Buchtipp: „Die Muse des Mörders“

Keine Spuren, keine Indizien: Ein Massenmörder schockiert Wien im Jahr 2011. Dann bemerkt Chefinspektor Dominik Greve, dass den Opfern nach dem Mord ein wertvolles Schmuckstück fehlt. Auch Schriftstellerin Madeleine Scuderi ermittelt in dem Fall. Denn der Mörder betrachtet sie als Muse.

Die Kurzfassung des Krimis von den Sozialwissenschafts-Studentinnen Nadine D’Arachart und Sarah Wedler könnte so manchem schon bekannt vorkommen. Das wäre auch kein Zufall. Denn “Die Muse des Mörders“ ist ein Remake. Nicht irgendeins, sondern ein Remake von E.T.A. Hoffmanns Novelle “Das Fräulein von Scuderi“, die als erste deutsche Kriminalgeschichte gilt.

Nadine D'Arachart (26, links) und Sarah Wedler (25) sind zurzeit mit ihrem Debütroman "Die Muse des Mörders" auf Lese-Tour

Nadine D'Arachart (26, links) und Sarah Wedler (25) sind zurzeit mit ihrem Debütroman "Die Muse des Mörders" auf Lese-Tour. Foto: privat

Während in der Filmwelt Remakes fast an der Tagesordnung sind, sucht man sie in der Literaturbranche eher müßig. Wie kommt man darauf, ein Remake von einem Buch zu machen? „Der Verlag kam mit dieser Idee auf uns zu“, sagt Sarah, eine der Autorinnen. Beim Berliner open mike Festival 2011, einem der renommiertesten Nachwuchspreise in der Literaturszene Deutschlands, war ein Vertreter des Wiener Labor-Verlags Jurymitglied, sah dort die beiden Hattingerinnen im Finale mit ihrer Kurzgeschichte „Wenn du es kommen siehst“ und war begeistert. Seitdem stehen die beiden beim Labor-Verlag unter Vertrag.

Lesen aus Sicht eines Mörders

In ihrem Debüt, das im Februar erschienen ist, versetzt ein Mörder Wien im Jahr 2011 in Angst. Er tötet immer mit einem Dolch und stiehlt allen Opfern im Anschluss ein wertvolles Schmuckstück, das ein bekannter Wiener Nobeljuwelier fertigte. Chefinspektor Dominik Greve ermittelt in diesen Fällen und muss nebenbei auch größer werdende private Probleme lösen. Per Zufall wird die berühmte Wiener Autorin Madeleine Scuderi in den Fall verwickelt, als sie wegen einer Äußerung gegenüber der Presse plötzlich zur Muse des Mörders wird und daraufhin selber anfängt in dem Fall zu ermitteln und dabei in Gefahr gerät.

Der Erzähler berichtet abwechselnd aus der Perspektive von Dominik Greve, Madeleine Scuderi, der Tochter des Juweliers und der des Mörders. Die vier Handlungsstränge – anfangs weit auseinander – fügen sich im Verlauf des Buches immer enger zusammen bis sie zwangsläufig aufeinander treffen. Durch die äußerst spannende Sicht des Täters wird der Leser immer im Glauben gelassen, er könne durch kleine Hinweise schon den Täter ermitteln, bevor es Madeleine Scuderi oder dem Kommissar gelingt.

Handlung mit mehr Tiefe

Dabei übernehmen die beiden Autorinnen das Grundgerüst der Novelle von E.T.A. Hoffmann, die meisten Namen und Charakteristika sowie weite Teile der Handlung. Doch Nadine und Sarah denken den Originaltext von Hoffmann weiter, erfinden neue Stränge und geben den Protagonisten mehr Leben und Attitüden, sodass die Handlung deutlich an Tiefe gewinnt. Dies fällt vor allem bei Komissar Dominik Greve auf. Dieser existiert in der Originalfassung gar nicht und ist eine Kombination aus mehreren Originalcharakteren. Dieser „Hybrid“ ist Nadine und Sarah so gut gelungen, dass man regelrecht die Zerrissenheit des Charakters spürt, wenn er versucht seine zwei Existenzen als Kommissar und Ehemann in Einklang zu bringen. Dabei nimmt sein mehrfaches privates Scheitern auch Einfluss auf seinen Beruf.

Links Original, rechts Remake: Das Fräulein von Scuderi und die Muse des Mörders im Regal

Links Original, rechts Remake: Das Fräulein von Scuderi und die Muse des Mörders im Bücherregal. Foto: Katharina Kirchhoff

Auch Madeleine Scuderi erhält von den beiden einen ausgefeilteren Charakter. Im Originaltext ist sie noch die Hofdichterin von Ludwig XIV. und wird im Remake zu einer hoch angesehen Schriftstellerin. Dadurch dass ihre Vorgeschichte stärker beleuchtet wird, werden ihre Entscheidungen und Vorgehensweisen im Laufe des Romans klarer und verständlicher, was aufgrund der Kürze des Originaltexts nicht der Fall ist.

Sechsmonatige Recherche in Wien

Zudem transportieren die beiden Autorinnen Hoffmanns Geschichte vom 17. in das 21. Jahrhundert, wo dann auch Bestattungen per Webcam-Übertragung angeboten werden oder der Mörder sich über „twitternde Idioten“ aufregt. Auch den Handlungsort haben die beiden verlegt, nämlich von Paris nach Wien. Das geschah auf Wunsch ihres Verlags, der in Wien seinen Sitz hat.

Für die Recherche reisten Nadine und Sarah nach Wien und blieben dort ein halbes Jahr, um die Atmosphäre der Stadt, die Leute und die Umgebung kennenzulernen. Diese intensive Recherche merkt man dem Buch an. Es wirkt authentisch, wenn sie Charaktere durch die düstere Wiener Nacht irren lassen und dabei Straßennamen, Cafés oder historische Gebäude benennen. Dabei entwickelt das Duo so einen flüssigen Sprachstil, dass sie mit präzise formulierten Sätzen den Leser mit jeder Seite ihres Debüts immer weiter in die Abgründe der Charaktere und der Stadt hineintreiben.

90 Prozent schreiben, zehn Prozent studieren

Die Muse des Mörders ist zwar das Debüt der Hattingerinnen, unerfahren sind sie jedoch nicht. Mehrere regionale und überregionale Preise für Drehbücher und Kurzgeschichten belegen das. Einige der Kurzgeschichten sind auch Bestandteil von Anthologien – Sammlungen von Texten verschiedener Autoren. In Zukunft wollen sie sich aber auf Romane konzentrieren. Dass es ungewöhnlich ist, im Duo zu schreiben, finden die beiden nicht. Sie kennen sich bereits seit ihrer Zeit am Gymnasium in Hattingen, und seit sie 12 sind, schreiben sie. Immer zusammen. „Wir arbeiten dann meist in einem Zimmer, jede für sich am Laptop und jede schreibt an einem Kapitel“, sagt Nadine. Dann lesen sie sich ihre Ideen vor und überarbeiten das Geschriebene nochmal. „Streit gibt es dabei fast nie“, ergänzt Sarah.

Stress scheint für die beiden ein Fremdwort und das obwohl die beiden neben ihren vielen Projekten auch noch ihr Masterstudium in Sozialwissenschaften mit dem aufwendigen Schreibprozess in Einklang bringen müssen. Zurzeit sind beide im 12. Semester und der Abschluss ist in greifbarer Nähe. Aber Nadine gibt zu: “Das Studium ist nur da, um etwas in der Hand zu haben.“ Das Schreiben liegt klar im Vordergrund. Hier sehen die beiden ihre Zukunft. 90 Prozent Schreiben, zehn Prozent Studieren – so sieht zurzeit der Alltag aus. “Meistens besuchen wir Blockseminare, da müssen wir ja nur an wenigen Tagen anwesend sein“, sagt Sarah.

Auch ihr nächstes Projekt für den Labor-Verlag wird wieder ein Remake sein. Das steht so im Vertrag. Zuvor ist aber nun ihr neuer Thriller “Abgründe“ am 30. April als eBook erschienen, der wieder von der Aufklärung einer Mordserie handelt, diesmal allerdings in Virginia Beach. Mit “Die Muse des Mörders“ haben Nadine und Sarah jedenfalls bewiesen, dass sie sich mit Thrillern sehr gut auskennen, denn ihr Debütroman ist ein tiefgründiger auch äußerst spannender Thriller, auch wenn man Hoffmanns Original schon kennt.

Teaserfoto: Stefan Dierkes

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