Forscher und Politiker beleuchten Afghanistan-Strategie

„Friedensbewegung kann anstrengend sein“: Mit diesen Worten leitete der Dortmunder Kommunikationswissenschaftler und Friedensjournalist Professor Claus Eurich an diesem Mittwoch die Podiumsdiskussion „Afghanistan – Wie weit? Wie weiter?“ ein. Zwei Stunden später wussten die rund 50 Zuhörer im Hörsaal 1 des Hörsaalgebäudes 2 auf dem Dortmunder Campus Nord, wieso.

Dr. Jochen Hippler, Prof. Hajo Schmidt, Dr. Frithjof Schmidt und Kathrin Vogler (v.l.n.r.) auf dem Podium.

Sachliche Diskussion: Dr. Jochen Hippler, Prof. Hajo Schmidt, Kathrin Vogler und Dr. Frithjof Schmidt (von links) auf dem Podium. Foto: Mareike Maack

„Die Afghanistan-Politik von 2001 bis 2009 muss als gescheitert beurteilt werden, die Ziele wurden nicht erreicht.“ So eröffnet Dr.  Jochen Hippler vom Institut für Entwicklung und Frieden an der Uni Duisburg-Essen die Diskussionsrunde. Gemeinsam mit dem Moderator Professor Hajo Schmidt vom Institut für Frieden und Demokratie der Fern-Uni Hagen vertritt er auf dem Podium die Wissenschaft. Für die Politik sind Dr. Frithjof Schmidt von den Grünen und Kathrin Vogler von der Partei Die Linke der Einladung des Dortmunder Instituts für Journalistik und des Arbeitskreises „Naturwissenschaft und Abrüstung“ gefolgt.

Hippler gibt dem Publikum zunächst einen Überblick über die allgemeine Lage in Afghanistan. Seit 2001 sind dort Soldaten der UN stationiert, um … ja, um was genau eigentlich zu tun? Das habe in den vergangenen Jahren anscheinend leider niemand so wirklich gewusst, und genau das sei bisher das größte Problem in Afghanistan gewesen, sagt Friedensforscher Hippler. Die Ziele des Militärs seien bislang nicht plausibel und zuweilen widersprüchlich: „Man kann junge Soldaten nicht in ein Krisengebiet schicken, und ihnen als Angaben nichts als ‚Tut Gutes!‘ mit auf den Weg geben.“

Neue Strategie am Hindukusch

Dr. Jochen Hippler: "Afghanistan-Politik ist gescheitert"

Dr. Jochen Hippler: "Afghanistan-Politik ist gescheitert." Foto: Maack

Immerhin habe besonders Amerika dies nach dem Regierungswechsel eingesehen und wolle nun in Afghanistan eine neue Strategie verfolgen, so Hippler. Die Unterschiede zu vorher: „Es gibt nun überhaupt eine Strategie.“ Diese setze auf Deeskalation statt auf Militärgewalt. Aufstände sollen demnach nicht mehr militärisch zerschlagen werden, da dies meist zulasten der Zivilbevölkerung geht: Es sei naturgemäß schwer, Aufständische von der Bevölkerung zu unterscheiden. Stattdessen solle versucht werden, die Aufständischen von der Bevölkerung zu trennen und sie so von der Versorgung abzuschneiden. Dies sorge für ein Vakuum, in dem politischer Aufbau betrieben werden könne.

Allerdings sieht Hippler auch in dem  neuem Konzept ein großes Problem: „Die Strategie hätte 2001 funktioniert – jetzt ist es eventuell dank der Eskalation zu spät für eine Wende.“ Denn um einen funktionierenden Staat aufzubauen, müssten vor allem die Afghanen selbst ihr Staatssystem akzeptieren.

Linken-Politikerin Vogler: „In Afghanistan gibt es keine Atomwaffen“

Nach der Wissenschaft kommt nun die Politik zu Wort: Kathrin Vogler von der Linken steht klar hinter der Politik ihrer Partei: „Raus aus Afghanistan!“ Die Einmischung der UN in Afghanistan habe der Bevölkerung nichts Gutes gebracht: Der Entwicklungsindex sei gesunken, Arbeitslosigkeit und Sterblichkeitsrate stiegen, die Versorgung mit Trinkwasser verschlechtere sich und der Drogenanbau nehme zu, betont Vogler. Die enge Zusammenarbeit mit dem Militär stelle ein hohes Risiko dar, stattdessen müsse man die nachhaltige Entwicklung mit einer bewusst zivilen Strategie fördern. „Das Argument, der Krieg müsse gewonnen werden, damit Terroristen von Atomwaffen ferngehalten werden, ist Unsinn: In Afghanistan gibt es keine Atomwaffen. Dennoch marschiert die Bundeswehr nicht in Pakistan ein.“

Frithjof Schmidt vom Bündnis 90/Grüne: "Der Rückzug aus Afghanistan muss gut geplant sein."

