Letzter Halt: Mittelmeer

Flüchtlinge erreichen Lampedusa. Foto: Sara Prestianni/ storie migrante/ Noborder Network

Flüchtlinge erreichen Lampedusa. Foto: Sara Prestianni/ storie migrante/ Noborder Network

Immer wieder wird das Mittelmeer zum Grab für unzählige Flüchtlinge. Boote mit bis zu 950 Menschen kentern, ehe sie die Küsten von Italien erreichen. Angesichts dieser Katastrophen wurde ein EU-Sondergipfel einberufen. Doch können die Maßnahmen, die dort beschlossen wurden, wirklich solche Tragödien verhindern?

„Wir müssen hart durchgreifen gegen die schrecklichen Schleuser und Menschenschmuggler, die der Kern dieses Problems sind“, sagte der britische Premierminister David Cameron am vergangenen Donnerstag im Vorfeld des EU-Sondergipfels, der in Folge der jüngtsen Flüchtlingskatastrophe auf dem Mittelmeer einberufen worden war. Der italienischen Küstenwache zufolge waren in der Nacht zum Sonntag (19. April) 130 Kilometer vor der lybischen Küste Fischerboote mit mehreren hundert Flüchtlingen gekentert. Es werden bis zu 950 Tote befürchtet.  Laut Frontex, der europäischen Organisation für die Sicherung der EU-Außengrenzen, gab es allein in ersten drei Monaten dieses Jahres 57.905 illegal border crossings. 10.237 davon wurden auf der so genannten Zentralen Mittelmeerroute registriert – der Route, die immer wieder aufgrund gekenterter Boote in den Schlagzeilen gerät. Wie viele es aber nicht schaffen und auf dem Meer sterben, das lässt sich angesichts der wiederholten Katastrophen nur erahnen.

Auf dem EU-Flüchtlingsgipfel verhandelten die EU-Außenminister nun einen 10-Punkte-Plan, dessen zentrales Anliegen es sein soll, die Flüchtlingsströme zu stoppen und auf diese Weise weitere Katastrophen zu verhindern. Als einer der zentralen Punkte wurde beschlossen, zwei Schiffe der Marine ins Mittelmeer zu schicken. Sie sollen vor allem in Seenot geratene Flüchtlinge retten. Außerdem soll die finanzielle Ausstattung der Grenzschutzmissionen „Triton“ und „Poseidon“ verdreifacht werden. Und: Schleuser-Boote sollen beschlagnahmt und zerstört werden dürfen.

„Absaufenlassen soll abschreckend wirken“

„Die Ergebnisse dieses Gipfels verfolgen das Ziel, eine weitere Abschottung der EU aufrecht zu erhalten“ so die Einschätzung des „Borderline-Europe“-Mitarbeiters Harald Glöde. Das wahre Ausmaß der Flüchtlingstragödie werde von offizieller Seite verschwiegen, die Menschen sollen nicht erfahren, was sich an den Außengrenzen der EU tatsächlich abspielt, heißt es auf der Homepage  des Vereins. Um „das Schweigen zu brechen“ sammelt er Informationen, bereitet sie auf und stellt sie auf der Homepage zur Verfügung. Dass die Abschottung aufrecht erhalten werden solle, zeige auch eine Äußerung von Frontex, laut der die Lebensrettung der Flüchtlinge nicht Hauptziel sei: „Das Absaufenlassen soll abschreckend wirken“, so Glöde. Somit werden die Maßnahmen der EU wenig helfen, den Flüchtlingsstrom zu stoppen.

Vielmehr müsse das Problem an zwei  Stellen angepackt werden: Zum einen habe Europa einen extrem schlechten Einfluss auf viele der Herkunftsländer der Flüchtlinge. Angefangen beim Koloniallismus würden bis heute vielfach Landwirtschaft und Rohstoffe ausgebeutet oder gar zerstört. Als Beispiel nennt Glöde Fleischexporte aus der EU nach Afrika. Das Fleisch werde in Afrika billiger verkauft als das lokale – und zerstöre damit die Märkte. Das Fischereiabkommen mit dem Senegal sei ein weiteres Beispiel: Europäische Fischereiunternehmen dürfen seitdem vor der Küste Senegals umfangreich fischen. „Auf diese Art und Weise werden Lebensgrundlagen zerstört“, sagt Glöde. Das zweite Problem sei die zunehmende Grenzabschottung seitens der EU. „Derzeit kann niemand legal in die EU einreisen. Es müssten aber legale Zugangswege zugänglich gemacht werden, um die Tragödie zu stoppen.“ Im Moment seien keine vorhanden, sodass mit der Bekämpfung der Schleuser nicht nur ein Symptom bekämpft werde, sondern es darüber hinaus keinen wirklichen Schutz für Flüchtlinge gebe.

Sind die Ergebnisse des EU-Gipfels der richtige Ansatz den Flüchtlingsstrom zu stoppen? Das sagen…

Marc (20) und Fabian (21), Maschinenbau
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Dass die Schleuser bekämpft werden sollen ist gut. Flüchtlinge müssen aber kommen dürfen. Wenn sie da sind, sollten sie gerechter verteilt werden.

Es hilft nichts, die Grenzen dicht zu machen. Vielmehr sollten die jeweiligen Länder wirtschaftlich stabilisiert werden. Involviert sind wir aber alle: Je mehr Menschen herkommen, desto mehr Einwohner gibt es und das hat auch Auswirkungen auf die Wirtschaft. Deshalb geht das Problem jeden etwas an und jeder sollte sich damit befassen.

