Die Relativität der Oper

Am Sonntag feierte in Dortmund eine ganz besondere Oper Premiere: Einstein on the Beach. Komponist ist der amerikanischen Minimalist Philip Glass. Diese Oper hält sich nicht an Konventionen und wird zum Gesamtkunstwerk. Wie waren für euch dabei.

Am Anfang der Oper war folgender Satz zu lesen: Es gibt nichts zu verstehen, aber viel zu erleben.  Im Nachhinein eine mehr als treffende These. Es gibt in Einstein on the Beach keine zusammenhängende Geschichte, die erzählt wird. Zwar gibt es wiederkehrende Figuren, allen voran den Geige spielenden Einstein (hervorragend besetzt mit Önder Baloglu), im Grunde ist es dem Zuschauer aber selbst überlassen, durch Assoziation dem Geschehen einen Sinn zu geben — oder auch nicht. Genau so hatten es sich die Schöpfer dieses Werkes Philip Glass und Robert Wilson vorgestellt. 

Bei einer gewöhnlichen Opernrezension wird zu Beginn kurz die Handlung zusammengefasst. Das ist dieses Mal nicht möglich, da es schlicht keine sinnvolle Handlung im ursprünglichen Sinne gibt. Einstein on the Beach ist ein dreieinhalb Stunden dauerndes Gesamtkunstwerk. Umso bemerkenswerter ist der Mut der Oper Dortmund, dieses Stück auf den Spielplan zu setzen. Und dieser Mut zahlt sich aus.

Wie im Drogenrausch

Ein großer Affe im Anzug steht verloren auf der Bühne und rezitiert auf eindrückliche, fast verstörend lustige Weise zusammenhanglose und skurrile Texte aus Samuel Backetts Warten auf Godot. Die Sänger des Chores singen in mit LED-Leuchten besetzen Kostümen immer die selben Silben. Dazu dröhnt die meditative Musik von Philip Glass aus einer verstärkten Orgel und auf einer riesigen Leinwand werden Worte, Zahlen, Menschen und Formen projiziert. Es entsteht ein riesiger Strudel aus Musik, Licht, Schauspiel und Faszination, der das Publikum an einigen Stellen nahezu physisch in sich hinein

Die Dimensionen verschwimmen

saugt. Selten war Oper so direkt, rauschhaft und in positiver Weise anstrengend. So muss sich ein halluzinogener Drogenrausch anfühlen, der jeden Moment in einen Horror-Trip abstürzen kann. Das geeignetste Wort für all das ist vielleicht immersiv, also das Eintauchen in eine virtuelle Welt, sodass diese als real empfunden wird. 

Um diesen Effekt zu erzielen setzt Regisseur Kay Voges auf ein vielschichtiges und eindrucksvolles Bühnenbild, bei dem die Dimensionen zu verschmelzen scheinen, sowie auf überraschende und unmittelbare Farb- und Lichtwechsel. Vor allem die riesige Leinwand, die sich über die gesamte Bühne erstreckt, wird faszinierend eingesetzt. Es entsteht sogar ein dreidimensionaler Effekt, wenn vor diese große Projektionsfläche zusätzliche Vorhänge aus langen durchsichtigen Fäden geschoben werden. 

Akteure an der Leistungsgrenze

Hochachtung gebührt den Akteuren auf und neben der Bühne. Es geht hier nicht um das reine Singen oder Text lernen, bei Einstein on the Beach sind Ausdauer und Präzision essentiell. Denn in der Musik von Glass, dem Mitbegründer der Minimal Music gilt: Rhythmus vor Melodie. Es zählt die Faszination des scheinbar immer Gleichen (ein ausführliches Porträt des Komponisten gibt es hier). Eine wirklich eindrucksvolle Konzentrationsleistung der Darsteller und Sänger, vor allem der beiden Sprecherinnen und den SängerInnen des ChorWerk Ruhr, die beinahe die ganzen dreieinhalb Stunden im Einsatz waren und sich nicht, wie das Publikum jederzeit eine Pause gönnen konnten. 

Diese Oper sprengt alle Grenzen und ist mehr als ein unterhaltendes Schauspiel, sie ist ein körperlich intensives Erlebnis inklusive eines tanzenden Gehirns, bewegenden Chorälen und außerirdischen Wuscheltierchen. 

Es lohnt sich!
Die nächste Vorstellung von Einstein on the Beach von Philip Glass beginnt am kommenden Freitag den 26. April um 18:30 Uhr. Als TU-Studierende könnt ihr dank der Theater-Flat kostenlos dabei sein.

Teaser- und Beitragsbilder: ⓒ Oper Dortmund

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert