Wirbel um WiWi-Klausur: Fehlversuche annulliert

Für die vielen Durchgefallenen der Statistik-Klausur gilt die Prüfung jetzt wie nie geschrieben. Foto: S. Hofschlaeger/pixelio.de/pflichtlektüre

Ein Thema sorgt momentan für jede Menge Gesprächsstoff auf dem Campus der TU Dortmund: die Statistik-Klausur der Wirtschaftswissenschaftler aus dem vergangenen Wintersemester. Die Prüfung gilt für Durchgefallene als nicht abgelegt – der Prüfungsausschuss hat die Fehlversuche annulliert. Was sind die Gründe dafür? Die pflichtlektüre hat sich auf Spurensuche begeben.

Jens* hat es geschafft. Der angehende Wirtschaftswissenschaftler hat die Statistik-Klausur am Haupttermin geschrieben – und bestanden. Trotzdem interessiert er sich weiterhin für die Prüfung. Genauer gesagt für all jene Kommilitonen, die durchgefallen sind und nochmal ran müssen. Und das sind viele: ungefähr 75 Prozent. Das Besondere: Ihre Klausuren gelten plötzlich, als wären sie nie abgelegt worden.

Man gibt uns Studierenden, die die Prüfung bestanden haben, keine echte Gelegenheit zur Notenverbesserung.

Wie alle anderen Teilnehmer der Klausur hat Jens durch eine Mail vom Prüfungsausschuss am 12. Mai von der Entscheidung erfahren. Alle Durchgefallenen, egal ob im Haupt- oder Nachtermin, dürfen die Klausur nochmal schreiben – ohne dass ihre Fehlversuche aus dem Wintersemester gewertet werden. Erstmals Gelegenheit dazu haben die Studierenden bei einem Zusatztermin im Sommer. Eine Teilnahme ist freiwillig. Möglich ist auch, die Klausur erst zu einem späteren Zeitpunkt zu schreiben.

Bestraft fürs Bestehen?

Für Studierende wie Jens, die die Klausur bereits bestanden haben, gibt es eine Sonderregelung. Wenn sie ihre Note verbessern wollen, dürfen auch sie im Sommer nochmal schreiben. Gewertet wird dann aber nur das neue Prüfungsergebnis. Heißt im Klartext: Fällt Jens bei seinem Neuversuch im Sommer durch, wird dieses Ergebnis gewertet – obwohl er die Klausur eigentlich schon bestanden hatte. Jens findet das unfair: „Man gibt uns Studierenden, die die Prüfung bestanden haben, keine echte Gelegenheit zur Notenverbesserung.“

Zeit für Prüfungen, hieß

Warum wurden die Fehlversuche der Durchgefallenen annulliert? Foto: berwis/pixelio.de

Gefreut hat die Nachricht vom Prüfungsausschuss dagegen die Studierenden, die bei den Prüfungen durchgefallen sind. Besonders glücklich ist, wer wegen drei Fehlversuchen eigentlich schon ganz aus dem Studium geflogen war und nun wieder mit dabei ist. Möglich wurde das erst durch Proteste gegen die Klausuren: Eine Facebook-Gruppe wurde gegründet, Unterschriften gesammelt und dem Prüfungsausschuss übergeben. Der Aufwand hat sich gelohnt. Nun zählen die Klausuren für Durchgefallene, als wären sie nie geschrieben worden. Aber warum hat sich der Prüfungsausschuss darauf eingelassen?

Fragwürdige Beschwerdepunkte

Im Schreiben des Prüfungsausschusses, das der pflichtlektüre vorliegt, heißt es, man habe den Entschluss „aus formalen Gründen und aus Kulanz“ gefasst. Eine Formulierung, die viel Interpretationsspielraum zulässt. Beim AStA wird gemunkelt, dass zwei konkrete Beschwerdepunkte der Studierenden hinter diesen Begriffen stecken.

Erstens: intransparente Punktevergabe

Die Studierenden sollen sich über eine intransparente Punktevergabe beklagt haben. Jens kann das nicht nachvollziehen. Zwar seien beim Nachtermin fast nur volle Punkte vergeben worden, weitere Anhaltspunkte für den Vorwurf ließen sich aber nicht finden.

