Nordstadt und Hafen – von schäbig zu schick?

Zugegeben: Wenn man auf dem Nordmarkt steht und die Mallinckrodtstraße abwärts blickt, fällt es schwer sich vorzustellen, dass hier in ein paar Jahren womöglich hippe Besserverdiener in sanierte Altbauwohnungen ein- und ausgehen. Sowas? In der Nordstadt? Oder im Hafen?  Dort, wo die Grundstücks- und Mietpreise niedrig sind und wo strukturschwacher Stadtteil“ noch zu den harmloseren Beschreibungen gehört? Die einzige Parallele zu bereits gentrifizierten Stadtteilen, wie zum Beispiel Berlin-Kreuzberg, ist allerdings simpel: Auch in Berlin konnte sich noch vor zehn bis 15 Jahren niemand vorstellen, dass sich Kreuzberg oder Friedrichshain einmal so wandeln werden.

Die Uhlandstraße - bald gentrifiziert? (Foto: David Freches)

Die Uhlandstraße - bald gentrifiziert? (Foto: David Freches)

Klar, ein Stadtteil muss sich hinsichtlich repräsentativer Merkmale verändern, damit man hinterher sagen kann: Hier hat ein Wandel stattgefunden. Sind also die gegenwärtigen Probleme in der Nordstadt und im Hafen automatisch eine Voraussetzung für eine mögliche Gentrifizierung? Was ist das überhaupt?

Gentrifizierung ist Wandel, trading-up, Verdrängung

„Gentrifizierung ist ein Prozess, der in schlechter gestellten, etwas vergessenen Quartieren mit höherem Wohnungsleerstand stattfindet. Dort ziehen vor allem Studenten und die kreative Szene hin, die dem Viertel im Laufe der Zeit  ein modernes, hippes und szeniges Image verpassen. Das wird dann irgendwann für Außenstehende, die Immobilienbranche und Wohnungseigentümer attraktiv“, erklärt Susanne Linnebach, von der Stadterneuerung im Stadtplanungsamt der Stadt Dortmund. Immobilienbranche und Wohnungseigentümer seien neben der jungen Bevölkerung wichtige Akteure, weil sie die dort die Chance sehen, Profit aus dem Wandel des Stadtteils zu schlagen. „So verändert sich der ursprünglich schlechter gestellte Stadtteil durch Investitionen und Sanierungen in einen Wohnraum für vor allem finanziell stärkere Menschen.

Prof. Susanne Frank:"Keine Verdrängung, sondern frewilliger Umzug!" (Foto: TU Dortmund)

Prof. Susanne Frank:"Keine Verdrängung, sondern frewilliger Umzug!" (Foto: TU Dortmund)

Eine solche Beschreibung trifft in vielen Dingen auch auf das Dortmunder Kreuzviertel zu, einer ehemaligen Arbeiter- und Studentenhochburg. „Im Kreuzviertel sind die Studenten nach Ende des Studiums vor Ort geblieben und in die Berufe gewechselt“, erläutert die Professorin für Stadt- und Regionalsoziologie der TU Dortmund, Susanne Frank. Damit waren auch gestiegene Mieten erschwinglich.“ Der attraktive Flair des Kreuzviertels kam von ganz alleine. Wie begehrt das Kreuzviertel immer noch ist, haben Ende 2011 rund 120 Studenten am eigenen Leib erfahren. Sie mussten mit ihrem Studentenwohnheim an der von-der-Recke-Straße den Eigentumswohnungen eines Investors weichen.  „Das ist ein Verdrängungseffekt, der nach und nach einsetzt“, so Linnebach. Die Stammbewohner werden ersetzt durch Personen, die mehr bezahlen können. Es gibt quasi ein trading-up-Prozess in diesen Stadtteilen.“ Ob mit trading-up auch der flapsige Spruch gemeint ist, der sich im Dortmunder Volksmund  hartnäckig hält? Da heißt es nämlich so frei: „Die Leute, die früher im Kreuzviertel die Nächte durchgefeiert haben, rufen heute beim ersten Falschparker die Polizei.“

Susanne Linnebach (Foto: David Freches)

Susanne Linnebach: "Ein 'trading up'- Prozess in den Stadtteilen" (Foto: Susanne Linnebach)

Dr. Tobias Scholz, wohnungspolitischer Sprecher vom Mieterverein Dortmund, definiert Gentrifizierung noch deutlicher. „Gentrifizierung ist der Zuzug von Besserverdienern in ein bestimmtes, kürzlich aufgewertetes Stadtviertel. Diese Zuzüge führen zu Verdrängungen der angestammten Bevölkerung über Marktmechanismen wie Mieterhöhungen. Und dabei können halt nur die finanziell stärkeren Menschen mithalten.“

Nordstadt stabilisieren, nicht gentrifizieren

„Kürzlich aufgewertet“ und „Nordstadt“ lassen sich allerdings nur schwer unter einen Hut bringen. Den ein oder anderen sanierenden Eingriff in der Nordstadt oder im Hafen würde man sich eher händeringend wünschen – Stichwort „Problemhäuser“. Welche Zustände dort herrschen, hat kürzlich erst eine groß angelegte Polizeirazzia gezeigt.

