Astronautenlegende Thomas Reiter im pflichtlektüre-Interview

Das Audimax der TU Dortmund wurde zu Cape Canaveral, als dort der erfahrenste europäische Raumfahrer landete. Der Astronaut, der sich als achter Deutscher ins All schießen ließund insgesamt knapp ein Jahr im Weltraum verbrachte. Der Astronaut, den Millionen um seinen Flug in die Schwerelosigkeit beneiden: Thomas Reiter.

Thomas Reiter erklärt seine Sicht auf die Dinge.

Thomas Reiter erklärt seine Sicht auf die Dinge.

Reiter erzählte von seiner Zeit in der Umlaufbahn. Vom Leben in einer kleinen Kajüte mit Blick „auf unseren wunderschönen Planeten“. Vom Essen und Schlafen in der Schwerelosigkeit. Vom Sportprogramm. Und von seinem Außenbordeinsatz. „Der wird oft Spaziergang genannt, aber mit einem Spaziergang hat das nichts zu tun. Das ist harte Arbeit“, sagte Reiter. Nach dem Vortrag nutzte pflichtlektüre-Mitarbeiterin Susann Eberlein die Gelegenheit, Thomas Reiter einige Fragen zu stellen.

pflichtlektüre online: Herr Reiter, warum sind Sie eigentlich Astronaut geworden?

Thomas Reiter: Ich denke, dass ist so ein kleines bisschen ein Menschheitstraum. Neugierde ist ja eine typisch menschliche Eigenschaft. Das Unbekannte zu entdecken und erkunden. So wie Wissenschaftler in abstrakter Weise neue Horizonte entdecken, das Wissen erweitern, so tun es eben Entdecker, in dem sie mit ihrem eigenen Körper in neue Regionen vorstoßen. Die Raumfahrt ist eben genau das und das ist das, was mich an diesem Beruf so fasziniert.

pflichtlektüre online: Auf Ihren zwei Raumflügen waren sie insgesamt 350 Tage, vier Stunden und 55 Minuten im All. Was haben Sie während dieser Zeit am meisten vermisst?

Thomas Reiter: Erstmal nichts. Man hat sich ja gewünscht, dort einmal hinzukommen und ist dann froh, wenn man am Ziel seiner Träume angelangt ist. Nun muss man allerdings sagen, dass ein halbes Jahr sehr lange ist und man natürlich nach mehreren Monaten beispielsweise frisch zubereitetes Essen vermisst. Man vermisst es, sich einfach mal unter eine Dusche zu stellen, über eine Wiese zu gehen, den Duft von Blumen zu genießen.

pflichtlektüre online: Am 20. Juli 1969 betraten Neil Armstrong und Edwin Aldrin den Mond. Welche Bedeutung hatte dieser „kleine Schritt“ für die Weltbevölkerung aus Ihrer Sicht?

Thomas Reiter: Ich denke, dass das wirklich eine kulturelle Bereicherung der Menschheit insgesamt war. Wenn man sich heute überlegt, wie viele Menschen das damals verfolgt haben, dann spricht das eigentlich für sich. Nun kann man lange darüber streiten, was der wissenschaftliche Nutzen war. Man hat ja in diesen Mondmissionen schon eine ganze Menge Erkenntnisse gewonnen. Aber auch wenn das nicht so gewesen wäre, allein die Tatsache, dass es Menschen geschafft haben, zu einem Ort hinzureisen, der über Jahrtausende immer wieder von Menschen begeistert betrachtet wurde, finde ich faszinierend. Es ist einfach diese Leistung und gewissermaßen ein urmenschliches Bedürfnis, das Unbekannte zu erforschen.

pflichtlektüre online: Und wie sieht es heute aus? Welchen Nutzen haben Raumfahrtmissionen für das Leben auf der Erde?

