Auf der Suche nach vergessenen Autorinnen

Die Literaturgeschichte muss neu geschrieben werden: Eine Datenbank über unbekannte europäische Autorinnen verhilft Literaturforschern bald in ganz Europa zu neuem Wissen. Gegründet hat die Datenbank Prof. Suzan van Dijk von der niederländischen Universität Utrecht, einer Partneruniversität der Ruhr-Universität Bochum (RUB). Zusammen mit Prof. Lieselotte Steinbrügge von der RUB erforscht sie Romane aus dem 17., 18. und 19. Jahrhundert.

Gender_Suzan van Dijk und Lieselotte Steinbrügge (v.l.)

Suzan van Dijk und Lieselotte Steinbrügge (von links) auf der Suche nach verschollenen Autorinnen. Foto: Sandra Finster

Viele Autorinnen dieser Zeit, wie die Madame de Sévigné, sind in Vergessenheit geraten. Die adelige Marie de Rabutin-Chantal (1626 – 1696), Marquise de Sévigné, wurde durch den unterhaltsamen Briefwechsel mit französischen Adligen und ihrer Tochter berühmt. Die Korrespondenzen liefern umfangreiche Einblicke in das Leben des Hochadels unter „Sonnenkönig“ Ludwig XIV. Ihre Briefsammlung wurde aber erst 1727 veröffentlicht, lange nach ihrem Tod.

Alte Leserbriefe geben wichtige Hinweise

Die Datenbank www.womenwriters.nl soll solch vergessene Autorinnen wieder in den Fokus der Forschung rücken. Leserbriefe des 17., 18. und 19. Jahrhunderts an die Presse zeigen nicht nur, wie das Publikum die Literatur aufgenommen und bewertet hat. Sie verweisen auch auf verborgen gebliebene Schriftstellerinnen. Denn in vielen Zeitschriften wurden die literarirschen Werke der Damen damals nicht nur kritisiert, sondern auch veröffentlicht.

Romane „verdarben“ die jungen Mädchen

„Junge Mädchen, die Romane lasen, galten als verdorben. Im 18. Jahrhundert war es Tradition, dass eine Romanheldin am Ende der Geschichte entweder starb oder heiratete. Doch einige Autorinnen widersetzten sich zunehmend den auferlegten Normen“, erläutert die Bochumer Romanistin Steinbrügge. Literaturwissenschaftler wie sie untersuchen auch, ob Textgattungen ein Geschlecht haben. Durch geschlechtliche Kodierungen zeigt sich beispielsweise, dass Briefromane eher „weiblich“ sind. Denn die Autorinnen schrieben anders als ihre männlichen Kollegen; meistens spielten bei den Frauen, na klar, Liebesgeschichten eine größere Rolle.

Werke von Schriftstellerinnen gelten als weniger gut erforscht

In der Datenbank finden sich aktuell 700 Namen niederländischer Autorinnen aus dem 18. und 19. Jahrhundert. Zum Vergleich: Vor dem Aufbau der Datenbank waren im Nachbarland nur circa vier Schriftstellerinnen der Epoche bekannt. Das Netzwerk sollen Literaturwissenschaftler europaweit nutzen. „Die Idee dahinter ist, dass eine Gruppe von Forschern nicht mehr isoliert arbeitet. Ihr soll dazu künftig eine große Datenmenge zur Verfügung stehen. Bisher forschen Geisteswissenschaftler traditionell eher allein“, sagt Suzan van Dijk. Doch warum gerade weibliche Autorinnen – was ist mit den Männern? „Die Dokumentation männlicher Werke ist besser und sehr detailliert archiviert. Die Schriftstellerinnen des 18. und 19. Jahrhunderts sind dagegen eine Forschungslücke“, erklärt Steinbrügge.

Der weibliche Blick auf die Forschung

Bis 2010 ist die Finanzierung der Datenbank durch die NWO (Netherlands Organisation of Scientific Research) gesichert. Sie bietet Studenten Ansätze für Haus- und Abschlussarbeiten, vor allem in Gender Studies. Die fachübergreifende Wissenschaft beschäftigt sich mit dem Verhältnis der Geschlechter in historischen, gesellschaftlichen, kulturellen oder politischen Zusammenhängen. Die RUB bietet seit 2005 das Studium „Gender Studies – Kultur, Kommunikation, Gesellschaft“ als ein Zwei-Fächer-Master an. Es dauert vier Semester, Kerndisziplinen sind die Medienwissenschaft, (Kunst-)Geschichte, Romanistik und Sozialwissenschaft.

Text: Sandra Finster

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