"Einigen Eigentümern fehlt die Motivation" - Klaus Spieker (Foto: David Freches)

"Einigen Eigentümern fehlt die Motivation" - Klaus Spieker (Foto: David Freches)

„In vielen Mehrfamilienhäusern wurde zu lange nichts gemacht. Einigen Eigentümer fehlt leider die Motivation, nochmal in entsprechende Mehrfamilienhäuser zu investieren. Vielleicht ist der kommende doppelte Abitur-Jahrgang eine Chance“, sagt der Immobilienmakler Klaus Spieker. Er sitzt mit seinem Büro schon seit mehr als 30 Jahren mitten in der Dortmunder Nordstadt. Auch deshalb ist ihm viel an einem Miteinander in der Nordstadt gelegen. „Hier und da muss man schon aufpassen, dass Straßenzüge nicht abstürzen. Das ‚Projekt Straßenhausmeister‘ oder das ‚Netzwerk Nordstadt‘ sind da schon gute Ansätze. Natürlich hilft es auch, wenn der Eigentümer mal ganz pragmatisch einen Eimer Farbe in die Hand nimmt.“ Spieker hofft, dass sich problematischere Teile der Nordstadt so stabilisieren.

Tobias Scholz: "Stabilisierung ist gut, aber man muss aufpassen, dass das nicht kippt!" (Foto: David Freches)

Dr. Tobias Scholz: "Stabilisierung ist gut, aber man muss aufpassen, dass das nicht kippt!" (Foto: David Freches)

Eine Stabilisierung, die auch Scholz wichtig ist.  „In Dortmund gibt es circa 33.000 Wohnungen, die Finanzinvestoren gehören. Die haben natürlich alle das Ziel, möglichst viel Profit aus den Wohnungen zu ziehen. Aber nicht alle legen auf die Instandhaltung auch einen entsprechenden Wert.“ Er wünscht sich, dass mehr Mietobjekte an fleißige Eigentümer verkauft werden, die sich um die Belange ihrer Mieter kümmern. „Das ist einer Stabilisierung eher förderlich, als wenn in Mehrfamilienhäusern die Miete hoch angesetzt und der Instandhaltungsservice niedrig ist. Das ist nur im Interesse des Eigentümers, weil es seine Gewinnspanne vergrößert.“ Allerdings müsse man auch bei einem Stabilisierungsprozess vorsichtig sein und zwischen gewünschter und befürchteter Entwicklung differenzieren. Wenn sich die Nordstadt und der Hafen stabilisieren und so Stigmatisierungen vermieden werden können, sei das positiv. „Wenn das ganze aber in einem schick sanierten Altbauviertel resultiert, ist auch niemandem geholfen. Stabilisierung ist wichtig, aber man muss aufpassen, dass das nicht kippt!“

Gentrifizierung in naher Zukunft unrealistisch

Müssen sich die Nordstadt und der Hafen also erstmal stabilisiern, bevor die Gefahr einer Gentrifizierung besteht? Ja. Ein Gentrifizierungsszenario halten die Experten eher  für Dortmund-Hörde realistisch, aber nicht für die nördliche Innenstadt. „Die Gefahr einer Gentrifizierung ist dann besonders groß, wenn viele gut verdienende Menschen in einer Stadt wohnen, in denen die Wohnungen knapp sind. Das mag zum Beispiel auf Köln zutreffen, aber nicht auf Dortmund, wo der Wohnungsmarkt noch sehr entspannt ist“, entwarnt Linnebach.  Auch Spieker beschreibt den Wohnungsmarkt als defensiv: „Es gibt noch Leerstände sowie frei verfügbare Fläche – und keine explosive Enge.“ Unabhängig davon sei Dortmund kein gutes Pflaster für Immobilien-Haie, die einer möglichen Gentrifizierung zusätzlich ihren ganz eigenen Drive geben würden.

Erstaunlich: Das ist eine Aussage, der sogar Dr. Scholz zustimmen kann, wenn auch mit Ausnahmen. Auch Prof. Frank hält eine gentrifizierende Entwicklung für nahezu ausgeschlossen. Sie wird in ihrer Einschätzung sehr deutlich. „Solange im Hafen und vor allem in der Nordstadt eine derartige Artmuts-Problematik vorherrscht wie es aktuell der Fall ist, gibt es auch immer unerwünschte Nebeneffekte wie zum Beispiel Kriminalität, Drogenproblematik oder eine nicht gesichterte Bildung für Kinder. Das führt dann nicht zu einer Verdrängung, sondern dazu, dass  Paare freiwillig wegziehen – spätestens, wenn sie sich dazu entschließen eine Familie zu gründen.“

Aber wie werden sich Teile der Nordstadt, dann entwickeln? Zum Beispiel der Bereich um die Münsterstraße, der damit wirbt, „Dortmunds lebendiges Pflaster“ zu sein? Spieker versucht sich: „Vielleicht so, wie Kreuzberg im positiven, so dass es an einem sonnigen Tag auf den ersten Blick auch mal ein bisschen so aussieht wie in Istanbul.“ Das habe Großstadtflair, so der Immobilienmakler. Und fügt hinzu: „Wir Westfalen sind ja alle so’n bisschen konservativ und bieder. Aber die Durchmischung, wie um die Münsterstraße, sorgt für Kreativität und Vielfalt. Und das ist positiv.“

"Großstadtflair wie Istanbul" - die Münsterstraße. (Foto: David Freches)

Großstadtflair wie Istanbul? - Die Münsterstraße. (Foto: David Freches)

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