Auf Kuschelkurs mit Spinnen

„Itsy, bitsy spider“, singen englische Kinder im Kindergarten und verniedlichen damit ein Tier, das bei den Meisten eigentlich Ekel und Angst auslöst. Dabei tun diese Gefühle den harmlosen Tieren Unrecht und erschweren den Menschen oftmals das Leben. Eine Forschungsgruppe aus Psychologie-Studenten der RUB möchten nun mithilfe einer Gruppentherapie Abhilfe schaffen und die Spinnenangst überwinden. Eine Redakteurin hat den Selbstversuch gewagt.

Bereits dieses Hauswinkelspinne löst in mir Ekel aus. Sie gehört zu unseren häufigsten unfreiwilligen Zimmergenossen. Keine Frage, dass ich ihr bei der Gruppentherapie an der RUB zwangsweise begegnen musste. Fotos und Teaserbild: Mary Hense

Bereits dieses Hauswinkelspinne löst in mir Ekel aus. Sie gehört zu unseren häufigsten unfreiwilligen Zimmergenossen. Fotos und Teaserbild: Mary Hense

Ein Murmeln geht durch die Menge, die Menschen um mich herum schaben unruhig mit den Füßen und ihr Blick wandert wie der meine immer wieder zu der verschlossenen Holztür. Mein Puls ist mindestens bei 180, denn ich habe Angst. Angst dem kleinen Feind mit acht Augen und Beinen hinter dieser Holztür zu begegnen, der uns ansonsten nur im Garten-Schuppen oder in den Zimmerecken auflauert. Kurz: Angst vor einer Spinne und besonders vor dem Gedanken sich dieser Angst stellen zu müssen.

Als würde man einem wilden Löwen gegenüberstehen

In nur wenigen Augenblicken werde ich jedoch genau dieser Angst begegnen – zusammen mit rund 100 anderen Menschen. Schließlich scheint der Ekel vor Spinnen ein Gesellschaftsphänomen zu sein. Dabei müssten wir den Spinnen eigentlich dankbar sein: Ohne sie wäre die Welt innerhalb weniger Monate mit Insekten bedeckt. Außerdem sind Spinnen in Deutschland völlig ungefährlich und sollten in uns eigentlich keine Angst auslösen. Doch trotz dieses Wissens zucke auch ich bei dem Anblick einer Spinne zusammen, nehme schnell Abstand und mein Herz beginnt so stark zu klopfen, dass man meinen könnte ich stehe einem wilden Löwen gegenüber. Diese eigentlich unnötige Angst will ich loswerden, damit ich in Zukunft nicht immer um Hilfe rufen muss,  wenn ich beim Staubsaugen eine Spinne entdecke. Deshalb wage ich nun den Selbstversuch und besuche die Gruppentherapie an der RUB. Organisiert wird das Projekt von Master-Studenten der Psychologie unter der Leitung von André Wannemüller. Inwieweit das Ganze auch funktioniert werde ich am Ende der Therapie auf die Probe stellen können.

Zwei Speicheltest sollen untersuchen, ob genetische Besonderheiten vorliegen, die mit einer Angststörung zusammenhängen und inwieweit sich nach der Intervention Veränderungen zeigen.

Zwei Speicheltest sollen untersuchen, ob genetische Besonderheiten vorliegen, die mit einer Angststörung zusammenhängen und inwieweit sich nach der Intervention Veränderungen zeigen.

Ein Knarzen erfüllt den Raum. Die Holztür öffnet sich und gibt den Weg in den Hörsaal, dem Ort der Gruppentherapie, frei. Zögerlich schreitet die Gruppe voran, ich hinten an. Ein weißer Umschlag wird mir in die Hand gedrückt, den ich vorsichtig abtaste. Außer diversen Fragebögen und allgemeinen Infos enthält der Umschlag zum Glück keine Spinne, dafür aber zwei anonyme Speicheltests. Damit soll untersucht werden, inwieweit unsere Ängste und Phobien genetisch beeinflussbar sind.

