Sportlich in den Arbeitsmarkt – trotz Handicap

Noch immer sind die Arbeitslosenzahlen in Dortmund hoch (11,1 %), 34.222 Menschen haben keinen Job – im Städtevergleich sind das die meisten im Ruhrgebiet. Besonders Langzeitarbeitslosigkeit ist ein Problem. Auch Nina Berges, 39 Jahre alt, ist seit Juli 2014 arbeitslos. Doch für Nina ist die Arbeitssuche eine ganz besondere Herausforderung, denn sie hat ein Handicap, das sie am Arbeiten hindert – Nina leidet an Depressionen. Eine schwierige Kombination.

Donnerstagabend, 18:30 Uhr

Nina Berges wartet vor der Kneipe Lueders an der Dortmunder Kaiserstraße auf ihre Freunde und Teamkollegen Nils und Stephan. Seit Februar treffen sie sich hier wöchentlich für zwei Stunden zum Darts. Fröhlich werden sie vom Wirt begrüßt. Er kennt sie. Sie gehören zum Verein „Blind gewinnt“, der hier trainiert und seine Wettkämpfe austrägt. „Turniere haben wir bisher noch nicht gespielt, dafür sind wir noch nicht gut genug“, sagt Nina lächelnd.

Durch „ISPA“ fand Nina ein neues Hobby: nun spielt sie wöchentlich Darts.

Der Dartabend ist Teil eines Projekts, an dem die drei teilnehmen. Einmal die Woche treffen sie sich zum gemeinsamen Vereinssport, organisiert werden diese Treffen von den Grone Bildungszentren im Rahmen des Modellprojekts „ISPA“: Langzeitarbeitslose Menschen mit Behinderungen oder gesundheitlichen Einschränkungen sollen über den Sport an Jobs herangetragen werden. Klingt merkwürdig – aber es kommt an. „Das Gesamtpaket stimmt einfach. Wenn du mitmachst, bekommst du auch etwas zurück“, sagt Nina. Seit November 2016 nimmt sie nun am Projekt teil.

Ich will nicht am Hartz IV verblöden, sondern gegen die Perspektivlosigkeit kämpfen.

Denn Menschen mit Behinderung oder gesundheitlichen Problemen haben es schwerer als andere Arbeitslose, einen Job zu finden. Oft verhindere der Kündigungsschutz eine Anstellung für Menschen mit Handicaps. Einige Teilnehmer haben sogar Diskriminierung erfahren, schnell würden Sätze fallen, wie „Wir beschäftigen keine Schwachmaten!“ oder „Die werden wir ja nicht mehr los!“. 

Das Projekt 'ISPA'
Das Modellprojekt „Inklusion in Arbeit und Sport im Wirtschaftsraum Dortmund“, welches bis 2018 läuft, wurde von den Grone Bildungszentren NRW, vom Jobcenter Dortmund und der Agentur für Arbeit Dortmund gemeinsam konzipiert. Schwerbehinderten Langzeitarbeitslosen und potenziell Bedrohten soll über den Sport geholfen werden, ihre Chancen der beruflichen Integration zu erhöhen. Die Arbeitslosen werden an Grone weitergeleitet, wo die Qualifizierungsscouts zunächst ihre Kompetenzen untersuchen und gemeinsame Ziele in der Arbeitswelt festlegen. Im nächsten Schritt helfen die Sportscouts, eine für ihre Einschränkung passende Sportart und den dazugehörigen Verein zu finden. Das soll die Teilnehmer aus ihrem sozialen Tief und der Trägheit helfen und sie wieder an Leistungsfähigkeit und Kondition heranführen.

Sogar beim Kopfrechnen hat Nina großen Spaß.

Gemeinsam mit ihrem Sportscout Michael hat Nina den Dartsport für sich entdeckt. Auf das Treffen mit ihren Projekt-Kollegen freut sie sich jede Woche. Nachdem sich alle ein Getränk bestellt haben, geht es los. Gespielt wird ganz klassisch von 301 herunter. „Pass auf, jetzt kommt El Blindo. Er sieht zwar nichts, ist aber trotzdem der Beste“, sagt Nina und deutet auf Stephan. Der 49-Jährige, der auch am „ISPA“-Projekt teilnimmt, hat lediglich eine Sehkraft von 20 % und findet deshalb keine Arbeit. Und tatsächlich – der erste Wurf ist gleich ein Single Bull: 25 Punkte. „Nina, rechne mal!“, sagt er. Nina hat Abitur, ein angefangenes Tourismus-Studium und eine Ausbildung zur Mediengestalterin. Das Kopfrechnen fällt ihr daher leicht.

