Dortmund: Weniger Drogentote durch Konsumräume

Mit einem nationalen Gedenktag wurde in der vergangenen Woche der verstorbenen Drogenabhängigen gedacht. Die Stadt Dortmund konnte in den letzten Jahren einen starken Rückgang der Drogentoten verzeichnen. Gab es Anfang der 90er Jahre noch 54 Todesfälle, sank die Zahl im vergangenen Jahr auf acht. Für den Rückgang mitverantwortlich ist die Drogenhilfe-Einrichtung Kick in der Innenstadt. Täglich kommen etwa 200 bis 250 Drogenabhängige her, um sich beraten zu lassen oder in Konsumräumen Drogen zu nehmen. 

Die Räume verfügen über eine Ausstattung, die den Konsum von mitgebrachten Drogen unter hygienischen Bedingungen ermöglicht und so das Risiko verringert. Die Konsumenten erhalten Desinfektionstücher, Pflaster und Einwegzahnbürsten. „Es ist wichtig, dass die Leute nach wie vor auf ihren Körper achten. Wir bieten ihnen die Dinge nur an, stehen aber nicht mit erhobenem Zeigefinger hinter ihnen“, sagt Sozialarbeiter Andreas Müller.

KonsumraumGut jeder zweite der Drogenabhängigen besucht Kick, um in den Konsumräume im hinteren Teil der Einrichtung legal Drogen zu konsumieren. Während des Konsums werden sie die ganze Zeit von jemandem mit medizinischer Ausbildung überwacht. „So können wir sofort eingreifen, wenn etwas passiert“, erklärt der Sozialarbeiter. Nach dem Konsum von Heroin litten Abhängige manchmal an Atemdepressionen, in seltenen Fällen käme es sogar zum Herzstillstand. „Wir haben einen Notfallplan, sodass wir auch zwei Konsumenten parallel betreuen können. Bei uns ist noch nie jemand gestorben.“ 

Neue Spritzen – neue Nadeln

Laut Andreas Müller nehmen etwa 97 Prozent der Konsumenten Heroin, die übrigen nehmen Kokain und in seltenen Fällen auch Amphetamine. Am Eingang müssen die Drogenabhängigen ihre alten Spritzen einwerfen und bekommen dafür neue zur Verfügung gestellt – nur die Nadeln müssen sie bezahlen. Anschließend geht es weiter zur Anmeldung bei zwei Sozialarbeitern. „Wir kontrollieren, ob die Leute über 18 Jahre alt sind oder ob sie alternativ eine Genehmigung von den Eltern oder vom Jugendamt haben“, erklärt Müller. „Außerdem müssen Personen, die die Drogenkonsumräume nutzen wollen, in Dortmund wohnen und versichern, dass sie nicht substituiert werden.“Spritzen/ Drogenkonsumräume

Substitution bedeutet, dass sie anstelle der Drogen vom Arzt Ersatzmedikamente wie Methadon bekommen. Die Dosis wird nach und nach verringert, sodass die Patienten irgendwann ohne leben können. Dieses Vorgehen schließt den Beikonsum von anderen Drogen aus. Nach der Kontrolle können die Besucher in einem der beiden Räume rauchen, im anderen ihre Drogen intravenös nehmen. 

Dealer erhalten sofort Hausverbot

„Der Konsum illegaler Drogen ist in Deutschland nicht strafbar. Besitz und Handel allerdings schon. Deshalb achten wir stark darauf, dass die Konsumenten hier nicht dealen. Wenn wir doch jemanden erwischen, bekommt er sofort Hausverbot“, sagt Müller. Die Kriminalisierung treibt die Drogengebraucher in die Verelendung und erschwert den Hilfeeinrichtungen die Arbeit massiv.

