Ein neuer Fan im schwarz-gelben Jubelmeer

Ich bin eigentlich kein Fußballfan. Klar, die WM guck ich mir an, aber ich halte es da, wie die Menschen, die nur zu Weihnachten in die Kirche gehen: Ich suche mir einfach das Schönste heraus. Ich gehe nur zum Public Viewing, wenn Deutschland während der Weltmeisterschaft spielt und falls die Mannschaft verliert, nehme ich es auch nicht sonderlich schwer. Kurz gesagt: Es ist mir egal, ob ein Spiel gut war − Hauptsache die Stimmung danach ist es! Deshalb durfte ich als „Parasiten-Fan“ an diesem Wochenende auch in der Dortmunder Innenstadt nicht fehlen, denn da hat Borussia Dortmund mit einem großen Jubelkorso den 2:1-Sieg beim DFB Pokalfinale am Samstag (27.5.) gefeiert.

In ganz Dortmund sah man am Sonntag nur schwarz-gelb.

Sonntag, 15 Uhr, 26 Grad: Ich schnappe mir den BVB-Schal von meinem Freund, meine beste Freundin und eine Flasche Wasser (aus Plastik natürlich, weil Glas heute in der Innenstadt verboten ist!) und mache mich auf den Weg zum Dortmunder Hauptbahnhof. Bevor ich aus dem Haus gehe, frage ich mich noch kurz, ob es wohl ein Problem ist, dass die Farbe meines T-Shirts gefährlich nahe dran ist am Blau von Schalke 04. Ach egal, der schwarz-gelbe Schal hängt ja um meine Schultern – das muss reichen.

Die Luft draußen ist feucht-schwül und wäre das blaue T-Shirt nicht, würde ich den Schal jetzt schon direkt wieder einpacken. Aber ich beschließe ihn erst mal da zu belassen, wo er ist. Integration ist ja auch wichtig für ein authentisches Fanerlebnis. Auf meinem Weg durch die kleineren Straßen des Klinikviertels sehe ich schon die ersten schwarz-gelben Gestalten herumstromern. Ein Mann in einem schwarz-gelb gestreiften Polohemd hält einen kleinen Jungen an der Hand und ich frage mich amüsiert, ob er vielleicht dasselbe Kleiderproblem hatte wie ich selbst und nur ein bisschen besser ausgestattet ist. Als ich an den Wall komme, sehe ich eine Reihe pinker Dixi-Klos mit gelben Herzen darauf. Sogar die haben sich heute gegen ihr klassisches Blau-weiß entschieden.

Auf dem Weg zum Hauptbahnhof kommen uns dann immer mehr Fans entgegen. Zweimal höre ich dumme Sprüche und Pfiffe von offensichtlich angetrunkenen Männergruppen und bereue schon, mich für eine kurze Hose entschieden zu haben. Jetzt weiß ich auch wieder, warum ich an heißen Tagen eigentlich Fußballfans meide. Das wird am Borsigplatz heute auf jeden Fall schwierig und genau da wollen wir ja hin. Ins Herz der Party, ins Herz des BVB. Wenn es in der Dortmunder Fußballwelt einen Anlass zum Feiern gibt, dann gehen echte Fans zum Borsigplatz. Das weiß sogar ich – das ist quasi Pflicht! Genauso wie ein gutes Dortmunder Bier in der Hand. Das zu bekommen ist aber schwieriger als gedacht: Alles ausverkauft. Egal, später! 

15:30 Uhr: Der Borsigplatz – das Herz der Party

Wir verlassen uns auf die Rudelintelligenz und trotten einfach der schwarz-gelben Masse hinterher. Rein in die U-Bahn, zwei Stationen fahren und wieder raus. Alle sind gut drauf, die ersten Fangesänge werden angestimmt. Was mich als ursprüngliche Schleswig-Holsteinerin – und somit nur vertraut mit den Fangesängen des HSV – erstaunt: Die Texte sind fast identisch, bis auf die obligatorischen Städte- und Regionennamen. Statt der Nummer Eins im Norden ist man hier die Nummer Eins im Pott und statt Hamburger sind wir hier alle Dortmunder Jungs. Na ja, das macht das Mitsingen einfacher, denke ich. Aber bin bis jetzt noch still. Erst mal ein bisschen beobachten, was noch so passiert. Und ich hatte ja immer noch kein Bier – im Gegensatz zu den allermeisten anderen hier!

Auf dem Borsigplatz drängen sich die Menschen. Es ist super laut und wuselig. Immer wieder schreit jemand „BVB!“ und die Umstehenden antworten ebenfalls mit einem tiefen „BVB!“. Immerhin sind sich alle einig. Wir umrunden den Platz und betrachten die Menschen einmal näher, die hier ihre Mannschaft feiern wollen. Kinder mit BVB-Kappen auf dem Kopf und ihren Eltern an der Hand gestikulieren wild, Paare, in Schwarz-gelb gekleidet, liegen sich im Arm und Gruppen unterschiedlicherer Altersklassen sind zum Feiern hier, trinken Bier, lachen und springen auf der Stelle. Auch wir haben endlich unser erstes Bier getrunken und stoßen mit umstehenden Fans an. Ich fühle mich fast schon integriert.

