Slam der toten Dichter

Wilhelm Busch kennen wir alle. Ein lustiger Herr mit Rauschebart, der uns besonders durch seine im Cartoonstil erzählte Geschichte von Max und Moritz in Erinnerung geblieben ist. Gestorben ist er 1908. Beim Bochumer „Dead or Alive Slam“  zeigte er sich – auferstanden aus seinem Grab – lebendig, aber auch in Kampfeslaune. Gemeinsam mit drei anderen literarischen Größen aus der Vergangenheit stürzte er sich in ein verbales Battle mit vier Poetry-Slammern. Altmodische Poesie vs. flotten Bühnenslam – was ist heutzutage gefragt?

Das Team Alive  Foto: Larissa Pluschke

Das Team Alive Foto: Larissa Pluschke

Langsam hebt sich eine Bodenplatte aus dem Kellergeschoss auf die Höhe der Bühne und befördert vier tote Dichter mitten ins Bochumer Schauspielhaus. Sie stehen zwischen Kränzen und starren mit irrem Blick ins Publikum, wissend, dass sie gleich in einen Kampf um ihre traditionelle Literatur ziehen werden. Besonders Virginia Woolf wirkt entspannt, sie zwinkert ins Publikum und lässt noch einmal gefährlich ihre Zähne aufblitzen. Steif und unbeholfen verlassen die Literaturlegenden dann ihr Podest, um hinter die Bühne zu gelangen. Ob diese alten Zombie-Poeten eine Chance gegen die frischen Slammer haben?

Die vier Slammer sind entspannt, voller Elan springen sie auf die Bühne. Sie alle haben schon einige Slams gewonnen, Preise abgesahnt, vielen anderen verbal den Arsch versohlt – doch gegen tote Legenden zu kämpfen ist für alle eine Premiere. Das Publikum johlt, jeder freut sich auf das Spektakel.

Das Publikum als Fachjury

Friedrich Hebbel (Jürgen Hartmann) bei seinem Vortrag  Foto: Larissa Pluschke

Friedrich Hebbel (Jürgen Hartmann) bei seinem Vortrag Foto: Larissa Pluschke

Doch bevor es losgeht, müssen noch einige Dinge geklärt werden – die Regeln zum Beispiel: zwei Teams, vier Battles. Jeder der Slammer tritt gegen einen der toten Dichter an, danach gibt es Punkte für die jeweilige Darbietung. Die einzelnen Punkte werden am Ende addiert, so dass zwei Teamwertungen entstehen. Ein bis zehn Punkte können den Poeten verliehen werden – aber von wem eigentlich? Die Jury wird spontan im Publikum gesucht. Moderator Sebastian23, selbst einer der bekanntesten Poetry-Slammer Deutschlands, sucht sieben Freiwillige und schnell sind welche gefunden. „Warum seid ihr geeignet, um hier entscheiden zu dürfen?“, fragt er sie. „Ich war schon auf vielen Slams und habe den Vergleich“ und  „wir sind mit der größten Gruppe hier“, lauten die Antworten. Zur Sicherheit zieht Sebastian23 immer die höchste und die niedrigste Bewertung der Jury ab. „Könnte ja sein, dass ein Feind oder Mutti im Publikum sitzen“, erklärt er. Jury und Regeln stehen fest, der Slam kann beginnen.

Schnell explodiert die Stimmung, die Slammer tragen ihre Texte nicht nur vor, sie fühlen ihre Texte und überzeugen das Publikum. Den ganzen Abend über wird nicht einmal eine schlechtere Bewertung als sechs Punkte abgegeben. Besonders viel Begeisterung und besonders viele Punkte erntet dabei der Slammer Christian Ritter mit seinem Text „Ihr werdet alle sterben“.

Auf der Seite der toten Dichter überzeugt vor allem Fjodor M. Dostojewski im Schlafanzug mit einem Text, den er unglaublich emotional vorträgt. Er schreit, flüstert und die Tränen glänzen in seinen Augen wenn er erzählt, wie eine alte Stute totgepeitscht wird. Dostojewskis Text nimmt die Zuschauer mit auf eine emotionale Achterbahnfahrt, aus der am Ende selbst die strenge Jury mit einer Wertung von 9 oder 10 Punkten aussteigt.

Mit Silberpokal zurück in die Gruft

200 Punkte können die Teams maximal erreichen, der Punktestand lautet schließlich: 162 für Team Dead zu 183 für Team Alive. Doch im Finale gibt es noch weitere 25 Punkte zu vergeben. Die beiden besten Poeten, Dichter Dostojewski und Slammer Christian Ritter, treten dafür in einem Duell gegeneinander an. Der Applaus des Publikums entscheidet für Dostojewski und das Team der toten Dichter erhält noch 25 Bonuspunkte. Der neue Endstand: 187 zu 183. Traditionelle Literatur ist eben immer noch populär, wie das Duell im Bochumer Schauspielhaus zeigt. Poetry-Slammer und Dichter gratulieren sich gegenseitig für das gute Battle und trinken zusammen einen Sekt. Anschließend entschwanden die toten Dichter schnell mit dem Sieg und dem glänzenden Silberpokal in ihre Gruft.

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