Partyforscher: Mayday ist die Mutter aller Schlachten

Zwei Jahre lang war er selbst mittendrin, heute erforscht er die Techno-Szene nur noch aus der Distanz. Der Soziologie-Professor Ronald Hitzler weiß, wie man richtig Party macht. Im Interview mit pflichtlektuere online erzählt er, was er über die Mayday, die Techno-Szene und Drogen herausgefunden hat.

Eine ungewöhliche Kombination: Prof. Dr. Hitzler fühlt sich in der Techno-Szene zu Hause. Foto: Christian Schauderna

Ungewöhnliche Kombi: Prof. Dr. Hitzler fühlt sich in der Techno-Szene zu Hause. Foto: C. Schauderna

Sie bezeichnen die Mayday als eine der imposantesten Massenveranstaltungen der Techno-Szene. Was unterscheidet die sie von anderen Raves?

Die Mayday ist die Mutter aller Schlachten, hätte ich fast gesagt. Sie war im Grunde der Impulsgeber dafür, dass man diese Großraves überhaupt als eine faszinierende Form erlebt hat. Das Wahnsinnige an der Mayday ist die Arena, dieser Kessel. Da ist das Erlebnis dermaßen unbeschreiblich anders, als in anderen Hallen. Ich werde dort nicht von einem Frontal-Lärm erschlagen, sondern ich bin in etwas drin, das höllisch laut ist, mich aber sofort Gefangen nimmt. Der Körper fängt da ganz von selbst an, was zu machen.

Vor 15 Jahren waren Sie, auf  Drängen ihrer Studenten hin, auf ihrem ersten Rave. Wenn Sie sich zurückerinnern: Was hat Sie damals so fasziniert?

Tatsächlich hatte ich zunächst Angst, weil ich keine Ahnung hatte, was dort passiert. Ich wusste nur: Da sind völlig verrückte Leute! Die toben wie die Irren durch die Gegend, nehmen Drogen ein und sind nicht mehr kontrollierbar. Eigentlich fühl ich mich nicht wohl, wenn um mich rum sehr viele Menschen sind. Ich würde zum Beispiel nie auf die Idee kommen, zum Public Viewing bei der Weltmeisterschaft zu gehen. Ich hatte da aber den Eindruck: Es geht mir richtig gut zwischen den Leuten. Schon bevor ich in die Halle kam, hatte ich die Raver als extrem geschmeidiges Völkchen kennen gelernt. Die Raver selber sind manchmal völlig durchgeknallt, aber sie sind absolut nicht aggressiv. Und das ist geil! Ich bin am nächsten Morgen zurückgekommen und hab zu meiner Liebsten gesagt: Das ist es! 

Die jungen Leute von Heute scheinen Ihre Begeisterung nicht unbedingt zu teilen – In der Szene spricht man von einem mangelnden Publikumszulauf. Warum interessiert sich die Jugend nicht mehr für Techno?

Es ist so: In den frühen 90er Jahren bis nach der Mitte der 90er Jahre haben Schüler oder Studenten damit angeben können: „Ich war auf der Loveparade“. Dann wurden es immer mehr und mehr. Techno war plötzlich so erfolgreich, dass man nicht mehr damit angeben konnte. Nach ganz kurzer Zeit war es eher peinlich, dabei gewesen zu sein. Und plötzlich hieß es: „Da gehen doch nur die aus der Provinz hin. Die Letzten, die noch meinen, Arschgeweih sei schick.“ Deswegen sind die jungen Leute dann reihenweise in andere Szenen abgewandert.

Kann man dann überhaupt noch von einer Jugendszene sprechen?

Aber natürlich! Weil Jugend nichts damit zu tun hat, wie alt man ist, sondern wie man mental unterwegs ist. Es geht einfach darum, wie du drauf bist. Jugendlichkeit hat etwas damit zu tun, dass man sich einfach um den Scheiß nicht kümmert, der für Erwachsene wichtig ist. Nach dem Motto: Wenn Party ist, ist Party. Und da gibt’s ganz viele ziemlich alte Leute, die sind zumindest manchmal so drauf.

Wenn Techno in heutigen Zeiten nicht mehr angesagt ist, warum kommen dann trotzdem noch 25.000 Leute aus ganz Europa zur Mayday? Ist das nicht ein Widerspruch?

Nein, bei den Massenveranstaltungen ist das etwas anderes, die haben eine gewisse Strahlkraft. Das sind tolle Veranstaltungen für junge Leute. Die haben allerdings nur noch sehr wenig mit Techno zu tun. Die wissen, da ist eine Riesen Party, jeden 30. April und da gibt’s 15 Stunden Party für 50 oder 60 Euro. Das ist super, geil! Das ist ein Angebot, das kann man nicht ablehnen. Da geht es nicht unbedingt darum, Techno zu hören.

Also keine Vollblut-Raver, keine Exoten mit „viel Haut, Bauchnabelpiercing und dicken Titten“, wie Sie es einst so schön beschrieben haben, mehr?

Naja, es gibt immer noch so Leute: Auch die kleinen Mädchen mit den Zöpfen und den Sonnenblumen im Haar und Stulpen. Aber man muss inzwischen schon einen verwegenen Charakter haben, wenn man sowas anzieht. Nein, ich muss das an dieser Stelle korrigieren. Die Mayday ist schon noch ein richtiges Szene-Event, wenn nicht sogar das Szene-Event. Ohne Techno wäre die gar nicht denkbar, im Gegensatz zur Loveparade zum Beispiel. Das ist etwas ganz anderes, hat aber nichts damit zu tun, dass die Szene tatsächlich schrumpft.