Viele Anwohner haben BVB-Flaggen und Transparente aus den Fenstern gehängt. Sie stehen auf Balkonen und sitzen an Fenster, lassen zum Teil ihre Beine baumeln und gucken auf die schwarz-gelbe Menge herab. Ich bin ein wenig neidisch auf diese Premiumplätze, zum einen, weil der Anblick dieser Masse bestimmt ungeheuer eindrucksvoll ist, zum anderen aber ist auch der ständige Zugang zu Wasser, Toiletten und Schatten an diesem Tag eine Vorstellung, die ziemlich reizvoll erscheint. Denn natürlich reicht eine einzige Wasserflasche doch nicht. Einige schütten Wasser auf uns auf dem Platz, um diese Ungleichheit ein wenig auszugleichen und uns eine kleine Abkühlung zu bereiten. Und in der Tat ist das neben der Bierdusche, die wir sonst abbekommen eine ganz nette Abwechslung.

17:00 Uhr: Wir sind alle Dortmunder Jungs!

Pierre-Emerick Aubameyang, der den Elfmeter zum Pokalsieg des BVB schoss, ist einer der wenigen Spieler, die unsere Autorin erkannt hat.

Die Spieler lassen uns ganz schön warten! Ursprünglich sollte der Korso vor fast einer Stunde am Borsigplatz eintreffen. Langsam werden wir ungeduldig, aber jetzt bleiben wir natürlich. Die Mannschaft dürfen wir uns ja nicht entgehen lassen! Auf der Toilette, für die man 50 Cent in eine kleine Schale klirren lassen muss und auf der man ja bekanntlich immer die spannendsten Geschichten hört, wird schon gemunkelt: „Die kommen doch eh nicht mehr! Ich geh gleich nach Hause!“ Ein anderes Mädchen hält dagegen: „Quatsch, der Flieger hatte nur Verspätung.“

Und recht hat sie. Denn nicht einmal zehn Minuten später ist es endlich soweit: Die Mannschaft fährt auf einem gelben Bus unter lauter Musik und ohrenbetäubendem Getöse der Fans ein. Die Spieler winken, strahlen, recken die Fäuste in die Höhe und Trainer Thomas Tuchel hält den Fans den goldenen Pokal entgegen. Fünf Spieler erkenne ich, den Rest nicht. Ist auch egal, die Stimmung ist auf dem Höhepunkt! Jetzt stimmen auch wir Gelegenheits-Fans in die Gesänge mit ein und hüpfen zusammen mit dem gesamten schwarz-gelben Meer auf dem Borsigplatz. Wir jubeln und singen ebenso wie die, die jeden zweiten Samstag in der Südkurve stehen. Oder zumindest mit ihnen zusammen. Klar, sind wir die Nummer Eins im Pott, klar, sind wir alle Dortmunder Jungs! 

Der Wagen der Mannschaft fährt zwei Runden um den Platz. Mittlerweile haben wir uns mit vielen anderen Fans dazu hinreißen lassen, auf die Rasenfläche in der Mitte des Platzes zu rennen, die vorher frei von Menschen war. Wir laufen dem Wagen hinterher, machen Fotos und singen. Als der Mannschaftswagen den Borsigplatz verlässt und in die Oesterholzstraße einbiegt, folgen wir ebenso euphorisch. Wir laufen in einem riesigen Zug durch Dortmunds Straßen – vorbei an den Menschen, die auf ihren Balkonen und von ihren Fenstern aus das Spektakel beobachten, an Schaufenstern und Kiosken, die über und über mit schwarz-gelben Fanartikeln geschmückt sind, an kleinen Ständen, die an der Straße Bier und BVB-Schals verkaufen, aber auch an Erste-Hilfe-Personal, das die Leute behandelt, denen das heiße Wetter, das Bier, die Menschenmasse oder eine Kombination aus allen diesen Dingen nicht gut getan hat. 

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17:45 Uhr: Euphorisch durch die Fußball-Stadt 

Auch ich hab durch den ganzen Trubel, die Aufregung, die Gesänge und die Party gar nicht mitbekommen, wie heiß es in der prallen Sonne ist. Auf einmal hab ich keine Lust mehr. Offenbar bin ich da nicht die Einzige: Als die Mannschaft von der Weißenburger Straße auf die Geschwister-Scholl-Straße abbiegt, verabschieden sich viele Fans vom Korso. Wir beschließen, uns ihnen anzuschließen und in der Innenstadt zur Stärkung was zu essen. Und so endet auch dieser Tag, wie so viele in Dortmund, in der Brückstraße. Auch hier sind wir nicht alleine: Über die ganze Straße verteilt sitzen schwarz-gelb gekleidete Menschen vor den kleinen Läden und essen. 

Die Stadt ist bis in den späten Abend voll von Fußballfans und entgegen meiner Erwartungen vom Hinweg wurden weder ich noch meine Freundin doof angemacht. Die meisten Fußballfans können also doch ganz lieb sein, wenn sie wollen und wenn sie einen Sieg feiern, denke ich, als ich durch die immer noch schwarz-gelbe Innenstadt laufe. Die Menschen, die Schaufenster, die Häuser, die Straßen, alles ist voller Sieges-Fieber. Dortmund ist und bleibt eine Fußballstadt. Und ich fühl mich nach diesem Tag, als ich nach Hause gehe, ein bisschen mehr wie eine Dortmunderin. Und ein bisschen mehr wie ein echter Fußballfan.

Bilder: Lisa Oppermann

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