Fußballgötter auf heiligem Rasen

Was für die Christen der sonntägliche Kirchgang und die Liturgie im Gottesdienst sind, das sind für eingefleischte Fußball-Fans der Stadionbesuch am Wochenende und die Fan-Gesänge im „Fußball-Tempel“. Religion und Fußball haben verblüffend viele Gemeinsamkeiten.

Blick nach oben: Für Nationalspieler Cacau gehören Religion und Fußball ohnehin zusammen. Wie viele andere Fußballprofis bekennt auch er sich auf dem Spielfeld zu seinem Glauben. Foto: www.cacau.de

Blick gen Himmel: Für Nationalspieler Cacau gehören Religion und Fußball ohnehin zusammen. Foto: www.cacau.de

Auf den ersten Blick haben sie nicht viel miteinander zu tun, Religion und Fußball. Das eine wirkt ernst und manchmal streng, das andere ausgelassen und euphorisch. Während es in der Kirche ruhig und feierlich zugeht, wird im Stadion gebrüllt, gebolzt und gepfiffen. Doch ein Blick in die Details zeigt: Fußball und Religion sind sich ganz schön ähnlich. Einige Begriffe und Rituale aus dem Ballsport sind mit denen aus der religiösen Praxis fast identisch. Eckhard Bieger und Theo Hipp, zwei katholische Theologen, erforschen das Phänomen. Sie haben spannende Gemeinsamkeiten entdeckt.

Die Fußball-Gemeinde

Zum Beispiel Fußballspiel und Gottesdienst. „Wie jede Liturgie im Gottesdienst beginnt auch ein Fußballspiel stets mit Gesängen“, erklärt der katholische Theologe Eckhard Bieger, der sich ausgiebig mit der Verwandtschaft von Fußball und Religion beschäftigt. Fußballvereine haben ihre eigenen Lieder, Nationalmannschaften haben Hymnen. Nach dem Gesang folgt der feierliche Einzug der handelnden Personen – im Stadion wie in der Kirche. Was in der Kirche der sakrale Altarraum ist, das ist im Stadion der „heilige Rasen“. Der Altarraum ist dem Pfarrer vorbehalten, das Spielfeld den Fußballern und dem Schiedsrichter.

Die Fußball-Wallfahrt

In der Kirche singt der Chor ... Foto: Burkard Vogt / pixelio.de

In der Kirche singt der Chor ... Foto: Burkard Vogt / pixelio.de

Noch ein Ritus findet sich sowohl bei Religion, wie auch beim Fußball: Die Wallfahrt. Christen pilgern nach Santiago de Compostela, Moslems nach Mekka, Fußball-Fans beim Auswärtsspiel zum Stadion der gegnerischen Mannschaft. „Steht an den Wallfahrtsorten ein Tempel oder eine Kirche, ist das Ziel der Fußballwallfahrt ein Stadion“, erklärt Bieger. „Die Fußballwallfahrer ziehen in einer Prozession zum Ort des Geschehens. Dabei singen sie ihre Wallfahrtslieder. Der religiösen Feier vergleichbar findet dann in einem festen Zeitrahmen und nach festgelegten Riten das Spiel statt.“

... im Stadion die Fan-Chöre. Foto: Oliver Weber / pixelio.de

... im Stadion singen die Fan-Chöre. Foto: Oliver Weber / pixelio.de

Es geht um die Klarheit der Riten

Die Liste der Gemeinsamkeiten von Religion und Fußball ließe sich beliebig fortsetzen. Aber woher kommen die zahlreichen Ähnlichkeiten von Ballsport und Glaubenspraxis? Theo Hipp, katholischer Theologe aus Frankfurt, schreibt zurzeit an einer Doktorarbeit zum Thema „Riten“. Und er hat eine Antwort: „Die Menschen wollen Klarheit und Eindeutigkeit im Leben. Die gibt es zum einen in der Kirche, wo die Bibel als Skript im Gottesdienst inszeniert wird, andererseits im Stadion, wo auf einem klar begrenzten Spielfeld innerhalb eines klar begrenzten Zeitraums ein Spiel mit Sieger und Verlierer ausgetragen wird.“ Sowohl Kirche als auch Stadion seien Orte, in denen der Mensch den Stress des Alltags ablegen könne, erklärt Hipp. „Religion und Fußball haben klare Rituale. Die geben dem Menschen Halt.“

Menschen seien immer auf der Suche nach der „Lebenswirklichkeit“, erklärt Hipp weiter. „Und Fußball bringt diese Lebenswirklichkeit für 90 Minuten auf die Bühne.“ Wie im normalen Leben ginge es auch im Stadion um existenzielle Fragen nach Sieger und Verlierer, nach Triumph und Niederlage. Nur eben stark fokussiert auf ein Spiel.

„Die Religion gibt dem Menschen außerdem Hilfe im Leben“, sagt Hipp. In gewisser Weise tue das auch ein Fußballspiel. „Jedes Spiel gibt einen eindeutigen Kommentar zu einer bestimmten Situation, nämlich dem Aufeinandertreffen zweier Mannschaften ab.“ Wer nach dem Spiel aus dem Stadion komme, wisse genau, wo er dran sei, nämlich als Gewinner oder als Verlierer. Das Verlangen nach Klarheit versucht der Mensch in Ritualen auszudrücken. In der Religion gibt es solche Rituale seit Jahrtausenden. Und auch der Fußball funktioniert nicht ohne feste, jedem bekannte Riten.

Da Riten von Menschen erfunden werden, findet man sie sowohl im Gotteshaus, als auch im Fußball-Tempel. Ob umgekehrt die Vuvuzela wohl jemals Einzug in eine Kirche halten wird, bleibt allerdings fraglich.



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