Hanna (23), Raumplanung
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Ich denke, die Schleuser zu bekämpfen und zu bestrafen ist ein guter Ansatz, denn sie handeln verantwortungslos und spielen mit dem Leben der Menschen. Außerdem bin ich aber für eine offenere Außenpolitik und eine fairere Verteilung der Flüchtlinge auf die verschiedenen europäischen Länder. Ich denke: Das Flüchtlingsproblem geht jeden etwas an, man kommt einfach nicht daran vorbei. Ich kann absolut nichts dafür, in Deutschland geboren zu sein. Aus diesem Glück heraus muss ich eben auch Verantwortung für andere übernehmen, die nicht so viel Glück gehabt haben.

 

Doch was treibt Menschen eigentlich dazu, den Tod auf dem Mittelmeer zu riskieren? Kurz gesagt ist es die Flucht vor der Zerstörung ihrer Lebensgrundlage durch Kriege, Umweltkatastrophen, Hungersnöte, ungerechte Wirtschafts- und Handelsbedingungen oder Diskriminierungen in der eigenen Gesellschaft. Als am vergangenen Sonntag bei Günther Jauch über „Das Flüchtlingsdrama! Was ist unsere Pflicht?“ diskutiert wurde, war auch die aus Syrien stammende Maya Alkhechen zu Gast. Ihre Motivation, mit dem Ehemann und zwei kleinen Kindern in einem Boot über das Mittelmeer zu fliehen, fasste Günther Jauch so zusammen: „Im Prinzip hatten Sie drei Möglichkeiten: den ziemlich sicheren Tod in Syrien, in Ägypten [wohin sie zunächst geflohen war, um zur deutschen Botschaft zu gelangen, Anm. d. Red.] weiter auf der Straße zu leben oder die illegale Flucht nach Deutschland“, um wenigstens eine Chance auf eine Lebensperspektive zu haben. „Ich hätte auf legale Weise nie nach Deutschland kommen können“ sagte Alkhechen – und, dass sie den Schleusern trotz des überfüllten Bootes und des kurz vor der italienischen Küste ausgefallenen Motors dankbar sei.

Häufigste Herkunftsländer

Mit insgesamt 11.631 illegalen Grenzüberquerungen (7790 davon über das Mittelmeer) in den ersten drei Monaten dieses Jahres kommen die meisten Flüchtlinge aus Syrien. Seitdem im Jahr 2011 die Proteste der Bevölkerung gegen die seit 1963 regierende Baath-Partei eskalierten, haben nach Schätzungen der UNHCR rund drei Millionen Syrer das Land verlassen. Die Kämpfe zwischen den Regierungstruppen und den Oppositionskräften haben bisher schätzungsweise 160.000 Todesopfer gefordert. Ende 2014 war die Hälfte des Landes unter der Kontrolle syrischer Regierungstruppen, ein Drittel unter Kontrolle der islamischen Terrororganisation „Islamischer Staat“. Der Rest wurde von anderen Rebellen kontrolliert. Ein normales Leben ist hier nicht möglich. In Syrien Gebliebene müssen täglich um ihr Leben fürchten. Seit 2012 nimmt die Zahl der Flüchtlinge weiter zu.

An zweiter und dritter Stelle der zahlenmäßig größten Flüchtlingsgruppe stehen der Kosovo und Afghanistan. Flüchtlinge aus diesen Ländern wählen aber nicht bevorzugt die Mittelmeerroute. Diese Karte zeigt die Routen, die Flüchtlinge derzeit wählen. Auf der Mittelmeerroute flüchten vor allem Menschen aus Gambia, Senegal, Somalia und Eritrea. Bei den westafrikanischen Ländern Gambia und Senegal sind es vor allem wirtschaftliche Gründe, die die Menschen keine Perspektive im eigenen Land sehen lassen. Beide Länder zählen zu den ärmsten der Welt und gerade im Senegal zerstört das oben erwähnte Fischereiabkommen eine der wichtigsten Einkommensquellen des Landes. Eritrea hingegen schottet sich seit seiner Unabhängigkeit von Äthiopien im Jahr 1993 zunehmend von der Weltgemeinschaft ab. Um wehrfähig zu bleiben, werden junge wie alte Menschen zum Militärdienst auf unbestimmte Zeit bestimmt. Das kleine Land am Horn von Afrika gilt außerdem als eine der brutalsten Militärdiktaturen der Welt. Amnesty International berichtete in der Vergangenheit wiederholt von tausenden politischen Gefangenen und willkürlich Inhaftierten. Folter sei an der Tagesordnung, heißt es. Durch die Abschottungsstrategie liegt auch die Wirtschaft am Boden.

Auch aus dem südlich von Eritrea gelegenen Somalia fliehen die Menschen seit vielen Jahren. Seitdem aus Britisch-Somaliland und Italienisch-Somaliland 1960 ein vereintes unabhängiges Somalia geworden ist, herrscht dort Bürgerkrieg ohne funktionierende Regierung.Weite Teile des Landes werden von Kriegsherren, lokalen Clans, radikal-islamischen Gruppen oder Piraten kontrolliert. Im Jahr 2000 wurde von der internationalen Staatengemeinschaft eine Übergangsregierung eingesetzt, die aber kaum an Einfluss gewann. Eine neue Dimension nahm die Abwanderung im Jahr 2011, als der Krieg zwischen Al-Shabaad-Milizen, Übergangsregierung und Truppen der Afrikanischen Union mit einer extremen Dürre zusammenfiel. Laut der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen sind zwischen April 2010 und Oktober 2012 258.000 Menschen gestorben. Immer wieder werden schwerste Übergriffe aller Kriegsparteien auf die Zivilbevölkerung registirert, ein funktionierendes Bildungssystem gibt es nicht.

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