Für weitere Vereinsmitglieder von „ISPA“ werden Fotos gemacht.

Die nächsten zwei Stunden gehen schnell um. Verschiedene Spiele werden gespielt. „Wir sind ziemlich gleich auf“, bemerkt Nils, ein ehemaliger „ISPA“-Teilnehmer, der nicht im Verein, aber trotzdem ab und zu dabei ist. Bei besonders guten oder speziellen Würfen werden Fotos gemacht. „Wir haben eine WhatsApp-Gruppe und ärgern die Daheimgebliebenen gerne, wenn sie mal nicht dabei sein können“, erklärt Nina.

Um 21 Uhr ist das letzte Spiel vorbei. Die drei Freunde bezahlen und verabschieden sich von den Leuten in der Kneipe, es herrschen familiäre Verhältnisse. Auf dem Heimweg erklärt Nina, warum sie sich für den Dartsport entschieden hat. „Bogenschießen war zu teuer und beim Judo war die falsche Altersgruppe vertreten. Dart ist nicht zu anstrengend, fördert aber trotzdem den Ehrgeiz und macht Spaß.“

Softskills gegen die Arbeitslosigkeit
Während der neunmonatigen Projektphase bekommen die Arbeitslosen Unterstützung durch die Qualifizierungs- und Betriebsscouts. Im Rahmen von Workshops werden Fähigkeiten vermittelt, die Vermittlungshürden aus dem Weg räumen: Teamarbeit, Jobrecherche, Verhalten bei Vorstellungsgesprächen, Stressbewältigung, Arbeitsmarkt-Grundlagen und vieles mehr.

Freitagmorgen, 10 Uhr

Nina ist auf dem Weg zu den Grone Bildungszentren. Der Workshop „Teamarbeit“ steht an. 15 Menschen sitzen an einem langen Tisch. Die Betriebsscoutin Saskia Kuchanny leitet den Kurs. Vergangene Woche startete die Veranstaltung mit einer neu zusammengewürfelten Gruppe. Alle drei Monate kommen neue Teilnehmer hinzu und immer mal wieder findet ein Mitglied einen Job oder hört auf.

Im Workshop „Teamarbeit“ lernt Nina viel über Konfliktlösung und Gemeinschaftsgefühl.

Thema sind die Grundlagen, die für die Arbeit in einem Team benötigt werden. Heute geht es um Konflikte und wie sie gelöst werden können. Nina ist motiviert und beteiligt sich häufig: „Mangelnde Kommunikation ist oft das Problem. Man sollte sich mal loben und nicht alles als selbstverständlich ansehen.“ Beispiel ist gerade die Küchenarbeit bei „ISPA“. Besonders das Einräumen der Spülmaschine führt teilweise zu Spannungen, die aber immer schnell ausgeräumt werden. „Hier gibt es keine Egoisten. Alle agieren auf Augenhöhe und das merkt man auch“, sagt Kuchanny. Nina pflichtet ihr bei: „Wir sind keine Einzelkämpfer. Wir sitzen alle in einem Boot mit unseren Handicaps und der Arbeitslosigkeit.“

Der Teamarbeit-Kurs arbeitet in jeder Runde auf ein Projekt hin. Das soll den Teilnehmern Energie geben und sie motivieren, an einer Sache aktiv mitzuarbeiten. Außerdem wird Aufmerksamkeit für potenzielle Arbeitgeber geweckt. Ende Mai fand der Business-Tag statt, den die vorherige Gruppe organisiert hatte. 

Nun werden Ideen für ein neues Projekt gesammelt. Ein Teilnehmer ist bekannt dafür, besondere Stücke aus Lego zu bauen. „Wie wäre es denn, wenn wir aus Lego Dinge bauen, die Inklusion darstellen?“, schlägt Nina vor. Nach einer kleinen Diskussion finden alle die Idee gut und beschließen, in der nächsten Sitzung darüber abzustimmen.

