Frauenfußball nach der WM: „Es wird sich wenig ändern“

Am Sonntag (26. Juni, 18 Uhr) findet in Berlin das Eröffnungsspiel der Frauen-Weltmeisterschaft statt. Erster Gegner der deutschen Fußballerinnen ist Kanada. Doch von derzeit ungewohnt vollen Stadien und hohem Medienrummel wird die deutsche Frauenfußball-Bundesliga nicht profitieren können – sagt einer, der sich mit Spitzenfußball auskennt: Sportwissenschaftler Prof. Dr. Jürgen Buschmann.

An der Deutschen Sporthochschule Köln lehrt er Studenten, computer- und videogebundene Analysen im Fußballsport durchzuführen. 2006 war er für den legendären Spickzettel von Ex-Nationaltorwart Jens Lehmann verantwortlich. Im Interview erklärt er, welchen Nachteilen die Frauen im Fußball ausgesetzt sind und warum sie auch in Zukunft im Schatten der Männer stehen werden.

Jürgen Buschmann. Foto: privat

Wurde durch seinen Spickzettel für Keeper Jens Lehmann berühmt: Sportwissenschaftler Jürgen Buschmann. Foto: privat, Teaserfoto (Nationalspielerin Annike Krahn aus Bochum): Lutz Leitmann / Presseamt Stadt Bochum

pflichtlektüre: Frauenfußball ist sehr mit Klischees belastet. Sportlerinnen im Volleyball, in der Leichtathletik und im Tennis werden von ihren männlichen Kollegen und Zuschauern hingegen nicht so infrage gestellt. Was ist der Unterschied?

Jürgen Buschmann: Das lässt sich leicht erklären. Bei körperbetontem Sport gibt es die klassische Aussage der Soziologen: ,Der Mann hat Körper und die Frau ist Körper‘. Das heißt: Der Mann setzt den Körper als Werkzeug ein, die Frau identifiziert sich mit ihrem Körper. Und sie hat eigentlich auch nie gelernt, ihren Körper im Kampf einzusetzen. Das kommt natürlich im Fußball stark zu tragen und wird eben auch von den Männern nicht akzeptiert. Da heißt es, die Frau ist überhaupt nicht in der Lage, ihren Körper sportlich einzusetzen.

Bei Frauen auf dem Rasen sprechen die einen von „Kampflesben“, andere sagen, das Fußballspiel der Frauen sei ein viel schöneres.

Wir haben analysiert: Die Frauen verbuchen tatsächlich doppelt so viele Strafraumszenen in der Bundesliga als Männer. Das entspricht dem Männerfußball der 50er-, 60er- und 70er-Jahre. Da gab es im Schnitt 40 Torraumszenen pro Spiel. Heute haben wir in der Bundesliga davon nur noch zehn. Fußball war früher viel unterhaltsamer. Deshalb ist der Frauenfußball wirklich schön anzuschauen.

Was die deutschen Fußballfans angeht, so hat man den Eindruck, dass es zwar einen Trend zu immer mehr Akzeptanz gegenüber Frauenfußball gibt. Wenn es aber dann darum geht, sich die Spiele anzusehen, werden doch nicht so viele Tickets verkauft.

Richtig. Aber man muss ganz klar hinterfragen, ob das wirklich eine Akzeptanz der Sportart ist. Diesen Trend gibt es durch die Nationalmannschaft der Frauen – die ist ja auch erfolgreich. Wenn die nur ins Viertelfinale einer Europa- oder Weltmeisterschaft kämen, dann würde das auch keinen interessieren. Aber dadurch, dass sie erfolgreich sind, kann der Zuschauer sich, ähnlich wie beim Becker-Boom im Tennis oder bei Schumacher im Autofahren, vor dem Bildschirm damit identifizieren.

Also kann die Bundesliga kaum vom Erfolg der Frauen-Nationalmannschaft profitieren?