Frithjof Schmidt von den Grünen: "Der Rückzug aus Afghanistan muss gut geplant sein." Foto: Maack

Frithjof Schmidt  von den Grünen ist überzeugt: „Deutschland soll keine Sonderwege einschlagen.“ Noch 2001 sprach er sich auf dem Parteitag der Grünen gegen die Einmischung in Afghanistan aus. Da es sich beim Engagement am Hindukusch aber nun um ein Projekt der UN handele, gebe es keinen Grund, die deutschen Soldaten einseitig abzuziehen. Der Grünen-Bundestagsabgebordnete gibt zu bedenken, dass im Norden Afghanistans, wo die deutschen Truppen bislang autonom stationiert waren, eine andere Situation vorherrscht als im von den USA kontrollierten südlichen Teil. Dort wurde der Krieg bislang offensiver und mit erheblichen zivilen Opfern geführt. Nach der Wende in der Afghanistan-Politik sieht Frithjof Schmidt zwar die Gefahr, dass die Bundeswehr im Norden zu erhöhter Zusammenarbeit mit den Amerikanern gezwungen wird. Ein schneller und kompromissloser Abzug aus Afghanistan sei dennoch nicht die richtige Reaktion: „Der Schutz der Zivilbevölkerung bekommt nun unter der Regierung von Obama ebenfalls oberste Priorität.“ Außerdem würde ein unvorbereiteter Abzug aus Afghanistan wohl eher Schaden als Nutzen bringen, betont der Grünen-Politiker.

Kein Opium für’s Volk

Zum wichtigsten Thema der Diskussionsrunde entwickelt sich schnell das Drogenproblem Afghanistans. Vor allem das Publikum hat hierzu zahlreiche Fragen: Wie kann dem Problem Einhalt geboten werden? Wie soll eine ordentliche Infrastruktur in Afghanistan finanziert werden – ohne die Erträge aus dem Drogenhandel? Klar ist: Ein hoher Anteil des Bruttoinlandsproduktes wird mittlerweile aus Umsätzen von Drogengeschäften gewonnen. In einem sind sich alle Podiumsteilnehmer einig: Die Felder zum Drogenanbau können nicht einfach zerstört werden, da dies die Bevölkerung zu den Aufständischen treiben würde. Kathrin Vogler hat einen unkonventionellen Vorschlag: Als stellvertretende Vorsitzende des Gesundheitsausschusses im Bundestag weist sie auf die schlechte Versorgung der Bundesrepublik mit wirksamen Opiaten hin und schlägt vor, das gewonnene Opium legal in die Pharmazie zu verkaufen.

Kathrin Vogler von den Linken: "Raus aus Afghanistan!"

Kathrin Vogler von den Linken: "Raus aus Afghanistan!" Foto: Mareike Maack

Das Resümee der Linken-Politikerin ist klar: Nur ein sofortiger Abzug der Bundeswehrtruppen aus Afghanistan könne „die volle Bandbreite an sozialen Handlungsmöglichkeiten “ hervorbringen. Frithjof Schmidt hält dagegen: Die Präsenz der Bundeswehr könne der afghanischen Bevölkerung helfen, ihr Land zu stabilisieren: „Die Möglichkeiten sind präsent, wir müssen nur lange genug bleiben, um sie wahrzunehmen.“

Insgesamt zeichnete sich die Podiumsdiskussion durch eine ruhige Sachlichkeit aus. Das lag auch daran, dass die Positionen der Teilnehmer nicht allzu weit voneinander entfernt lagen. Alle Beteiligten wünschen sich eine bessere Zukunft für Afghanistan. Der Friedensforscher Jochen Hippler kam zu einem ganz pragmatischen Fazit:  „Ich bin zufrieden, wenn es nicht noch schlimmer wird.“

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