Meet and Greet mit Wissenschaftlern

Auf dem European Science Open Forum – kurz ESOF – kommen Wissenschaftler, Politiker und Journalisten aus ganz Europa zusammen und diskutieren die aktuellen Entwicklungen in Forschung, Wissenschaft und Praxis: Unter anderem geht es hier um die Energiewende, Gentechnik, Weltraumforschung und den Klimawandel.

Unsere Autorinnen Vanessa Reske und Lara Malberger waren dieses Jahr auf der ESOF in Copenhagen dabei und erzählen von ihren ganz persönlichen Erfahrungen auf ihrer ersten Wissenschaftstagung.

Unverhofft kommt oft

Vor etwa einem Monat hatten wir eine Mail im Postfach: „Alle Wissenschaftsjournalisten müssen sich für ein Stipendium der ESOF bewerben! Ach und Anmeldeschluss ist übrigens morgen.“ Oder zumindest so ähnlich.

Die ESOF 2014
Die ESOF ist die größte wissenschaftliche Versammlung Europas: Mehr als 4.000 Wissenschaftler, Studenten, Journalisten und Politiker waren in diesem Jahr dabei. 
Das Programm umfasste mehr als 130 Sitzungen und Vorträge. Von Podiumsdiskussionen über die Entwicklungen seit der Entdeckung des Higgs-Teilchens bis zu Vorträgen von Nobelpreisträgern über den Ursprung des Universums und der Bedeutung von chemischen Waffen war alles mit dabei.
 

Die kurzfristige Bewerbung stellte für viele von uns eine unüberwindbare Hürde dar: Von fünf Leuten schafften es nur wir, die Bewerbung rechtzeitig abzuschicken. Da die ESOF insgesamt nur 10 Stipendien vergibt, rechneten wir uns nicht die besten Chancen aus. Demensprechend verwundert waren wir über die Zusagen.  Allein auf einer großen Tagung, zwischen erfahrenen Journalisten, Wissenschaftlern und Nobelpreisträgern. Unser Motto für die nächsten Tage: Sicheres Auftreten bei (fast) vollkommener Ahnungslosigkeit.

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1.Tag: Montag, 23. Juni oder “Wie es nicht schlimmer kommen konnte”
Damit wir die Zeit in Copenhagen voll ausnutzen konnten, hatten wir einen extra frühen Flug gebucht. “Dann haben wir noch den ganzen Tag vor uns”, dachten wir uns. Um 8.20 Uhr sollte es von Düsseldorf aus losgehen. 

Fast pünktlich waren wir am Flughafen aber fast reicht leider nur in den seltensten Fällen aus, um etwas zu erreichen. “Ich hab mal fast mein Studium geschafft”, “Ich hab mal fast etwas gewonnen” oder eben “Ich hab mal fast meinen Flieger nach Copenhagen gekriegt.” Unserem Flieger konnten wir dann nur noch hinterherwinken. 30 Euro Handyguthaben und fünf Stunden später saßen wir in einem neuen Flieger. Hier sei angemerkt, dass Kreditkarten an Flughäfen durchaus von Vorteil sind. Wow, noch nicht mal da und schon eine ganze Menge gelernt. Kurz zusammengefasst: Warum sind wir nicht einfach mit dem Zug gefahren? Ohne Witz, es gibt Züge die können mit dem Schiff fahren. Da ist man in vier Stunden da. Wir haben 10 gebraucht.

Unsere Autorinnen Lara (rechts) und Vanessa waren in der letzten Woche auf der ESOF in Copenhagen unterwegs.

Unsere Autorinnen Lara (rechts) und Vanessa waren in der letzten Woche auf der ESOF in Copenhagen unterwegs.

Durch die kleine Verzögerung konnten wir den ersten ESOF Tag und alles, was wir vorbereitet hatten, vergessen. Noch ein Tipp: Wer auf eine Tagung geht sollte es unbedingt vermeiden, fast alle seine Themen auf den ersten Tag zu legen. Auch wenn die gerade am Besten klingen. Einen Plan B sollte man irgendwie trotzdem parat haben. Es könnte nämlich sein, dass man etwas verpasst. Oder alles.

Zurück zum Flughafen: Endlich im richtigen Land mussten wir nur noch unser Zugticket buchen – das sollte übers Internet laufen, ein SMS-Ticket. Am Flughafen, ohne WLAN, ohne Dänisch-Kentnisse. Kein Problem!
Unsere Rettung erschien uns in Form eines Mannes: Mitte 20, etwas schlacksig aber sympathisch. Hinter ihm: ein ESOF Plakat. Der konnte uns bestimmt weiter helfen. Und ausnahmsweise sollten wir an diesem Tag noch einmal Recht behalten. Nachdem sämtliche Versuche einen W-Lan Hotspot zu erstellen gescheitert waren, kaufte uns der nette Mann einfach eine Fahrkarte. Wir waren ganz schön perplex.