Genau. Es macht Spaß, sich eine Nationalmannschaft anzuschauen, die viel gewinnt und in der die Besten spielen. In der Bundesliga ist das anders. So lange TuS Lützenkirchen gegen Niederbrandenburg spielt, bleiben das Dorfvereine, und die interessieren nicht. Ich war vor Jahren mal bei den Endspielen um die deutsche Meisterschaft dabei, als Brauweiler gegen Duisburg spielte. Ich glaube, jedes Spiel der Verbandsliga bei den Herren hat mehr Niveau und Stil, was die Rahmenbedingungen angeht. Da wurden irgendwelche Tische mitten auf den Rasen gestellt, auf denen dann die Pokale standen. Und von denen hatte man das Gefühl, sie waren gerade aus einem Nachbarschuppen herausgeholt worden.

Das ist der WM-Kader 2011: Auf dem Rasen sind sie Profis, viele von den Spielerinnen der National-Elf haben aber Nebenjobs, damit sie auch genug verdienen. Foto: Alfred Harder/ DFB

Das ist der WM-Kader 2011: Auf dem Rasen sind sie Profis, viele der Spielerinnen haben aber Nebenjobs, weil das Gehalt im Fußball nicht reicht. Foto: Alfred Harder/DFB

Selbst als die deutschen Frauen 2004 den dritten Platz bei den Olympischen Spielen in Athen holten, war kein einziger Fotograf da. Das muss man sich wirklich einmal vorstellen: Die Mädchen haben sich gegenseitig nach dem Spiel fotografiert. Das Interesse hat sich aber in den vergangenen Jahren auch gebessert. Wenn heute die Frauen von Bayern München gegen die vom 1. FC Köln spielen, wird man grundsätzlich in Köln 5.000 Zuschauer finden, weil da nunmal eine Mannschaft vom FC spielt.

Hauptursache für die Nachteile im Frauenfußball scheint Geldmangel zu sein.

Im Sport ist es wie überall. Wenn das Geld nicht da ist, passen die Rahmenbedingungen nicht. Das sieht man am Zustand der Fußballplätze oder es äußert sich in den Gehältern der Damen. Wenn es heute drei, vier Spielerinnen in der Nationalmannschaft gibt, die vom Fußball leben können, ist das schon viel. Der Rest hat einen Beruf nebenbei. Wir haben kein Profitum im Fußball. Der 1. FFC Frankfurt und Turbine Potsdam versuchen, das zu ändern. Aber die sind noch lange nicht so weit. Die Frauenabteilungen der großen Vereine stehen noch immer oft hinten an.

Warum?

Es ist eine Frage des Marketings. Solange es keine Unternehmen gibt, die sich im Frauenfußball positionieren wollen, haben wir ein Problem. Wenn man von den horrenden Summen, die im Männerfußball für Sponsoring gezahlt werden, nur fünf Prozent in den Frauenfußball steckte, würde das ja schon fast reichen. Aber diese Einsicht ist eben noch lange nicht da.

Steigende Akzeptanz? Während die Nationalmannschaft bejubelt wird, ist das Interesse an der Frauenbundesliga im Vergleich zu den Männern mager. Foto: Lutz Leitmann/ Presseamt Stadt Bochum

Steigende Akzeptanz? Fans vor dem Bochumer Stadion beim Länderspiel gegen Russland 2009. Foto: Lutz Leitmann/ Presseamt Stadt Bochum

Professionellere Organisation hinter den Kulissen muss her.

Richtig. Dazu gehört für mich zu allererst, dass die Bundesligisten zum Frauenfußball stehen. Für die ist das nämlich eine Kleinigkeit. Eine U-23-Männer-Amateurmannschaft kostet heute rund eine Million Euro.

Solche Dimensionen im Frauenfußball – und Profibedingungen wären geschaffen. Den Vereinen fehlt da die Einsicht.

Frauen verdienen angeblich 500 bis 2000 Euro in der Bundesliga.

Das kommt ganz auf den Verein an. Ich bin da nicht sehr firm, aber das dürfte der Spielraum sein. Zum Vergleich: 500 Euro kriegt heute ein Mann, der in der Bezirksliga spielt.

