Duell: Dürfen Medien den toten Gaddafi zeigen?

Verena Beringhoff vs. Birte Möller


Monatelang kämpften die Aufständischen in Libyen gegen die Diktatur von Muammar al-Gaddafi und suchten nach dessen Fall lange Zeit vergeblich den Diktator. Vor einer Woche gelang es den Oppositionellen, Gaddafi in seiner Heimatstadt aufzugreifen und zu töten. Es folgte die tagelange Zurschaustellung des Leichnams und eine umfangreiche Berichterstattung auf der ganzen Welt, im Zuge der auch Bilder des frisch ermordeten Gaddafi auf den Titelseiten deutscher Tageszeitungen auftauchten. Ist es in Ordnung, solche Bilder ohne Weiteres zu veröffentlichen? Über diese Frage streiten sich in dieser Woche die pflichtlektüre-Reporterinnen Birte Möller und Verena Beringhoff im Duell.

PRO
CONTRA

Es gibt kaum Bilder, die sich so sehr ins kollektive Gedächtnis brennen wie die eines toten Tyrannen. Ob Mussolini kopfüber, der hingerichtete rumänische Diktator Ceaușescu oder Saddam Hussein am Strick: Sie sind zu allgemein verständlichen Symbolen vom Ende einer Gewaltherrschaft geworden, ja zum bildgewordenen „Beweis“ für eine gelungene Revolution.

Der Tod Gaddafis ist ein Ereignis von historischer Dimension. Dies im Bild zu dokumentieren, ist gerechtfertigt: Muammar al Gaddafi ist tot, auf grausame Weise gestorben – die schrecklichen Bilder stehen in Kontrast zu seinen selbstdarstellerischen Auftritten in Paradeuniform und Sonnenbrille. Das ist das blutige Ende seines Krieges gegen das eigene Volk.

Zu Lebzeiten hat Gaddafi es verstanden, Bilder zu seinem eigenen Vorteil zu nutzen. Der exzentrische Gewaltherrscher wusste um ihre Macht. In seinem schwächsten Augenblick wendete sich diese Macht gegen ihn: Mit seinem Leben hat Gaddafi auch die Kontrolle über die Bilder verloren.

Großes öffentliches Interesse

Die Menschen vor Ort, die Gaddafi mit Handykameras filmten und die Aufnahmen ins Netz stellten, taten es, weil sie es konnten. Menschen, die gezielt nach den nicht von Journalisten gefilterten Angeboten suchen, werden sie finden. Doch nicht alles was gezeigt werden kann, muss gezeigt werden – nur das, was dem allgemeinen Informationsinteresse dient. Und darüber wachen die Journalisten.

Gaddafis Leben, sein Wirken, sein Sterben und seinen Tod begleitet ein großes öffentliches Interesse. Er war, wie man im Juristendeutsch zu sagen pflegt, eine „absolute Person der Zeitgeschichte“. Als solche genießt er nicht den besonderen Schutz der Privatsphäre wie Du und Ich, sollten wir Opfer eines Unfalls oder eines Verbrechens werden. Sein Leichnam darf also gezeigt werden – in einem seriösen Zusammenhang und zum Zweck der Information – nicht der Sensation. So kann verhindert werden, dass mehr Menschen auf ungefilterte, verschreckende Informationsangebote zurückgreifen müssen, wenn sie einen „Beweis“ für Gaddafis Tod suchen. Ein Bild als solchen Beweis einzusetzen, ist sinnvoll: Die meisten Menschen trauen nunmal eher ihren Augen als anderen Sinnen. Das zeigt auch das Beispiel Osama bin Ladens: Nach seinem Tod forderten viele ein Foto seines Leichnams. So groß war das Verlangen nach einem vermeintlich unwiderlegbaren Beweis, dass sogar ein schlecht gefälschtes Foto als authentisch durchging.

Es darf kein „Hopp oder Topp“ geben

Statt ihn zum Märtyrer zu machen, entmythisieren die Bilder den Tyrannen Gaddafi, denn sie zeigen ihn machtlos. Von vorneherein nimmt es den regimetreuen Truppen jeglichen Anlass zur Spekulation. Gaddafi ist tot und nicht ins Exil geflüchtet, der Kampf verloren, weiter morden zwecklos.