Thomas Reiter: Viele Prozesse, die sich hier auf der Erde abspielen, sei es im menschlichen Körper, in Pflanzen, in Materialien, in Schmelzen, werden von der Schwerkraft ganz massiv beeinflusst. Wenn ich jetzt die Schwerkraft wegnehme, dann verändert sich die Reaktion des Körpers, von Pflanzen. Es verändern sich bestimmte physikalische Prozesse. In dem ich diese untersuche, kann ich Erkenntnisse erlangen, die mir hier auf der Erde immer verborgen blieben würden. Ganz konkret geht es dabei um Antworten auf Fragen, die zur Behandlung bestimmter Erkrankungen von Nutzen sind. Zum Beispiel weiß man bis heute nicht, was die Osteporose auslöst. In dem Moment, in dem man in die Schwerelosigkeit kommt, gibt der Knochen Calcium ab. Und das Skelett verhält sich als hätte man Osteoporose. Es ist das Ziel, das Problem an der Wurzel anzufassen und genau nach denen wird in der Schwerelosigkeit geforscht.

Gespannte Gesichter - das Publikum war von Reiters Vortrag begeistert.

Gespannte Gesichter - das Publikum war von Reiters Vortrag begeistert.

pflichtlektüre online: Es gibt einen neuen Trend: Reiche Menschen erkaufen sich das Erlebnis, von oben auf die Erde schauen zu können. Was halten Sie davon? Ist das eine Förderung für die Raumfahrt oder eher Geldschneiderei?

Thomas Reiter: Es ist sicherlich keine Förderung in dem Sinne. Aber es sind die ersten Schritte in Richtung einer Kommerzialisierung der Raumfahrt. Als die Fliegerei entdeckt wurde, da waren die ersten Flüge auch extrem teuer. Nur wenige konnten sich das leisten. Aber heute ist es so, dass man für einen Apfel und ein Ei, wie man so schön sagt, in den Urlaub quer über den Atlantik fliegen kann. Und ich denke, so wird es auch in der Raumfahrt passieren. Insofern zeigen die, die heute diese ersten Schritte machen, dass es nicht nur den hochspezialisierten Menschen wie Astronauten möglich ist, dort hochzufliegen, sondern auch ganz normalen Menschen. Das es noch sehr teuer ist, ist klar. Es wird auch noch ein langer Weg sein, bis es so günstig ist, dass man für einen Preis, für den man sonst ans Mittelmeer fliegt, in den Weltraum kommt. Aber ich würde mir wünschen, dass dieser Tag lieber morgen als übermorgen wäre. Diesen Blick von da oben sollten viele erleben können, weil ich fest davon überzeugt bin, dass das unser Zusammenleben hier auf der Erde verbessern würde.

pflichtlektüre online: Aha, warum das? Ändert sich der Blick auf die Dinge, die auf der Erde passieren, wenn man selber so weit weg ist?

Thomas Reiter: Viele der Probleme, die uns hier so tagtäglich Gedanken machen, relativeren sich dort oben. In der Zeit in der wir oben waren, gabs beispielsweise den Konflikt zwischen Israel und dem Libanon. Dann kommt man über den Norden Afrikas geflogen und ist gerade noch begeistert von diesem unglaublich schönen Anblick der Wüste und des Nildeltas und dann sieht man über Beirut diese Rauschschwarten aufsteigen. Dann weiß man natürlich genau, was da unten passiert. Das bringt einen natürlich erst recht zum Nachdenken. Durch diesen unglaublichen Überblick, den man dort oben hat, fragt man sich, warum das sein muss. Es ist doch eigentlich Platz für alle da.

pflichtlektüre online: Sie haben 2007 das Bundesverdienstkreuz bekommen. Wenn Sie die Chance hätten, es selbst zu verleihen: Wen würden Sie es heute überreichen?

Thomas Reiter: Es gibt viele Menschen, die tagtäglich fantastische Leistungen erbringen. Und das sind nicht immer Leistungen, die im Fernsehen zu sehen sind, sondern Menschen, die Menschen in Not helfen. Ich denke, denen gebührt es. Als ich damals das Bundesverdienstkreuz überreicht bekommen habe, waren auch genau solche Menschen dabei und das finde ich faszinierend und fantastisch.

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