„Changing my Mind“

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Dicke Bücher belasten den Rücken, im Kino zahlt man für Überlänge drauf. Zeit ist Geld – im wahrsten Sinne. Wofür also die knappe Freizeit verwenden? Wir lesen, spielen und schauen für euch – nach zwei Stunden hören wir auf. Entweder, weil wir fertig sind oder weil die Zeit um ist. Heute lesen wir Zadie Smiths Changing my Mind. Der Wecker ist gestellt, los geht’s:

Schnelldurchlauf

Kafka. Kolonialismus. Kinolegenden. Kindsein. Mit Zadie Smiths Essayband Changing my Mind muss man sich auch in der begrenzten Zeit von zwei Stunden nicht für ein Thema entscheiden, man kann sie alle auf einmal bekommen. Ja ihr Roman, London North-West, war grandios, aber Changing my Mind ist sehr viel geeigneter, um in 120 Minuten von einer in die andere Herrlichkeit und zugleich rund um den Globus zu springen. Zadie Smith behauptet, die Essays seien ohne ihr Wissen geschrieben worden. Sie verfasste sie für Verleger, für ihre Studenten oder fürs Familienalbum.

Im Buch sind sie in fünf Kategorien gruppiert: Reading, Being, Seeing, Feeling und Remembering. Mal geht es um ihre persönliche Beziehung zu afroamerikanischer Literatur, mal zeigt sie sich als Fangirl Greta Garbos und dann als Afropolitan, die von London immer wieder nach Liberia schwankt.

Kurzweilig

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Zadie Smith als Dozentin in den USA. Foto: wikimedia commons

Zunächst einmal sind die Essays tatsächlich kurz. Man kann das Buch an einer beliebigen Stelle aufschlagen und das zur Stimmung passende Kapitel vertiefen. Das braucht viel weniger Zeit als zwei Stunden – wenn man denn aufhören kann: ich konnte das nicht, dafür hat der selbstironische Humor der preisgekrönten Autorin zu viel Suchtpotential. Es ist, als würde sie den Leser auf einen Tee an ihrem Schreibtisch in Willesden einladen und einfach die Geheimnisse ihres Schreibgenies ausplaudern.

In meinem Lieblingsessay „That crafty Feeling“ erklärt sie, dass ein Buch zu schreiben auch nicht leichter oder schwerer ist, als ein Haus einzurichten, und gibt zu, dass sie sich an ihre wichtigsten Tipps selbst nie hält. Sie stellt das Schreiben nicht als einen elitären Prozess dar, sondern dass es verschiedenen Strategien gibt. Ich frage mich, ob ich wohl ein Mikro- oder ein Makroplaner wäre…? Muss ich mehr sagen, um zu erklären, warum die zwei Stunden mit diesem (übrigens auch optisch sehr hübschen) Buch nie lang wurden? Und wie bitte haben es einige glückliche Studenten geschafft, bei einer Frau Creative Writing studieren zu dürfen, die für gewöhnliche Vorlesungen solche Kunstwerke zu Papier bringt?!

Langatmig

Langatmig? Ähm, nein. Um Alles aufzunehmen, was Zadie Smith in ihren „Gelegentlichen Essays“ vermittelt, braucht man aber wahrscheinlich selbst einen etwas längeren Atem. Nach dem Klingeln der Stoppuhr überlege ich immer noch, ob ich zuerst Viscontis Bellissima angucken, liberische Politik googlen oder mir einfach alles beschaffen soll, was Zadie jemals zu Papier gebracht hat. Und ich frage mich, welche Tümpel der Weisheit oder welche lustigen Anspielungen ich in der Kürze der Zeit wohl überlesen habe.

Ein Tipp, damit es tatsächlich nicht langatmig wird: wenn möglich lieber nicht auf Deutsch lesen. Die Übersetzung „Sinneswandel“ von Tanja Handels ist zwar nicht schlecht, aber Smiths feine Nuancen gehen verloren. Schon der Untertitel „Gelegentliche Essays“ klingt viel umständlicher als das Original.

Momentaufnahme

Here and there – in very isolated pockets – I had the sense that this line, that paragraph, these were exactly what I meant to write and the fact was, I’d written them, and I felt okay about it, felt good, even. It’s a feeling I recommend to all of you. That feeling feels okay.”

Schreibt so bescheiden jemand, der schon mehrfach in den Bestsellerlisten war und von Toni Morrison persönlich gelobt wurde? So schreibt jemand, der trotz alldem nicht abgehoben ist, sondern ganz genau weiß, wie kapriziös und schwierig Sprache sein kann, und wie glücklich man sich schätzen kann, wenn sie einem ein paar gelungenen Sätze schenkt.

Mind-changing. Foto: Johanna Mack

Mind-changing. Foto: Johanna Mack

Zeit um

…und ich bin immer noch ganz atemlos, denn nachdem ich ordentlich mit dem ersten Essay angefangen habe, hat er mich so gepackt, dass ich schon nach ein paar Seiten zum nächsten blättern musste, und plötzlich ganz neugierig war, wie es bei Seeing oder Remembering aussieht und dann dort wieder eine Referenz zum Anfang gefunden habe… Kurz gesagt, nach zwei Stunden habe ich zwar (außer „That Crafty Feeling“) keinen einzigen Essay komplett zu Ende gelesen, aber ich habe Blitzlichter der unterschiedlichsten zum Niederknien intelligenten Ideen gesehen – und will mehr.

Wenn man Bücher und Filme liebt, neugierig auf interkulturelle Perspektiven ist oder mal einer erfolgreichen Schriftstellerin auf die Finger gucken will, ist Changing my Mind absolut empfehlenswert und lässt sich auch gut auf eine Zugfahrt mitnehmen. Ich lechze nach den nächsten freien 120 Minuten, in denen ich intensiver all die kleinen Tropfen von Weisheit und literarischer Maîtresse in mich aufsaugen kann, die, während ich diese Rezension schreibe, so verführerisch aus dem kleinen Buch neben mir quillen. Mind-changing!

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