Finanziert wird die Einrichtung, deren Träger der gemeinnützige Verein Aids-Hilfe Dortmund e.V. ist, fast vollständig durch die Stadt Dortmund. „Ich bin mir sicher, dass hier auch der Ordnungsaspekt eine Rolle spielt“, sagt der Sozialarbeiter. „Was die Leute hier konsumieren, konsumieren sie nicht auf der Straße.“ Nach Angaben der Deutschen Aids-Hilfe gibt es derzeit 24 Drogenkosumräume in 15 deutschen Städten. Andreas Müller versichert: „Bei uns ist jeder gern gesehen. Er muss kein Gelübde ablegen, dass er in Zukunft aufhören will, Drogen zu nehmen.“

 

Über die Drogenhilfeeinrichtung Kick
Die Drogeneinrichtung Kick gibt es in dieser Form seit 2002. Vorher wurde nur das Kontaktcafé von „JES“ (Junkies, Ehemalige und Substituierte) betrieben. Konsumierende haben den Treffpunkt also selbst organisiert. Nachdem sie die ihnen dafür zur Verfügung stehenden Gelder der Stadt veruntreut hatten, wurde das Angebot Müller zufolge vorübergehend auf Eis gelegt. Da „JES“ in gutem Kontakt zur Aids-Hilfe steht, entschied letztere das Kontaktcafé weiterhin zu betreiben und zusätzlich die Drogenkonsumräume einzurichten. Heute arbeiten neben 15 hauptamtlichen Mitarbeitern 10 studentische Aushilfen bei Kick. 

Wer kommt zu Kick?

Die meisten Besucher sind älter als 35 Jahre, 80 Prozent sind Männer. 

Im Durchschnitt haben sie im Alter von 14 bis 17 Jahren das erste Mal harte Drogen genommen, oft ohne zu wissen, was sie da konsumieren. 

65 – 70 Prozent nehmen ihre Drogen inhalativ, der Rest intravenös.

Das Klientel wechselt von Zeit zu Zeit. Viele gewöhnen sich die hygienische Einnahme von Drogen an, sodass sie diese zuhause fortsetzen oder an andere weitergeben.

Die vier Säulen der Drogen- und Suchtpolitik in Deutschland

Erste Säule: Prophylaxe. Präventive Maßnahmen sollen der Entstehung von Suchtkrankheiten vorbeugen. Aufklärung und Information spielen hier eine entscheidende Rolle.

Zweite Säule: Ausstiegsorientierte Hilfe. Den Suchtkranken wird individuelle Hilfe angeboten, von der Diagnose über die Therapie bis zur langfristigen Nachsorge. 

Dritte Säule: Niederschwellige Hilfe. Diese wird zum Beispiel in der Drogenhilfeeinrichtung Kick angeboten. Die Maßnahmen dienen unter anderem dazu, das Überleben Schwerstabhängiger zu sichern.

Vierte Säule: Repression. Darunter werden alle Maßnahmen zusammengefasst, die die Verfügbarkeit von Drogen und Suchtmitteln einschränken. 

Ein weiteres Angebot der Einrichtung ist das Kontaktcafé. Drogenkonsumenten können sich hier günstig Essen kaufen oder sich ungezwungen mit den Leuten aus der Küche unterhalten. „Mit den Sozialarbeitern besprechen sie ja doch eher ernste Themen“, berichtet Andreas Müller. Zu diesen Themen zählen vor allem Arbeitslosigkeit und Wohnungssuche. „Die meisten Menschen, die hierher kommen, haben keinen Job mehr, keine Familie und kein soziales Netzwerk. Ihnen fehlt jegliche Unterstützung.“ Bei Kick finden sie wieder sozialen Anschluss. Telefon/ DrogenkonsumräumeSie können zum Beispiel ein Telefon benutzen, um wichtige Anrufe zu erledigen. „Oft helfen die Sozialarbeiter ihnen dabei. Mit uns gehen die Ämter einfach anders um“, sagt Müller. Die Anrufe werden streng kontrolliert, damit die Konsumenten wirklich mit den Behörden sprechen und keine Deals vereinbaren. Darüber hinaus komme alle zwei Wochen eine Rechtsanwältin vorbei. Sie bietet eine kostenlose Beratung an. 

 

Teaser- und Beitragsbilder: Svenja Kloos

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