Völlig fertig und voll beladen kamen wir schließlich an. Erster Eindruck: Großes Gebäude, interessante Menschen und nette Ikealampen. Da wir nicht sonderlich wichtig für die ganze Veranstaltung waren, hatte niemand gemerkt, dass wir gar nicht da waren. Der Lichtblick des Tages: Eine Party am Abend für alle Teilnehmer der ESOF. Wer mal einen Haufen Wissenschaftler tanzen sehen will, sollte unbedingt auf der ESOF vorbeischauen… Die Häppchen waren auch nicht schlecht.

2. Tag: Dienstag, 24. Juni: Kriegsroboter und Spielzeugforschung
Am zweiten Tag wurde unsere Stimmung langsam wieder besser. Bepackt mit Kamera und Laptop machten wir uns auf den Weg, unser erster Vortrag stand an: “Would war machines be more ethical soldiers?” Es ging darum, ob vorprogrammierte Roboter Soldaten auf dem Feld ersetzen sollten. Der Vortragsraum erinnerte an einen Hörsaal. Unten saßen vier endrucksvoll wirkende Männer mit weißen Haaren: Noel Sharky vom Sheffield Centre for

Diese vier Wissenschaftler debattierten über den Einsatz von Kriegsrobotern.

Diese vier Wissenschaftler debattierten über den Einsatz von Kriegsrobotern.

Robotics, Ronald Arkin – ein Professor vom Georgia Institute of Technology, Wolfgang Richter vom Institut für internationale Politik und Sicherheit und Julian Kinderlerer, der Präsident von der European Group of Ethics on European Commision. Die Gesprächsrunde entwickelte sich schnell zu einem Meinungskampf zwischen Skarky und Arkin. Können Roboter moralischer handeln als Menschen? Kann man etwas wie Krieg überhaupt moralischer machen? Nicht nur wir waren uns da uneinig. Sharky war der Meinung, dass Roboter keine moralischen Entscheidungen treffen und im Kampfmodus nicht zwischen Frau, Kind, Soldat und Gegner unterscheiden können. Arkin dagegen plädierte für den Einsatz der Roboter mit dem Argument, dass man so weniger Männer in den Kampf schicken muss. Eine Debatte, die wie wir später erfuhren beide bei jedem Aufeinandertreffen führen. 

Nach einer Stunde musste die Diskussion abgebrochen werden die Zeit war um. Zumindest die Standpunkte von zwei Teilnehmern waren mehr als deutlich geworden. 

Nachmittags haben wir eine spontane Tour zu einem Playwarecenter gemacht, hier werden systematisch Spielsachen entwickelt, das ist eine richtige Wissenschaft. Spielen geht immer, dachten wir uns. Leider ging es nicht um die Entwicklung von Hirn-gesteuerten 3D Abenteuerspielen, sonden um ein Rehabilitationsprogramm bei dem alte Menschen und kleine Kinder auf bunten Lichtern hin und her hüpfen sollen. Komischerweise machte das wirklich Spaß. Außerdem war der Obstteller nicht übel. Langsam fingen wir an uns an das Konferenzleben zu gewöhnen.

3. Tag: Mittwoch, 25. Juni: Katastrophenschutz und die Defintion von Lebenswert

Die erste Station am Mittwoch war ein Ort namens Pompei Halle. Diese machte ihrem Namen alle Ehre: Wir fühlten uns ein wenig ins alte Rom zurückversetzt. Alles andere wie gewohnt: vier Speaker, ein Moderator.

Die Diskussion in der Pompei Halle drehte sich um Risikoeinschätzungen.

Die Diskussion in der Pompei Halle drehte sich um Risikoeinschätzungen durch Wissenschaftler.

Das Thema des Tages: “Going to jail for being a scientist”. Der Hintergrund: Nach einem Erdbeben in L´Aquila in Italien waren 2012 sieben Wissenschaftler zu langen Haftstrafen verurteilt worden, weil sie das Risiko für das Erdbeben falsch eingeschätzt hatten. 300 Menschen starben, in den Augen der Öffentlichkeit war das die Schuld der Wissenschaftler. Bis heute ist das Urteil nichts rechtskräftig, trotzdem schreckt es Wissenschaftler ab, überhaupt Risikoeinschätzungen zu treffen.

In Europa gibt es eine Kommission, die Risikobewertungen vornimmt. Da kann es um Erdbebenwarnungen gehen, aber auch um Datenschutz. Das Problem ist: Niemand kann mit Sicherheit sagen, ob wirklich nichts passiert. Es könnte zum Beispiel jeden Tag ein Komet auf der Erde einstürzen ohne, dass das jemand zuvor geahnt hätte. Fazit: Man kann soviel analysieren wie man will, ein Restrisiko gibt es immer. Wir erinnern uns an unsere Reiseplanung und stimmen innerlich zu.

