Verräter, Spion
– und Hoffnungsträger

img_2886Spionage und der Verrat von Staatsgeheimnissen. Das wird dem türkischen Journalisten Can Dündar in seiner Heimat vorgeworfen. Beim Literatürk Festival in Essen wird er hingegen verehrt. Dündar ist innerhalb eines Jahres zum Hoffnungsträger der türkischen Opposition und zum Gesicht des Widerstands gegen den Autokraten Erdogan avanciert. 

Die Ruhrmetropole Essen im Herbst 2015. Can Dündar ist zur elften Auflage des Literatürk Festivals gereist. Die Stadtbibliothek ist prall gefüllt, alle wollen wissen, wie es nun mit ihm weitergehen soll. In seiner Heimat liegt nämlich eine turbulente Zeit hinter dem Journalisten. Als Chefredakteur der erdogan-kritischen Tageszeitung Cumhürriyet hat er eine Waffenlieferung des türkischen Geheimdienstes nach Syrien veröffentlicht. Dündar ist Erdogans persönliches Feindbild.

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Can Dündar: „Lebenslang für die Wahrheit“

Als er aus Essen zurück in die Türkei fliegt, wird er nicht sofort verhaftet. Erdogan betrieb beim G-20-Gipfel in Antalya Werbung in eigener EU-Beitritt-Sache. Komplikationen mit der Pressefreiheit und Dündar waren da natürlich nicht gewünscht. Der preisgekrönte Journalist erinnert sich und vergleicht die Situation: „Wenn Gäste im Haus sind, schlagen Eltern ihre Kinder nicht.“ Am Prozesstag wird in Istanbul gar auf ihn geschossen.

Ein Jahr später ist Can Dündar zurück im Ruhrgebiet, diesmal in der Lichtburg, direkt in der Essener Innenstadt – der Auftaktveranstaltung des 12. Literatürk Festivals. Dündar ist gekommen, um aus seinem Buch Lebenslang für die Wahrheit (Originaltitel: Tutuklandik) vorzulesen. Es entstand während seiner drei Monate in Isolationshaft.

 

Freund schaf(f)t leben
Unter diesem Motto steht das 12. Literatürk Festival in Essen. Bis zum 3. November gastieren verschiedene bekannte Politiker, Autoren und Journalisten an verschiedenen Orten in der Stadt. Weitere Informationen gibt es auf der Internetseite der Veranstaltung

Vor einem halben Jahr ist er zu sechs Jahren Haft verurteilt worden, was momentan noch nicht rechtskräftig ist. In den Augen der türkischen Regierung ist Can Dündar ein Verbrecher, ein Verräter, eine Gefahr. In Essen wird er gefeiert wie ein Star − zwischen Selfiewahnsinn und erhöhter Polizeipräsenz. Denn Dündar hat eine Waffe dabei: sein Buch und seine Stimme. „Was die Regierung am meisten fürchtet, ist Hoffnung und Humor. Diese Waffen will ich einsetzen“, sagt Dündar. Er will sich nicht unterkriegen lassen. Trotz Gegenwehr.

Wenn die Haft eine Hochschule ist, musste ich auch einen guten Abschluss machen.

Für seine Art zu schreiben, mit viel Witz und spitzer Feder, lieben ihn seine Leser. Später, als Dolmetscher Murad Bayraktar das Buchkapitel vorliest, in dem Dündar einen offenen Dankesbrief an Staatspräsident Erdogan schreibt, und ihn allein mit Worten bloß stellt, lacht das Publikum auf den roten Sesseln in der Lichtburg ein ums andere Mal laut auf.

Der Kern des Briefes: Erdogan hat sich ein Eigentor geschossen, indem er der Opposition die Möglichkeit gegeben hat, ihre Stimme zu erheben. 

Can Dündar hat es sich zur Aufgabe gemacht, aus dem Gefängnis ein Sprachrohr für eine demokratische Türkei mit westlichen Werten zu werden. Er ist besorgt über die Unruhen im Sommer mit Militär- und Gegenputsch.

Echte Demokraten würden sich nicht nur gegen einen Putsch, sondern auch einen Polizeistaat stellen.

Die Türkei ist politisch instabil. Dündar spricht von einem Ein-Mann- und einem Ein-Parteien-Staat. „Alle kritischen Medien sind völlig verstummt“, sorgt sich der Journalist. Erdogan verhaftete infolge der Unruhen 150 Journalisten, über 2000 Medienschaffende verloren ihre Stellen.

Einsatz für die Unterdrückten

Für die demokratischen, kritischen Türken will Can Dündar kämpfen. „Die Türkei ist nicht nur Erdogan“, sagt der Buchautor. Unterdrückte Minderheiten wie Kurden oder Aleviten, die Dündar bei seiner Lesung besuchten, legen ihre Hoffnungen in den Mann aus Ankara. Er ist ihr Hoffnungsträger − und hat mit Lebenslang für die Wahrheit einen außergewöhnlich guten Uniabschluss hingelegt.

Beitragsbilder: Christian Woop

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