Dschungelcamp: Mehr als Unterschichten-TV?

Duell am Donnerstag

Kaum jemand steht dazu, viele tun es: Seit fast zwei Wochen leiden Millionen Zuschauer Tag für Tag mit den gescheiterten Prominenzen im australischen Dschungel. Ekel, Fremdscham und Sensationslust ziehen sie immer wieder vor den Bildschirm. Jeder zweite, der nach 22 Uhr den Fernseher einschaltet, landet bei RTL. Ist das Dschungelcamp also mehr als  Unterschichten-TV?

PRO CONTRA
Ja, aber natürlich. Meine Mitbewohnerin guckt es, mein Vater ist beim Zappen auch hängen geblieben und na ja…ich gehöre auch nicht unbedingt zur Unterschicht. Zu subjektiv das Ganze? Gut, lassen wir Fakten sprechen: Jeder dritte Zuschauer ist ein Beamter, Angestellter oder Arbeiter. Genauso sind 1/3 der Fans Abiturienten und 25 Prozent Uni-Absolventen. Außerdem hat das Format mittlerweile die 50-Prozent-Marke geknackt, was im Klartext heißt: Jeder zweite Fernsehzuschauer guckt um kurz nach 22 Uhr das Dschungelcamp. Ganz schön viele Zahlen, die beweisen, dass RTL mit diesem Format mehr als nur Unterschichten-TV macht.

Das TV besiegt das Über-Ich

Die Frage ist ja eher, warum überhaupt noch jeder zweite Zuschauer im TV etwas anderes sehen will als ekelerregende Dschungelprüfungen und Dirk Bachs Kostüme. Wahrscheinlich sind viele schlichtweg nicht hart genug dafür, denn seien wir doch mal ehrlich: Wenn die einen vor Tierliebe weinen und die anderen genüsslich Kroko-Penisse verspeisen, überkommt uns ein Gefühl, das wir nicht so einfach beschreiben können. Eine Mischung aus Ekel, Fremdscham und Voyeurismus. Es ist wie ein Autounfall oder einer dieser „Look-at-that-shit“-Momente – du kannst dich nicht wehren und musst immer wieder hinsehen. Dein Es besiegt dein Über-Ich, das dir Vernunft eintrichtern will. Du schaltest rein und gibst dir die volle Dröhnung Jay und Indira in Love. Und das erträgt nun wahrlich nicht jeder.

Entspannen und Gehirn abschalten

So trashig das RTL-Format ist, so groß ist doch seine Daseins-Berechtigung. Wenn jemand die Nase rümpft und über den niveaulosen C- und D-Promiauflauf meckert, hat er schlichtweg das Konzept nicht begriffen. Es geht nicht um Bildung (dafür sind Privatsender ohnehin nicht bekannt), sondern schlichtweg um Unterhaltung. Ich will nichts über die Botanik des australischen Dschungels erfahren, ich will für ein paar Minuten einfach in menschliche Abgründe blicken.

Büromenschen, die den ganzen Tag mit trockenen Zahlen hantieren, genau wie Studenten, die die abstraktesten Philosophie-Texte lesen, wollen nach 22 Uhr doch nur eines: Entspannen und abschalten. Und wobei lässt sich das Gehirn besser abschalten als bei einer Sendung, in der ein gescheitertes Super-Model jubelt: „Juhu, ich bin ein Assi!“? Und das hat wirklich nichts mit Unterschicht zu tun.

Nein, denn was eine Unterschicht ist, das muss man mal erst einmal definieren. Unterschicht wird meist synonym verwendet für Menschen, die aus finanziellen Gründen am unteren Ende der Gesellschaftspyramide stehen. Unterschicht, das ist gemeinhin das abgehängte Prekariat der Hartz-IV-Familien – so die Definition der Friedrich-Ebert-Stiftung vor vier Jahren. Aber diese eindimensionale Deutung ist zu kurz gegriffen. Denn was sagt schon der Geldbeutel über Verstand, Vernunft und Bildung aus. Anscheinend weniger, als Sozialstudien nahelegen.

Geistige Unterschicht

Wenn 50 Prozent der 14- bis 49-jährigen Zuschauer das Dschungelcamp schauen, dann muss man von einer geistigen Unterschicht sprechen. Sie lässt sich nicht am höchsten Bildungsabschluss festmachen oder am Einkommen. Im Gegenteil. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass Menschen jeglicher sozialen Stellung der Entwürdigung- und Verblödungsmaschinerie von RTL Folge leisten  – mit dabei sind Abiturienten, Studenten und Akademiker.

Natürlich kommt gerade von eben diesen, wenn sie sich als Dschungelcamp-Schauer ertappt fühlen, der Ausruf: Aber ich schaue das nur als Sozialstudie oder um mich darüber lustig zu machen.

Moderner Gladiatorenkampf

Genau das ist die Krux an der Sache: Ein Teil der vermeintlichen Bildungselite durchschaut zwar das System, welches RTL mit dem Zuschauer spielt. Allerdings kann der sich auch nicht von ihm lossagen. Stattdessen schauen sich Studenten an, wie sogenannte Prominente aus finanzieller oder psychischer Not (Aufmerksamkeitsdefizit), einen entehrenden Job erledigen. Sie sehen zu, wie Menschen für die Belustigung der Massen gequält werden. Früher nannte man sowas Gladiatorenkämpfe: Die Promis als Gladiatoren, RTL als Arenaleiter und die Zuschauer – ja als was?

Die Zuschauer sind die jubelende Masse, die das System Dschungelcamp erst ermöglichen. Mit ihrem Voyeurismus verletzen sie den Grundsatz, der unsere heutige Gesellschaft auszeichnet: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Wer das Dschungelcamp schaut, der tritt dieses Prinzip mit Füßen. Wer das Dschungelcamp schaut, der darf sich einreihen in die geistige Unterschicht.



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