Jan Gehl hielt einen Vortrag zum Thema lebenswerte Städte und Stadtplanung.

Jan Gehl hielt einen Vortrag zum Thema lebenswerte Städte und Stadtplanung.

Am Nachmittag probierten wir uns noch etwas in Architektur und Städteplanung: Jan Gehl, ein weltbekannter Architekt, hielt eine Keynote Lecture im großen Plenarsaal. Keynote Lecture heißen auf solchen Tagungen die Vorträge der besonders wichtigen Menschen wer die sind, entscheiden die Organisatoren. Im Vortrag ging es um Lebensqualität durch Städteplanung Gehls Meinung nach in manchen Großstädten eher fehlgeschlagen. Das Wort Shit fällt für einen Wissenschaftler relativ häufig. Wir finden es lustig.

Gehls Definition von Lebensqualität: Viel Platz für Menschen auf der Straße, viel Grün, kleine Häuser. Copenhagen steht auf der Liste der lebenswertesten Städte demnach auf Platz eins. Wir wundern uns, warum Dortmund in diesem Ranking nicht auftaucht. München hat es immerhin auf Platz acht geschafft. Etwas skeptisch sind wir trotzdem: Wie kann man die Lebensqualität in allen Städten der Welt überprüfen? Erscheint nicht nur uns etwas unrealistisch, wie sich in der Fragerunde herausstellt. So ist das mit den Studien. Allerdings muss man sagen, das Copenhagen echt eine schöne Stadt ist. Und Gehls Konzept scheint auch irgendwie anzukommen. Er erzählt, wie er in Stockholm, Rotterdam, London, Amman, Muscat, Perth, Adelaide, Wellington, Melbourne, Sydney, New York und Moskau mit seinen Projekten die Lebensqualität verbessert hat – zumindest ein bisschen. Scheint rumzukommen der Mann. Trotz allem finden wir Dortmund auch ganz gut, der Ruhrpott hat auch seinen Charme.

4. Tag, Donnerstag 27.Juni: Fliegenfischen
Bevor es zurück nach Deutschland geht, wollen wir uns noch einen letzten Vortrag angucken: Die Plenary Lecture. So heißen die Vorträge, die noch ein bisschen wichtiger daherkommen als die Keynote Lectures. So viel haben wir schon gelernt. Es geht um Nudges: Also darum, wie man Menschen in eine gewisse Richtung lenkt ohne sie dazu zu zwingen. Sehr anschauliches Beispiel aus dem Originalvortrag von Havord-Professor Cass Sunstein: Man könne sich ein Nudge so vorstellen, wie eine auf einem Pissoir eingezeichnete Fliege. Die Fliege motiviere die Männer dazu besser zu zielen, ohne dass man sie dazu zwingen müsse. Dieses Prinzip solle man auch auf die Politik übertragen. So richtig ist uns zugegeben nicht klar geworden, wie das funktionieren soll. Wer zahlt denn schon freiwillig Steuern? Da muss die Fliege schon sehr groß sein.

Nach diesem Vortrag war die ESOF für uns und alle anderen vorbei. 2016 soll sie in Manchester stattfinden. Wir wollen wieder dabei sein, denn auch wenn am Anfang eine Menge schiefgegangen ist, haben wir viele beeindruckende Menschen kennengelernt und von Dingen gehört, über die wir uns vorher keine Gedanken gemacht haben.

Die Moral von der Geschicht´

Viele Studenten stehen wahrscheinlich eines Tages vor ihrer erste Tagung. In technischen Studiengängen ist die Wahrscheinlichkeit nochmal deutlich höher. Doch egal worum es geht, ob in Deutschland oder im Ausland: Das wichtigste ist die Vorbereitung. Das haben wir am eigenen Leib erfahren. In so einer Masse an Menschen und Programm kann man schnell untergehen. Planung ist alles.

Tagungen bieten eine großartige Möglichkeit Menschen kennenzulernen und sich zu vernetzen. Wir haben festgestellt, dass wir richtig ernst genommen wurden. Die Menschen haben sich Zeit genommen mit uns zu reden, obwohl wir ’nur‘ zwei kleine Studentinnen sind. Das war eine tolle Erfahrung. Man fühlt sich irgendwie richtig wichtig.

Und obwohl wir noch eine Menge lernen müssen, war es den ganzen Stress allemal Wert. Unser Rat: Wenn ihr mal die Möglichkeit habt so eine Tagung zu besuchen, dann nutzt sie. Haltet die Augen offen, denn in jedem Fachbereich wollen sich Wissenschaftler mal untereinander austauschen und nicht zuletzt für sich und ihre Forschungsergebnisse werben. Selbst wenn ihr keine Ahnung habt was ihr tut, könnt ihr viele positiver Erfahrungen mit nach Hause nehmen. Und gratis Kugelschreiber.

 

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