Vom Inhalt des Umschlages wandert mein Blick nervös durch den Hörsaal, den wir eben betreten haben – mittlerweile vermute ich hinter jeder Ecke eine Spinne. Ein erleichtertes Aufseufzen macht die Runde, als uns der Projektleiter André Wannemüller erklärt, dass es sich hier  nicht um eine Schocktherapie handelt und der Raum zumindest in diesem Moment eine spinnenfreie Zone ist.

Der Verhaltenstest: Ein erster Annäherungsversuch

Der Gang erscheint endlos, denn am seinen Ende erwartet mich die Angst. Für den ersten Verhaltenstest teste ich mein Limit.

Der Gang erscheint endlos, denn am seinen Ende erwartet mich die Angst. Für den ersten Verhaltenstest teste ich mein Limit.

Die eigentliche Therapie beginnt mit einem Verhaltenstest. Und so stehe ich mit trockenem Mund in einem langen und engen Gang an dessen Ende sich auf einem Tisch ein Trinkglas befindet. Sogar aus dieser Entfernung kann ich den kleinen schwarzen Körper mit den viel zu langen Beinen darin erkennen. Ich bekomme eine Gänsehaut und muss schlucken. Mein Magen dreht sich bereits nur bei dem Gedanken um, sich dem Tier zu nähern. Doch eine Helferin erklärt mir, dass ich mich bei diesem Verhaltenstest der Spinne nur so weit nähern müsste, wie es mir möglich ist. Die Stelle solle ich mit einem Aufkleber dann markieren. Wer sich traut dürfte das offene Glas auch hochheben und es mit der Hand verschließen oder sogar noch weitergehen und die Spinne auf die Hand setzen. Eine Vorstellung, die mir in diesem Moment noch zuwider ist. Noch einmal tief durchatmen und ich nähere mich langsam dem Glas mit seinem Bewohner. Mein absolutes Limit ist ein Meter. Denn mich beschleicht der Gedanke, dass die Spinne aus dem Glas klettern könnte.

Gedanklich mit Spinnen Kontakt aufnehmen?

Zurück im Raum fülle ich Unmengen an Fragebögen aus. Die Auswertung der Bögen und die Ergebnisse der Gruppentherapie sollen den Psychologiestudenten ermöglichen, neue Erkenntnisse über Angsttherapien zu gewinnen.

Nun folgt die Intervention. Sie beginnt erstaunlich harmlos. Der Spinnen-Experte Stephan Loksa, Leiter der Kriechtierabteilung im Aquazoo Düsseldorf, erklärt die Gründe für unsere Angst und wie wichtig die Spinnen für uns sind. Zudem kann er einige Vorurteile ausräumen, die mir das Herz schon etwas leichter werden lassen. Die Vorstellung, dass Spinnen einen anspringen oder auf einen zulaufen sei laut Loksa absurd. Wahrscheinlicher sei hingegen, dass die Spinne vor einem wegläuft. Auch das Gerücht, dass der Mensch im Schlaf Spinnen verschlucke, kann Loksa nicht bestätigen. Das Ausatmen wäre für die Spinnen viel zu störend. Am Ende des Beitrags gibt Loksa Spinnen-Phobikern noch einen Tipp: Es sei besser, den Spinnen zu begegnen, gedanklich mit ihnen Kontakt aufzunehmen und mit ihnen zu sprechen, als die Angst zu verstärken und die Tiere zu Monstern zu deklarieren.

Der Beitrag endet und ich fühle mich bei dem Gedanken an Spinnen in meinem Zimmer etwas entspannter. Doch der Projektleiter quält uns nun mit einem zwanzigminütigen Film, der schlimmer als jeder Horrorfilm ist: Ohne Vorwarnung wird die Nahaufnahme einer Zitterspinne auf dem Projektor eingeblendet, die sich vorsichtig bewegt. Mein Puls schnellt sofort wieder nach oben, als ich das Bild erkenne und ich wende mich sofort mit verschlossen Augen angewidert ab. Es dauert gut eine Minute, erst dann spähe ich aus meinen Fingern hervor und versuche mich an die Spinne zu gewöhnen. Es wird die Spinne beim Laufen gezeigt, ihr Einfangen mit einem Glas und wie sie über die Hände einer Person läuft.

