf den Kontakt in die Heimat und auf Festivals und Partys verzichten wollte. „Der Gegenwind, den ich erfahren habe, hat mich zum Teil ganz schön runtergezogen“, erzählt Lukas. Größter Skeptiker war sein bester Kumpel.
Die Gedanken fliegen lassen
Lukas ist katholisch, aber der Jakobsweg hat für ihn keine religiöse Bedeutung. „Es geht mir nicht um die Gebeine des Apostels Jakobus, die in Santiago de Compostela liegen sollen. Es ist der Weg, der mich reizt“, sagt er und meint damit jenen Pilgerweg, der die Menschen seit über tausend Jahren in seinen Bann zieht. Die Menschen dort würde eines verbinden, sagt Lukas. „Sie sind in einer Lebensphase, in der sie viel nachdenken.“ Und das Radfahren ist für Lukas die beste Möglichkeit nachzudenken. „Ich liebe es auf dem Fahrrad zu sitzen und meine Gedanken fliegen zu lassen“, sagt er. Er will die Zeit nutzen, sich selbst ein bisschen besser kennen zu lernen und über seine Beziehungen zu Freunden und Familie nachdenken. „Die konkreten Fragen werden sich auf dem Weg ergeben“, sagt er und winkt ein: „Eine von ihnen könnte tatsächlich die Frage sein, ob es Gott gibt.“
Während die meisten Pilger zu Fuß losziehen, hat sich Lukas bewusst für das Fahrrad entschieden. „Ich fahre lieber 50 Kilometer mit dem Rad, als fünf Kilometer zu Fuß zu gehen“, sagt er. Zweimal war Lukas mit dem Rad in Amsterdam. Am Tag schaffe er 80 Kilometer, auch mit beladenem Fahrrad. Zwei Fahrradtaschen, Bundeswehrschlafsack und Zelt – mehr will Lukas nicht mitnehmen. Ein ziviles Outfit muss reichen; ob noch Platz für Notizbuch und Kamera ist, wird sich zeigen. Die Kamera allerdings soll analog sein. „Da habe ich dann nur 30 bis 40 Bilder und wähle die Motive ganz bewusst aus“, sagt er.
Es war sein Vater, der ihn fürs Radfahren begeisterte. „Er konnte mich sofort verstehen und wäre am liebsten selbst mitgefahren“, erzählt Lukas. „Er hat noch nicht einmal nach dem Grund gefragt.“
Das „geilste Geschenk“ war eine Pilgerkarte
Seine Mutter aber überraschte ihn am meisten. Von ihr habe Lukas das „geilste Geschenk“ bekommen: Eine Karte von Westeuropa, auf der alle Jakobswege verzeichnet sind. „Wenn ich die ausfalte, bekomme ich richtig Bock loszufahren“. Einer der eingezeichneten Wege durchzieht Dortmund. Hier, in seiner Heimat, will Lukas am 2. Juli starten. Eine genaue Route hat er nicht festgelegt. „Ich gucke mir vorher die Orte aus und fahre dann nach Straßenschildern“. Wenn er nicht immer genau dem Jakobsweg folge, mache das nichts. Fahrradkarte oder Pilgerbücher mitzuschleppen, ist für ihn tabu. „Ich will mein eigenes Ding machen“, sagt er. Klar habe er im Internet Erfahrungsberichte gelesen und sich das Buch von Hape Kerkeling besorgt. Aber zu sehr beeinflussen lassen will er sich nicht.
Lukas hat sich ausgerechnet, dass er gut einen Monat an reiner Fahrzeit brauchen wird. Doppelt so viel Zeit hat er eingeplant, um sich Orte näher angucken zu können oder mal einen Tag Pause zu machen. Den größten Respekt hat er vor den Bergen. Aber die Tour abzubrechen kommt für ihn nicht in Frage. „Im Notfall fahre ich eine Etappe mit dem Zug. Aber nur wenn ich merke, dass ich nicht genügend Zeit habe“. Die letzen 200 Kilometer will er auf jeden Fall radeln. Das sei offizielle Pilgerregel.
Zehn Euro pro Tag
Während der Tour will Lukas ganz spartanisch leben, möglichst oft in freier Natur wildcampen. Zehn Euro pro Tag müssen reichen. Und die will er nicht gerade für die Übernachtung ausgeben. „Auch wenn ich die Pilgerherbergen natürlich mal ausprobieren werde“, sagt er. Was andere Übernachtungsgäste angeht, zeigt er sich schmerzfrei: „Da sind dann zwar zum Teil 100 bis 200 ungewaschene Leute, die stinken und schnarchen. Aber ich bin ja einer von ihnen.“
Er hat nie an seinem Plan gezweifelt, den Jakobsweg zu bewältigen. „Jetzt habe ich die Zeit dazu. Diese Gelegenheit kriege ich nie wieder.“ Er ist an einem Punkt in seinem Leben, an dem er das machen will, was ihm gefällt. Erst vor einigen Monaten hat er die Ausbildung als Außenhandelskaufmann abgebrochen und sich für Soziale Arbeit entschieden. Das Studium beginnt im Wintersemester. Deshalb sei der Sommer genau der richtige Zeitpunkt.
Lukas ist offen für alles, was ihn auf dem Weg erwartet. „Ich weiß nicht, in welcher Verfassung ich in Santiago ankommen werde. Aber ich kann mir alles vorstellen: Von erleuchtet bis halbtot.“ Noch sind es zwei Monate, bis die Reise für Lukas beginnt. Dann will er sein Rad durch das Gartentor in Dortmund-Wickede schieben und einfach losfahren. Ohne großes Brimborium. „Ich komme ja wieder“, sagt er und wirkt zuversichtlich, dass er sein Abenteuer bestehen wird.