Was glauben Sie, leistet genau da die WM für das Ansehen und die Bedingungen des Frauenfußballs? Steigen dadurch die Gehälter?

Persönlich glaube ich: nein. Es wird sich im professionellen Bereich wenig ändern. Ich sehe außer der Deutschen Post keinen Sponsor, der großes Interesse am Frauenfußball hat. Aber: Großes Potential sehe ich bei jungen Mädchen. Es ist wichtig, dass es für Mädchen eigene Konzepte im Fußballtraining gibt. Wenn Mädchen direkt mit Jungen trainieren, verlieren sie schnell die Lust. Jungen sind ausdauernder, kräftiger, schneller, setzen den Körper anders ein. Das müssen Mädchen erst einmal lernen.

Wenn das Training in Schulen und Vereinen auf Mädchen zugeschnitten ist, können festgefahrene Rollenklischees aufgebrochen werden. Die Mädchen können wichtige soziale Erfahrungen machen, Team- und Mannschaftsgefühl entwickeln und ihre motorischen Fähigkeiten richtig ausbauen. Dann dauert es auch nicht lange, bis sie mit und gegen Jungen spielen können.

Glauben Sie denn, dass Frauenfußball auch durch die WM immer mehr zu einer Mainstreamsportart wird?

So weit würde ich nicht gehen. Das Interesse wird aber zunehmen. Dann kommen große Probleme auf die Vereine zu, was Platz- und Hallenkapazitäten angeht. Ich glaube: Selbst wenn Mädchen dieses Interesse haben, muss man erst einmal einen Verein finden, in dem sie spielen können. Kein Verein wird irgendwo eine Jungenmannschaft vom Platz nehmen, weil da Mädchen auch mal drauf wollen.

Birgit Prinz im Angriff gegen die Niederlande: Im internationalen Vergleich gehört Deutschland zu den Vorreiternationen des Frauenfußballs. Foto: Lutz Leitmann/ Presseamt Stadt Bochum

Birgit Prinz im Angriff gegen die Niederlande: Im internationalen Vergleich gehört Deutschland zu den Vorreiternationen des Frauenfußballs. Foto: Lutz Leitmann/ Presseamt Stadt Bochum

Wie steht es denn im Ausland um den Frauenfußball? Hinken wir hinterher, oder jammert der deutsche Frauenfußball im internationalen Vergleich auf hohem Niveau?

Deutschland ist – auf diesem insgesamt schwachen Niveau – schon unter den führenden Förderern des Frauenfußballs. In den Entwicklungsländern fehlen solche Strukturen voll und ganz. Für ambitionierte Fußballerinnen aus dem Ausland ist der Weg nach Deutschland auf jeden Fall lohnenswert. Selbst wenn man nur 1000 Euro verdient – für Fußballerinnen aus Osteuropa oder Afrika ist das deutlich mehr, als sie zu Hause verdienen können. Deswegen rechne ich damit, dass noch mehr ausländische Fußballerinnen nach Deutschland kommen.

Als 2007 die Frauenfußball-WM in China stattfand, wurden rund eine Million Zuschauer gezählt – macht durchschnittlich 33.696 Fans pro Spiel. Ein Jahr zuvor spielten die Männer um die Weltmeisterschaft in Deutschland und kamen auf drei Millionen Zuschauer, also 52.491 im Schnitt. Wie voll werden die Stadien bei den Frauen dieses Jahr?

Ich glaube, wir werden die Stadien selbst in der Vorrunde mit 90 Prozent Zuschaueranteil füllen können. Davon bin ich überzeugt. Wir Deutsche mögen gerne Events. Wenn hier eine Weltmeisterschaft stattfindet, dann geht selbst der Macho mal hin, um sich ein paar exotische Mannschaften anzusehen.

Wie stehen die Chancen der deutschen Frauen bei der WM?

Durch den Heimvorteil hat Deutschland schon eine riesige Chance. Ich würde den Frauen den Titel wünschen.