Duell: Sinn und Unsinn der Zeitumstellung

DAS DUELL - Vorlage

Die einen feiern die längste Nacht des Jahres ausgiebig, die anderen verschlafen sie einfach: Von Samstag auf Sonntag werden die Uhren um eine Stunde zurückgestellt. Damit endet die Sommerzeit – zumindest für dieses Jahr. Manch einer mag die geschenkte Stunde genießen. Wenn es nach der CDU geht, soll die Zeitumstellung aber ganz abgeschafft werden. Was bringt uns das Spiel mit der Uhr wirklich?

Ein Gewinn an Lebensqualität
findet Ricarda Dieckmann

Ist es tatsächlich Zeit für eine neue Zeit? Nein! Denn die Vorteile des halbjährlichen Umstellens der Uhr sind mittlerweile so selbstverständlich geworden, dass sie gerne mal übersehen werden. 

Lange Grillabende dank Sommerzeit 

Denn die Sommerzeit erhöht die Lebensqualität in den schönsten Monaten des Jahres enorm. Grund: Durch die Zeitumstellung bleibt es im Sommer abends eine Stunde länger hell. So kann man selbst nach einem langen Tag in der Uni den Abend beim gemeinsamen Grillen im Park oder am See ausklingen lassen. Außerdem wirkt sich die Sommerzeit für Biergarten-Besitzer und Kulturveranstalter äußerst positiv auf die Bilanzen aus. Denn lange, laue Sommerabende bringen mehr Gäste – und spülen damit mehr Geld in die Kassen.  

Tageslicht nutzen, anstatt es zu verschlafen 

Käme es hingegen zu einer Abschaffung der Sommerzeit, ginge die Sonne bereits eine Stunde früher auf – um den längsten Tag des Jahres herum beispielsweise schon gegen Viertel nach vier statt um Viertel nach fünf. Die große Mehrheit der Bevölkerung würde die zusätzliche Stunde Helligkeit also schlichtweg verschlafen. Höchstens extreme Frühaufsteher oder Nachtschwärmer, die auf dem Heimweg gerne in die aufgehende Sonne hineinblinzeln, würden von dem vorverlegten Tagesbeginn profitieren.   

Lieber eine Stunde Helligkeit am Abend draußen nutzen oder sie frühmorgens hinter Schlafzimmer-Vorhängen ungenutzt verstreichen lassen? Die Entscheidung für Ersteres fällt mit einem Blick auf die Auswirkungen, die das Tageslicht auf den menschlichen Körper hat, noch leichter. Sonnenstrahlung regt nämlich die Produktion von Vitamin D an und verursacht die Ausschüttung von Glückshormonen. Ein schöner Nebeneffekt, den man nutzen und nicht verschlafen sollte.  

Abschaffung nur durch EU

„Wer hat an der Uhr gedreht …?“ Dass die Uhren halbjährlich umgestellt werden, kann man in §5 des deutschen Einheiten- und Zeitgesetzes nachlesen. Um die Sommerzeit abzuschaffen, reicht es aber nicht aus, diesen Paragrafen abzuändern. Denn auch bei der Zeitumstellung hat die EU ihre Finger im Spiel: Im Jahr 2001 erließen das Europäische Parlament und der Europäische Rat die verbindliche Richtlinie 2000/84 EG. Darin heißt es: „Da die Mitgliedsstaaten die Bestimmungen über die Sommerzeit anwenden, ist es für das Funktionieren des Binnenmarktes von Bedeutung, dass Tag und Uhrzeit des Beginns und Ende der Sommerzeit weiterhin einheitlich (…) festgelegt werden.“ 

Was das konkret bedeutet? Sinn und Unsinn der Zeitumstellung von der deutschen Politik ausdiskutieren zu lassen, führt zu keiner Änderung, denn einer Abschaffung im Alleingang würde die Richtlinie 2000/84 EG den Riegel vorschieben. Viel eher müsste auf europäischer Ebene ein Konsens stattfinden, an dessen Ende sich die 27 Mitgliedstaaten auf eine Lösung einigen. 

Kurz und plakativ ausgedrückt: stundenlange Diskussionen wegen einer einzigen Stunde. Ganz schnell stellt sich da die Frage, ob es nicht ganz andere Probleme auf der europäischen Agenda gibt, bei denen ein akuterer Handlungsbedarf besteht. Und ja, die gibt es definitiv.