Der Live-Versuch: Die Spinne ist „weich“ und „kuschelig“

Ein Murmeln erfüllt den Raum, als der Film endet und André Wannemüller wieder auf die Bühne tritt. Es wird ernst, denn jetzt folgt der Live-Versuch. Ich drücke mich noch tiefer in den Sitz, als ein Kasten in den Saal gebracht wird. „Wer hatte bei dem Film eben denn gar keine Angst?“, fragt Wannemüller in die Runde und ein Mann meldet sich recht zügig. Er erklärt sich als Freiwilliger für den Versuch bereit und kommt nach vorne. Sie setzen sich an einen Tisch, der von einer Kamera gefilmt wird, die das Geschehen auf die Leinwand überträgt. Ein Stöhnen geht durch die Runde, als eine Hauswinkelspinne in einem Glas auf den Tisch gestellt wird. Mir genügt der Anblick schon jetzt, doch der Mann erklärt sich nach kurzer Gewöhnung schnell dazu bereit die Spinne auch einmal über seine eigenen Hände laufen zu lassen. Vorsichtig setzt Wannemüller ihm die Spinne auf die Hand, die mit ihren Beinen die gesamte Handfläche abdecken kann. Ungläubig sitze ich da, als der Mann das Gefühl der Spinne als „kitzelig“ beschreibt. Viele scheinen durch die Vorführung mutiger zu werden und weitere Freiwillige treten nach vorne. Ich kann die Entwicklung noch nicht nachvollziehen. Zwar habe ich die Spinne besser kennengelernt, doch auf meiner Hand will ich sie weiterhin nicht. Eine weitere Freiwillige muss sich besonders überwinden, doch nach kurzer Zeit scheint auch sie angetan und findet, dass die Spinne sich weich und angenehm anfühle. Ich bin skeptisch – die Vorstellung einer Spinne als kuscheliges Haustier ist mir dann wirklich zu fremd.

Zwei weitere Freiwillige folgen, ein letzter Applaus brennt auf und mit einem erleichterten Seufzen bemerke ich das Ende der Gruppentherapie. Es folgt allerdings noch ein letzter Schritt, den ich diesmal alleine machen muss: Da stehe ich wieder vor dem mir altbekannten Gang und Glas. Doch diesmal fühle ich mich zuversichtlicher. Wenn andere die Spinne sogar über die Hände laufen lassen, dann werde ich doch zumindest das Glas anheben können?

Die Spinne in meiner Hand - ein Erfolg, den ich mir vor der Gruppentherapie nicht vorstellen konnte. Von dem schützendem Glas zwischen mir und der Spinne trenne ich mich allerdings noch nicht.

Die Spinne in meiner Hand - ein Erfolg, den ich mir vor der Gruppentherapie nicht vorstellen konnte. Von dem schützendem Glas zwischen mir und der Spinne trenne ich mich allerdings noch nicht.

Entschlossen gehe ich auf das Glas zu und bleibe direkt vor dem Tisch stehen. Ich beuge mich leicht vor und schaue mir die Spinne genau an. Ich würde lügen, wenn ich behauptete, dass das Tier keinen Ekel mehr in mir auslöst. Die Spinne bleibt vollkommen still, was mir Mut macht und langsam hebe ich das Glas an und halte es vor mir auf Augenhöhe. Mein Herz klopft, doch diesmal nicht nur aus Angst, sondern auch aus Freude über meinen Erfolg. Mit der anderen Hand verschließe ich das Glas von oben. Das Glas umdrehen und die Spinne auf meine Hand setzen, will ich trotzdem nicht. Mit einem leichten Glücksgefühl stelle ich das Glas vor mir ab und markiere fast schon stolz meine neue Position. Die Therapie scheint also doch etwas gebracht zu haben – auch wenn der Ekel und die Angst wohl nie verschwinden werden. Dennoch fühle ich mich bei dem Gedanken an einer Spinne in meinem Zimmer nun deutlich wohler und das war es allemal wert.

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