„Frau Katharina Schmidt hat unsere Erwartungen zur vollen Zufriedenheit erfüllt.“ – Klingt doch gar nicht schlecht, oder? Wäre aber nur eine Drei. Denn was wie ein Lob im Arbeitszeugnis klingt, muss nicht so gemeint sein. Kritik kommt oft trügerisch nett daher. In der Schweiz wird dagegen in vielen Zeugnissen direkt gelobt und kritisiert. Eine mögliche Lösung: die Brückentechnik.
Ein Arbeitszeugnis muss in Deutschland „wohlwollend“ formuliert sein. So will es das Gesetz. Das heißt: Dem Arbeitnehmer darf die Suche nach einem neuen Job nicht unnötig erschwert werden. In der Praxis hat sich dadurch eine oft verklausulierte Zeugnissprache entwickelt. Laien können hier nicht immer zwischen gut und schlecht unterscheiden. Bei einer guten Leistung hieße es zum Beispiel „Frau Schmidt hat unsere Erwartungen stets zur vollen Zufriedenheit erfüllt.“ Eine Eins wäre „stets zur vollsten Zufriedenheit“, auch wenn das grammatikalisch Quatsch ist.
„Die Rechtssprechung verbietet, Klartext zu reden“
„Ich erwarte von einem Arbeitgeber, dass er sich klar und eindeutig ausdrückt, ohne dass das Wohlwollen darunter leidet“, sagt Peter Häusermann. Der Schweizer Personaler wehrt sich gegen unklare Floskeln und x-beliebige Standardsätze. Vor allem müsse gelten: Wahrheit vor Wohlwollen. „Es gibt nur eine Wahrheit – keine zurechtgebogenen oder tolerierten Halbwahrheiten.“
Für die deutsche Praxis hat Häusermann nur ein Kopfschütteln übrig, zum Beispiel für einen Fall, der im November 2014 vor dem Arbeitsgericht in Erfurt landete. Die Mitarbeiterin einer Berliner Zahnarztpraxis hatte sich zu schlecht bewertet gefühlt und gegen die Formulierung „zur vollen Zufriedenheit“ geklagt. Die 25-Jährige wollte ein „stets zur vollen Zufriedenheit“, scheiterte aber. „Wenn das höchste deutsche Arbeitsgericht darüber urteilen muss, ob ‚zur vollen Zufriedenheit‘ einer durchschnittlichen Leistung entspricht oder nicht, wird mir fast schlecht“, meint der Schweizer.
Auch Michael Adler, Justiziar der Dortmunder Industrie- und Handelskammer, sieht in der deutschen Praxis eine Fehlentwicklung. „Die Rechtssprechung verbietet, Klartext zu reden“, erläutert Adler. „Die Arbeitgeber sollen die Wahrheit schreiben, aber Kritik zu äußern ist in der Praxis rechtlich meist nicht möglich. Viele Bewertungen sind dadurch nicht mehr differenziert und glaubhaft.“
Offene Kritik, gemäßigt formuliert
Häusermann setzt sich dafür ein, Kritikpunkte offen anzusprechen, aber in „moderater Sprache“. Dafür hat er die Brückentechnik entwickelt. Die Idee: Zunächst kommt das Positive zur Sprache. Dann werden die Schwächen direkt benannt, aber in relativierter Form, so dass das Gesamtbild nicht verzerrt wird. Auf negativ behaftete Ausdrücke wie „Mängel“, „Probleme“ oder „bedauerlicherweise“ soll verzichtet werden. Das Zeugnis endet wieder positiv. Das Schema lautet also: + / – / +.
Frau Katharina Schmidt war eine sehr engagierte, zuverlässige und belastbare Mitarbeiterin. Gegenüber Kunden verhielt sie sich immer sehr zuvorkommend und ihr Verhalten gegenüber Vorgesetzten und Kollegen war stets einwandfrei. Ihre Leistungen waren im Großen und Granzen sehr gut. (+)
Manchmal hätten wir uns gewünscht, dass es Frau Schmidt vermehrt gelungen wäre, die hohen Erwartungen unserer Französisch sprechenden Kunden noch besser zu erfüllen. (-)
Die von Frau Schmidt eingeleiteten Ausbildungsmaßnahmen und ihre Entscheidung zur Neuorientierung stimmen uns zuversichtlich, dass sie dieses heute noch bestehende Handicap mittelfristig überwinden wird. Wir danken Frau Schmidt für ihre Arbeit und wünschen ihr für die Zukunft alles Gute. (+)
In dem obigen Beispiel werden Katharina Schmidts Schwächen eindeutig benannt, aber angemessen gewichtet. Auch ihre Stärken werden betont, und das Zeugnis schließt sehr versöhnlich. Die Bewertung schafft nicht nur für andere Arbeitgeber Transparenz: Katharina Schmidt weiß nun, woran sie in Zukunft arbeiten muss. In einem herkömmlichen Arbeitszeugnis wären Katharina Schmidts Französischkenntnisse vermutlich nur als „zufriedenstellend“ bezeichnet worden. Oder der Personaler hätte sie womöglich gar nicht erwähnt und seine Kritik so zwischen den Zeilen ausgedrückt.
„Die Arbeitgeber haben eine Führungsverantwortung“
„Offen formulierte Arbeitszeugnisse sind sehr viel aussagekräftiger als lapidare Formulierungen wie ‚zur vollen Zufriedenheit'“, betont Häusermann. „Zudem bietet die Brückentechnik den Vorteil, dass beide Seiten, Arbeitgeber wie Arbeitnehmer, ihr Gesicht wahren.“ Er räumt jedoch ein, dass „die Brückentechnik auch hohe sprachliche Anforderungen stellt.“
„Ein falsches Lob bringt auch dem Arbeitnehmer nichts“, sagt Justiziar Adler. „Wenn eine Sekretärin zum Beispiel schlecht in Rechtschreibung ist, fällt das spätestens in der Probearbeitszeit auf.“ Ein ehrliches Arbeitszeugnis würde unnötigen Aufwand ersparen. „Dabei geht es nicht darum, Arbeitnehmer schlechtzumachen. Doch es gibt nun mal objektiv gute und nicht so gute Leistungen. Und das muss man auch so sagen dürfen.“
Es liege an der Wirtschaft selbst, die Zeugnispraxis zu ändern, betont Häusermann. „Die Arbeitgeber haben eine Führungsverantwortung. Es ihre Pflicht, Arbeitszeugnisse wahr und fair zu formulieren. Aber sie dürfen die Chancen ihrer ehemaligen Angestellten nicht einschränken.“
Das ABC des Arbeitszeugnisses – das solltest du wissen
Teaser-/und Beitragsbild: Johannes Ahlemeyer