Nichts – im besten Fall
findet Bastian Pietsch

Der Unsinn der Zeitumstellung fängt schon beim Erfinder an: Den Vorschlag zur „Daylight Savings Time“ machte 1895 der Neuseeländer George Vernon Hudson. Und der war nicht etwa Energiewissenschaftler oder ein früher Öko-Aktivist sondern Insektensammler. Kam er nach dem Schichtdienst nach Hause, blieben ihm nur noch die letzten Sonnenstunden für sein Hobby. Seine Idee: Mann könne doch einfach die Uhr im Sommer eine Stunde vor stellen und so bekämen alle mehr Sonnenstunden in ihrer Freizeit – und Hudson mehr Zeit um seine Insektensammlung zu erweitern.

Eine historische Farce

Doch die Einführung der Sommerzeit hat auch einen ernsten Hintergrund: Ist es abends länger hell, nutzen die Menschen weniger künstliches Licht. Das spart Energie. Und so sinnvoll die Zeitumstellung zum Beispiel im Ersten Weltkrieg oder auch nach der Ölkrise in den 70er Jahren vielleicht war, heute ist sie nicht mehr zeitgemäß. Das liegt vor allem an der technologischen Entwicklung.

Heute wird mehr Strom für Fernseher und Computer verbraucht, als für Glühbirnen – Unterhaltung statt einfacher Beleuchtung. Hinzu kommt noch, dass der Marktanteil von stromsparenden LEDs seit Jahren steigt. Der Anteil der Beleuchtung am gesamten Stromverbrauch sinkt damit. Und noch ein Trend nagt am Nutzen der Zeitumstellung: Je attraktiver elektronische Unterhaltung in klimatisierten Zimmern wird, desto weniger Menschen verbringen ihre Sommerabende draußen zwischen Häuserschluchten in der Großstadt. 

K(l)eine Vorteile – große Nachteile

Das Umweltbundesamt geht noch weiter und zweifelt den Nutzen der Zeitumstellung generell an. Denn sie lässt die Sonne nicht nur abends später unter, sondern auch morgens später auf gehen. Das führt zu höheren Heizkosten am Morgen, die die Stromersparnis am Abend aufheben.

Während die Vorteile der Zeitumstellung immer schemenhafter werden, werden die Nachteile zu einem handfesten Problem. Denn jede Zeitumstellung bringt die biologische Uhr durcheinander. Das klingt wie eine Lapalie, hat aber echte und gut erforschte Folgen. Schlafstörungen nehmen zu und die Leistungsfähigkeit verringert sich. Verkehrsunfälle und Herzattacken sind nachgewiesene Folgen. Und: die Zeitumstellung verursacht wirtschaftlichen Schaden. Eine US-amerikanische Studie schätzt die Kosten, die durch die „verlorene Stunde“ im Frühling entstehen, auf rund 434 Milliarden US-Dollar.

Keine erkennbare Logik

Ist es eine gute Idee, in einer global vernetzten Welt die Zeit nationalen Regeln zu unterwerfen – völlig willkürlich? Täglich finden tausendfach internationale Schaltkonferenzen statt. Wer die in einem Unternehmen mit Sitzen in New York, London und Sydney plant, wird durch die Zeitumstellung vermutlich an den Rande des Wahnsinns getrieben: Innerhalb von drei Wochen liegen zwischen New York und London erst 5 dann 4, dann wieder 5 Stunden. Sydney ist 11, 10 oder 9 Stunden von London entfernt und 16, 15 oder 14 Stunden von New York. Als wären die Zeitzonen  nicht ohnehin schon kompliziert genug.

Ganz unabhängig von der Frage, ob die Zeitumstellung nun Strom spart oder kostet, in der Größe des Effekts sind sich Befürworter und Gegner einig: rund ein Prozent. Bei den Stromkosten eines durchschnittlichen Drei-Personen-Haushalts in Deutschland macht das rund 12 Euro im Jahr. Und nochmal: Dieser Effekt wird in Zukunft noch kleiner werden. Eine lächerliche Rechtfertigung, für ein System, das den eigentlich einfachen Blick auf die Uhr unfassbar kompliziert macht.

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Foto: stockxchng/bizior, S. Hofschlaeger/pixelio.de, Montage: Brinkmann/Schweigmann
Teaserfoto: Bastian Pietsch

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