Nicht falsch verstehen: ich heiße die in Teilen reißerische Berichterstattung von Qualitäts- und Boulevardmedien in den letzten Tagen nicht gut. Aber ich finde, in solchen Fragen darf es kein „ganz oder gar nicht“, kein „hopp oder topp“ geben: Was wir brauchen, ist eine ernsthafte Diskussion um das „Wie“.x


Nein, diese Bilder sollten nicht in den Medien veröffentlicht werden. Mal ganz davon abgesehen, dass es sich bei diesen Aufnahmen um ein Close-up von Gaddafis Gesicht handelte, wo dieser durch einen Kopfschuss gestorben war. Eine derartige Zurschaustellung der Leiche verletzt jegliche ethische Vorgaben zur Wahrung der Menschenwürde. Mir ist egal, wer dieser Mensch war und wie viele grausame Taten er in der Vergangenheit begangen hat. Wenn wir seinen Tod in einer derartig widerwärtigen Art und Weise in den Medien breit treten, lassen wir uns ein Stück weit auf dieses Niveau herab.

Noch vor einigen Monaten gab es eine riesige Diskussion darüber, ob es pietätslos ist, den Tod von Osama Bin Laden in den Straßen als Volksfest zu feiern. Dass sich die Gruppe von Menschen, die womöglich ein Leben lang unter den Taten der Person gelitten hat, ein Stück weit über dessen Tod freuen darf, ist eventuell noch verständlich. Doch die Ermordung eines Menschen derartig zu zelebrieren, ist absolut unter der Gürtellinie.

Stimmungsmache auf grausame Art und Weise

Die Veröffentlichung dieser Aufnahmen geht meiner Meinung nach noch einen Schritt weiter. Hier wird nicht ausschließlich objektiv über die jubelnden Aufständischen in Libyen berichtet. Durch die Veröffentlichung dieser Aufnahmen wird auf grausame Art und Weise Stimmungsmache betrieben.

Es hat auch nicht überrascht, dass in den USA das Video von Gaddafis Ermordung schon im Nachmittagsprogramm aller großen Fernsehsender zu sehen war. Dennoch blieb der für mich beruhigende Gedanke, dass eine dermaßen reißerische Berichterstattung hier bei uns, zumindest in den als seriös einzustufenden Medien, tabu ist.

Umso schlimmer war es, als eben diese Aufnahme vom toten Gaddafi am nächsten Morgen auf dem Titelbild verschiedener deutscher Tageszeitungen erschien. Auf dem Titelbild, wo es jedes Kind beim morgendlichen Gang zum Bäcker oder zum Supermarkt direkt zu Gesicht bekommt.

Es geht mehr um Auflagezahlen als um Seriosität

Möchten wir wirklich derart abstumpfen? Möchten wir wirklich in einer Gesellschaft leben, in der wir den Tod nicht mehr akzeptieren können, wenn wir die Beweise nicht mit eigenen Augen gesehen haben? Hätte es nicht gereicht, die Materialien den Presseagenturen zwar zuzuspielen, aber unveröffentlicht zu lassen? Misstrauen wir der Berichterstattung in unseren Medien so stark, dass die Aussage allein, Gaddafi sei tot, nicht mehr ausreicht?

Offensichtlich geht es hier inzwischen mehr um Auflagezahlen, als um seriöse Berichterstattung. Doch wo soll eine solche Herangehensweise noch enden? Wo ist die Grenze? Müssen wir uns in Zukunft womöglich noch Bilder ermordeter Kinder in der Zeitung anschauen? Doch wohl bitte nicht!

das-duell-feeder
Foto: stockxchng/ bizior, Montage: Falk Steinborn, Teaserfoto: Christian Pohl/pixelio.de

2 Comments

  • verena beringhoff sagt:

    Hallo Pia,
    erstmal schön, dass Du Dir das Duell durchgelesen hast. Und jetzt zu deinem Vorwurf: Ich habe nichts „Wort für Wort“ aus anderen Medien übernommen. Sollte meine Argumentation, die meine individuelle Meinung wiederspiegelt, anderen Quellen ähneln, dann ist dies dem Zufall geschuldet. MfG,
    Verena Beringhoff

  • pia sagt:

    die kommentare der pro argumentatorin sind offensichtlich wort für wort aus anderen internet quellen übernommen — professionalität?

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