Der Business-Tag
Der Business-Tag stand unter dem Motto „Durchstarten mit Handicap“. Mit Vorträgen, Fotostrecken und Videos wurden Möglichkeiten der beruflichen Inklusion aufgezeigt. Gleichzeitig konnten interessierte Arbeitgeber potenzielle Bewerber kennenlernen.

Jeden Freitagmittag wird gemeinsam eingekauft, gekocht und gegessen.

Am Mittag gehen die Teilnehmer einkaufen und kochen gemeinsam − ebenfalls eine Maßnahme für die Teamarbeit, für gesunde Ernährung und für das soziale Umfeld. „Es ist wichtig, dass die Leute aus ihrem sozialen Tief kommen und wieder aktiv werden“, erklärt Kuchanny.

Mittwochmorgen, 11 Uhr

Nina sitzt an einem Schreibtisch und schaut konzentriert auf einen Computerbildschirm. Die Sonne scheint ihr ins Gesicht, doch das scheint sie nicht zu interessieren. Sie tippt und lässt sich nicht ablenken. „Ich wurde nach dem Business-Tag von Frau Wenzel angesprochen, ob ich eine Arbeitserprobung bei den Grone Bildungszentren machen möchte. Ich war wohl sehr engagiert sowohl in der Vorbereitung als auch während der Veranstaltung“, sagt Nina stolz. Barbara Wenzel ist Teamleiterin für drei Projekte von Grone und bot Nina ein Monats-Praktikum für den Juni an.

Im Praktikum muss Nina vor allem Büroarbeit leisten.

Zweimal pro Woche arbeitet sie an den Workshops „PerMENTI“, ein Projekt zur Berufsvorbereitung für gut ausgebildete geflüchtete Frauen, und „CoBiKE“, bei dem junge Menschen „coole Berufe im Klimawandel erforschen“, mit. Jeden Dienstag und Mittwoch erledigt sie von 10 bis 14 Uhr Aufgaben, die im Büro anfallen: die Datenerfassung von ehemaligen Projektteilnehmern, um Erfolge darzustellen und die Erstellung von Fotocollagen für Ehrenamtliche sind zwei Beispiele. „Hier herrscht ein sehr nettes Arbeitsklima. Genaues Arbeiten, wie es hier verlangt wird, liegt mir. Ich kann mir zwar keinen Bürojob vorstellen, aber an anderen Tagen gibt es ja auch Außentermine oder Workshop-Termine.“

Erfahrungen sammeln und Aufmerksamkeit erlangen sind Ninas Ziele im offiziell ausgestellten Arbeitspraktikum. „Natürlich macht sich ein weiteres Praktikum auch nicht schlecht im Lebenslauf“, bemerkt sie. Sie habe sowieso nichts zu verlieren und es mache ja auch Spaß. Neben ihrer Arbeit geht sie an den anderen Tagen weiterhin zu den „ISPA“-Stunden.

Herausforderung Jobsuche meistern
Die „ISPA“-Teilnehmer werden ständig aufgefordert, Jobrecherche zu betreiben und Wunsch-Stellen abzugeben. Die Betriebsscouts erstellen daraufhin gemeinsam mit den Projekt-Teilnehmern Bewerbungsunterlagen und nehmen Kontakt zu den jeweiligen Unternehmen auf. Bei erfolgreicher Vermittlung vereinbaren sie Vorstellungsgespräche und begleiten die Teilnehmer, wenn gewünscht. Oft ergeben sich Arbeitserprobungen, Praktika oder auch feste Einstellungen. Die Vermittlungsquote bei „ISPA“ beträgt rund 60% bei bisher drei ausgewerteten Gruppen mit jeweils rund 20 Teilnehmern.

Bis Ende Juli 2017 ist Nina noch bei „ISPA“. Bis dahin erhofft sie sich weitere Vorstellungsgespräche sowie Arbeitserprobungen und am liebsten eine Festanstellung im Tourismus-Bereich oder am Flughafen. Nachdem sie bereits intern bei den Bildungszentren hervorgestochen ist, lässt das wohl nicht mehr lange auf sich warten. Eine neue Sportart und viele Freunde hat sie durch „ISPA“ bereits gefunden.

Beitragsbild und Fotos: Till Bücker