Unsere Recherchen bestätigten diese Feststellung. Die Statistik-Klausuren des Vor- und Nachtermins liegen der pflichtlektüre vor. Bei beiden Klausuren wird deutlich ausgewiesen, wie viele Punkte es insgesamt und je Teilaufgabe zu holen gab. Eine intransparente Punktevergabe sieht anders aus.

Zweitens: schwierige Aufgabe eins

Viele Studierende sollen sich speziell über Aufgabe eins des Nachtermins beschwert haben. Dort sieht man die Arbeitslosenquoten von Ost- und Westdeutschland im zeitlichen Verlauf. Nun soll die Arbeitslosenquote von Gesamtdeutschland in dieser Grafik skizziert werden. Die meisten Studierenden haben den Graphen für Gesamtdeutschland genau in die Mitte der beiden anderen eingezeichnet.

Richtig ist aber, ihn näher an den Verlauf der Arbeitslosenquote von Westdeutschland zu zeichnen. Schließlich leben dort mehr Menschen, sodass diesem Teil der Republik mehr Gewicht zukommt. „Etwas speziell“, findet auch Jens diese Aufgabe. Er kann die Proteste darüber verstehen.

Sind es wirklich nur formale Gründe?

Doch kann diese eine Aufgabe allein Grund genug für eine derart weitreichende Entscheidung des Prüfungsausschusses sein? Hätte man nicht einfach die Punkte für Aufgabe eins weniger gewichten – und die ganze Klausur neu korrigieren können? Geschehen ist das nicht. Daher vermutet Jens: „Da muss es noch einen anderen formalen Fehler geben, den der Prüfungsausschuss nur nicht öffentlich machen will. Vielleicht, weil er ihm peinlich ist.“

Vom Prüfungsausschuss selbst erhalten wir zu den Gründen keine Auskunft. Der Vorsitzende, Professor Ralf Gössinger, teilte auf Anfrage mit: „Leider kann ich Ihnen nicht weiterhelfen. Gemäß der geltenden Prüfungsordnungen bin ich, wie die anderen Mitglieder des Prüfungsausschusses auch, zur Amtsverschwiegenheit verpflichtet (z.B. §6 Abs. 5 der Prüfungsordnung für den Bachelor-Studiengang Wirtschaftswissenschaften).“

Kulanz als Sprengstoff

So bleiben Zweifel: Ist es möglich, dass formale Gründe nicht existieren, sondern der Prüfungsausschuss nur aus Freundlichkeit gegenüber den Studierenden gehandelt hat? Das würde jedenfalls den Zusatz in dem Schreiben an die Teilnehmer der Klausur erklären, man habe aus Kulanz gehandelt.

Wurde nur aus Kulanz gehandelt, dann dürften im nächsten Semester nicht nur bei Mikroökonomie die nächsten Beschwerden kommen!

Einerseits wäre das gut. Schließlich wäre dadurch bewiesen, dass an der TU Dortmund Beschwerden von Studierenden gehört und ernst genommen werden. Andererseits birgt diese Formulierung Sprengstoffgefahr: Es kann der Eindruck entstehen, als wäre der Prüfungsausschuss nur wegen vieler Beschwerden eingeknickt – ohne existierende Anhaltspunkte dafür, die Klausurergebnisse annullieren zu müssen.

In diesem Fall könnte die Entscheidung des Prüfungsausschusses ein klassisches Eigentor gewesen sein. Schließlich sind hohe Durchfallquoten in anderen Studiengängen und Fächern völlig normal. Wäre es also der neue Standard, dass Klausuren nur wegen Beschwerden neu geschrieben werden, hätten die Korrektoren in Zukunft wohl einiges zu tun. Dann werden die nächsten Beschwerden kaum auf sich warten lassen. Das sieht auch Jens so: „Wurde nur aus Kulanz gehandelt, dann dürften im nächsten Semester nicht nur bei Mikroökonomie die nächsten Beschwerden kommen!“

„Viel leichter geht es eigentlich kaum!“

Hinweise, dass einzig aus Kulanz gehandelt wurde, gibt es jedenfalls. „Ich habe die Klausur auch schon im vorletzten Wintersemester geschrieben und bin damals durchgefallen. Im direkten Vergleich der Klausuren von diesem und letztem Semester war die Klausur dieses Jahr fair. Viel leichter geht es eigentlich kaum“, sagt Jens.

*Name von der Redaktion geändert

Teaserfoto: S. Hofschlaeger/pixelio.de; Komposition: Philipp Lippert

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