Wie schlecht geht es der Techno-Szene insgesamt?

Die Szene ist ungeheuer geschrumpft. Die Leute kommen einfach nicht mehr hin, Clubs müssen schließen und die Gagen werden kleiner. Auch wenn es schwer fällt und ich mich in der Techno Szene zu Hause fühle: Ich wünsche mir, dass alles erstmal ein wenig zur Ruhe kommt, also runterfährt. Man soll wieder anfangen, innovative Ideen zu entwickeln und neues Leben in die Szene bringen, damit die Leute nicht mehr den Eindruck haben, sie gehen auf eine Ü-30 Party.

Wenn wir schon über Entwicklungen reden: Die Szene wird ja immer wieder mit Drogen in Verbindung gebracht. Hat sich da auch etwas verändert?

Ich kenne niemanden, der Drogen nimmt, ich kenne auch niemanden, der einen kennt, der Drogen nimmt und ich weiß überhaupt nicht, welche Drogen überhaupt genommen werden. Nein im Ernst, das ist eine ungeheuer heikle Frage. Wir reden hier schließlich von einer Sache, die zwar nicht der liebe Gott, aber immerhin der deutsche Staat verboten hat.

Wir müssen ja nicht unbedingt über illegale Drogen reden. In einem Interview haben Sie gesagt, dass nur noch gesoffen und geraucht wird. Ist das Ihrer Meinung nach gut oder schlecht für die Szene?

Was wir wissen ist, dass inzwischen tatsächlich der Alkohol wieder die Hauptdroge ist. Nikotin sowieso. Leider muss man sagen. Denn es bringt die Leute in eine ganz andere Verfassung. Drogen sind Drogen und dazu da, dass man eine „weiche Birne“ bekommt, ob sie legal sind oder nicht. Nach wie vor gibt es eine ganz bestimmte Art von illegalen Drogen, die genau das Gemeinschaftsgefühl, dass die Raver kennzeichnet, heftig unterstützt. Das sogenannte Ecstasy. Durch die Ausschüttung von Serotonin wird man ganz sanft und weich und hat den Eindruck, alles sei ganz wunderbar. Und das ist das Gefühl, das die Raver gesucht haben und das wurde von dieser Art von Drogen unterstützt. Das macht Alkohol genau nicht.

Foto: turock

Alkohol ist wieder Partydroge Nr. 1! Foto: turock

Wieso nehmen die Leute kein Ecstasy mehr?

Inzwischen wissen wir natürlich wesentlich mehr über Ecstasy und diese Naivität des Gebrauchs von Ecstasy ist bei den Ravern inzwischen verschwunden. Früher dachten sie, man könne das einfach einwerfen, wie Drops.

Die Raver haben also gelernt, wie viel man nehmen muss?

Nein, man weiß inzwischen überhaupt, was passieren kann. Dass Synopsenschaltungen in‘ Arsch gehen, und zwar richtig in‘ Arsch gehen. Dass es extreme Nierenschäden nach sich ziehen kann und so weiter. Das lässt die Leute Abstand davon nehmen. Es gab Zeiten, da hat man gesagt: „Geh auf ne Techno-Party da haben 95% Ecstasy eingepfiffen“. Das hat noch nie gestimmt! Aber die Dichte an Einnahme dieser Substanz war deutlich höher, als sie es jetzt ist. Ecstasy ist inzwischen eine Gelegenheits- oder Minderheitsdroge. Früher war es eine Philosophie. Das ist wie LSD bei den Hippies. Die Philosophie hieß: „Hey ich bin hier mit den richtigen Leuten zusammen und ich mag sie alle. Kann man da noch was zutun?“

Sind die Raves denn dann überhaupt noch das, was sie mal waren?

Es war eine ungetrübtere, andere Stimmung. Heute sind sehr viele Veranstaltungen so, dass man gehen will, weil dort eine brutale Saufstimmung herrscht. Dieses typische Alkoholverhalten: Laut und blöd. Die Leute sind aggressiv oder prügeln sich. Insofern hat es sich verändert. Die alte Rave-Philosophie bestimmt nicht mehr wirklich die Atmosphäre dort drinnen.

Liegt das also auch daran, dass weniger harte Drogen konsumiert werden?

Ja, ravetechnisch gesprochen werden die falschen Drogen konsumiert. Klar!

Das hieße ja, man kann nur „richtig“ raven, wenn man die passenden Drogen nimmt…

Sie können auch wunderbar ohne Drogen  raven. Sie stehen in einem Raum von Musik. Die Musik hüllt Sie praktisch ein. Dann haben Sie ganz bestimmte Rhythmik und die treibt alles mögliche an. Sie können sich, sehr sehr schnell in einen Zustand hinein tanzen, wo sie im Grunde nicht mehr alltägliches Erleben haben. Natürlich geht das mit Verwendung der richtigen Drogen besser, schneller. Nur weiß die Szene inzwischen, dass man’s halt nicht umsonst kriegt. Das Elend besteht nicht darin, dass man nicht mehr so viel Ecstasy nimmt, sondern dass man soviel säuft. Das ist das Problem des Raves heute.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert