„Studiengebühr fördert Bafög-Empfänger doppelt“

pflichtlektüre online im Interview mit Forschungsminister Andreas Pinkwart und seinem Pressesprecher. Foto: Weigt

pflichtlektüre online im Interview mit Forschungsminister Andreas Pinkwart und seinem Pressesprecher. Foto: Franziska Weigt

pflichtlektüre online: Aber ist damit nicht vorprogrammiert, dass es Hochschulen für Reiche und Hochschulen für Arme gibt?

Pinkwart: Das kann bei unserem Beitragssystem gar nicht sein, weil wir gerade für die Einkommensschwachen die besten Regelungen haben. Mit der bundesweit niedrigsten Kappungsgrenze erlassen wir zwei Dritteln aller Bafög-Empfänger am Ende des Studiums ihren Studienbeitrag komplett, obgleich sie natürlich an der besseren Qualität teilhaben. Aus Sicht eines Bafög-Empfängers mit einem mittleren oder höheren Bafög-Satz sind Studienbeiträge folglich sogar attraktiv: Er erhält deutlich mehr Qualität und bekommt am Ende den Studienbeitrag erlassen.

pflichtlektüre online: Denken Sie, dass sich in absehbarer Zeit die Tendenz ändern wird, dass immer mehr Absolventen Akademikerkinder sind?

Pinkwart: Das wird sich ändern, wenn wir unsere Politik fortsetzen können. Dann werden wir erleben, dass mehr Kinder aus Nicht-Akademikerfamilien auch zum Studium finden. Wir wissen, dass junge Menschen, die im Elternhaus nicht die Vorbilder mit einer akademischen Ausbildung haben, natürlich sehr verunsichert sind, wenn sie vergleichen: Eine kalkulierbare Berufsausbildung auf der einen Seite, die im Regelfall nach zweieinhalb, drei Jahren mit einer hohen Wahrscheinlichkeit zum Abschluss geführt werden kann. Oder auf der anderen Seite ein Studium, das weder in Dauer noch Erfolg kalkulierbar ist – so sah das in der Vergangenheit leider aus. Wir versuchen, ein Studium anbieten zu können, das hilft innerhalb der Regelstudienzeit zu einem Abschluss zu gelangen.

Im Innovationsministerium werden auch neue Wege der Hochschulen bestimmt: neue Stipendienprogramme, Meisterbrief als Zugangsberechtigung und Höhe der Studiengebühren. Foto: Weigt

Im Innovationsministerium werden auch neue Wege der Hochschulen bestimmt: neue Stipendienprogramme, Meisterbrief als Zugangsberechtigung und Höhe der Studiengebühren. Foto: Franziska Weigt

pflichtlektüre online: Wieso werden Stipendien nicht einkommensabhängig vergeben? Wenn aber zwei die gleiche Leistung erbringen: Wieso bekommt nicht derjenige, der weniger Einkommen hat, eher das Stipendium oder zumindest mehr Geld?

Pinkwart: Faktisch ist das in unserem Stipendienkonzept so. Weil wir gesagt haben, einkommensunabhängig heißt eben auch: Dieses Stipendium soll nicht auf das Bafög angerechnet werden. Das heißt, der Einkommensschwächere wird sozusagen doppelt gefördert: Er wird einkommensbezogen gefördert mit Bafög und er wird begabungsbezogen genauso gefördert wie derjenige, der keinen Bafög-Anspruch hat.

Andreas Pinkwart wäre „dankbar“ für Studienbeiträge gewesen, wenn sie die Situation seiner Zeit an den Unis verbessert hätten. Foto: Weigt

Andreas Pinkwart wäre „dankbar“ für Studienbeiträge gewesen, wenn sie die Situation seiner Zeit an den Unis verbessert hätten. Foto: Franziska Weigt

pflichtlektüre online: Werden bei der Stipendienvergabe nicht trotzdem diejenigen ausgewählt, die sowieso schon gute Voraussetzungen haben? Die nicht während der Schule arbeiten mussten und so gute Noten und weitere Fähigkeiten erwerben konnten?

Pinkwart: Da muss die Politik an anderer Stelle greifen. Das tun wir in NRW im Bereich der frühkindlichen Ausbildung und im Bereich der Schule. Da hatte dieses vermeintlich so sozial regierte Land große Defizite. Wir sind heute im nationalen PISA-Vergleich im unteren Mittelfeld, aus dem wir uns hervor arbeiten müssen. Hier ist mittlerweile jedes dritte Kind ein Kind mit Zuwanderungshintergrund. Wenn sie denen nicht von Anfang an faire Startbedingungen geben, dann sind selbst die Begabten in ihrer Entwicklung gehemmt.

pflichtlektüre online: Sie sprechen von Veränderungen, die erst noch kommen müssen. Aber die Defizite bestehen aktuell …

Pinkwart: … und an denen arbeiten wir auch, zum Beispiel mit verbindlichen Sprachtests für Vierjährige mit anschließender Sprachförderung. Stipendien für Studierende allerdings gibt es nicht für alle, so dass die Hochschulen auswählen müssen. In den Vergabekriterien können durchaus Zielgruppen definiert werden wie Studierende mit Migrationshintergrund. Am Ende allerdings sollte die Begabung entscheiden.

Blau-weiß in Düsseldorf: Das Ministerium für Innovation, Wissenschaft, Forschung und Technologie hätte man hier nicht unbedingt vermutet. Foto: Weigt

Blau-weiß in Düsseldorf: Das Ministerium für Innovation, Wissenschaft, Forschung und Technologie hätte man hier nicht unbedingt vermutet. Foto: Franziska Weigt

pflichtlektüre online: Gehen Sie davon aus, dass man in dem auf sechs Semester gedrängten Studium alles erlernen kann, was man für einen erfolgreichen Berufseinstieg braucht? Dass man Auslandssemester und genügend Praktika machen kann, wofür im Diplom ja mehr Zeit war.

Pinkwart: Der Bachelor ist ein erster berufsqualifizierender Abschluss und wird von den Arbeitgebern absolut angenommen. Die Studierenden haben mit der neuen Studienstruktur einfach mehr Möglichkeiten: Sie können etwa nach der ersten Phase des Studiums in die Praxis gehen und dann berufsbegleitend den Master machen. Das erleichtert im Übrigen die Studienfinanzierung. Zur Internationalisierung: Da können unsere Hochschulen noch besser werden, indem Auslandssemester an Partnerhochschulen fest in den Studienverlauf eingeplant werden und die dort absolvierten Leistungsnachweise in vollem Umfang angerechnet werden.

pflichtlektüre online: Meister können bereits fachgebunden an FHs studieren. Jetzt bringen Sie in der Wahlphase den Vorschlag, Meister an allen Universitäten zu allen Fächern zuzulassen. Ist das nicht nur der Versuch, eine neue Wählerschaft zu gewinnen?

Pinkwart: Nein, mir geht es darum, die soziale Mobilität zu fördern. Wir sprachen eben über junge Menschen aus Nicht-Akademikerhaushalten, die auch ein enormes Begabungspotential haben, aber aufgrund ihrer familiären Prägung oftmals eine praktische Bildung präferieren. Wir wollen, dass jene – auch wenn sie das erst später erkennen – die Option eröffnet bekommen, in eine akademische Ausbildung zu gehen, ohne zu hohe Hürden.

pflichtlektüre online: Aber andere Parteien versprechen, die Studiengebühren wieder abzuschaffen. Wie sehen Sie im Hinblick darauf die nächsten Landtagswahlen?

Pinkwart: Mein Bemühen ist es nicht, die besten sozialen Versprechen abzugeben, sondern zu besseren sozialen Ergebnissen zu kommen.

Das Interview führten Nils Bickenbach, Anna-Lena Wagner und Franziska Weigt.

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2 Comments

  • Franziska Weigt sagt:

    Hallo Herr Popper,

    vielen Dank für Ihren Kommentar. Den Vorschlag, die Studienförderung um die Studiengebühren zu erhöhen halte ich auch für sinnvoll, um Gleichberechtigung zu erhalten.

    Es gibt zwar keine Erstattung der Studiengebühren, Herr Pinkwart spricht in diesem Interview aber auch nur von einem Erlass der Studienbeiträge. Damit meint er, dass bei besonderer Leistung (zu den besten 30% aller Absolventen des Abschlussjahrganges gehören) oder schnellem Abschluss (4 – 2 Monate vor Regelstudienzeit) ein Teil der Gebühren bei der Rückzahlung erlassen wird.

  • Die Problematik des Verhältnisses von Studiengebühren zur Ausbildungsförderung nach dem BAföG wird von Bundes- und Landespolitik weithin verkannt. Das liegt vermutlich daran, dass die Hochschulpolitik in die Zuständigkeit der Länder fällt, während die Studienfinanzierung abschließend im Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) geregelt ist und daher der Bund fürs BAföG zuständig ist.

    Der im BAföG geregelte Bedarfssatz für Studierende sieht jedenfalls keine Erstattung von Studiengebühren vor. Dies hat zur Folge, dass Studierenden in Bundesländern ohne Studiengebühren weniger Geld für das Studium und den Lebensunterhalt zur Verfügung steht. Dieses Ergebnis ist jedenfalls unter sozialen Gesichtspunkten, insbesondere der Chancengleichheit nicht hinnehmbar.

    Der im BAföG vorgesehene Bedarf für Studierende sollte daher um die jeweilige Studiengebühr angehoben werden – unter der Prämisse, dass der Bundesgesetzgeber Studiengebühren als sinnvolles Instrument zur Qualitätssicherung und -Verbesserung von Forschung und Lehre an den Hochschulen ansieht.

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