Kleine Tricks, große Einkäufe

Eigentlich wollte sich meine Freundin neulich nur eine neue Sonnenbrille kaufen – jetzt wo sich die Sonne wieder regelmäßig zeigt. Was bei einem gezielten Einkauf bleiben sollte, endete dann aber als dreistündiger Kaufmarathon. Die Sonnenbrille hatte sie völlig vergessen, dafür gab es neue Shirts, Pumps, Leggings und Schminke. War wohl im Kaufrausch, rechtfertigte sie sich später. So wie meiner Freundin geht es allerdings vielen: Kaufräusche sind Massenphänomene. Aber wie genau schafft es die Werbeindustrie eigentlich uns immer wieder in so einen Rausch zu versetzten?

Diese Frage haben sechs Masterstudentinnen des Dortmunder Studiengangs Kulturanalyse und Kulturvermittlung versucht in ihrem Projekt „Kaufrausch“ zu beantworten. Über drei Semester haben sie den Prozess des Einkaufens in seinen vielen Facetten, von Umkleidekabinen über Einkaufstaschen, versucht zu analysieren und die Ergebnisse in Form von wissenschaftlichen Berichten vom 22. bis 24. April im „Dienstwagen“ vor der Emil-Figge-Straße 50 vorgestellt. Dabei sind die angehenden Kulturanthropologinnen vielen Taktiken der Werbeindustrie auf die Schliche gekommen, die den  Konsumwahn in uns wecken sollen.

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Als Symbol für den Kaufrausch hat Avelina einen Einkaufswagen für 10 Euro so voll geladen wie es ging. Foto: Gordon Wüllner

Eine dieser Taktiken: Das richtige Aufbereiten der Umkleidekabinen. In ihnen falle laut Projektteilnehmerin Hannah Waldorf bei vielen Kunden die Entscheidung über einen Kauf. Das Licht spiele dabei eine besonders bedeutende Rolle: Lichteinfälle, die uns aussehen lassen, als hätten wir zweistellige Kiloanzahlen abgespeckt und Lichtwärme, durch die wir wirken, als wären wir gerade aus einem Urlaub am Miami Beach zurückgekommen. „Für die meisten Läden gilt die Formel: Je aufwändiger das Licht in den Umkleidekabinen, desto höher die Kaufkraft der Kunden“, verrät Hannah.

Aber das Licht ist es nicht allein. Laut Hannah seien die Umkleidekabinen besonders in kleinen Läden sehr individuell gestaltet. So setzten viele Boutiquen und vermehrt auch große Ketten immer mehr auf eine Wohnzimmer-Atmosphäre: Gemütliche Sofas, aufwändig-farbenfrohe Beschmückung, relaxte Gute-Laune-Musik. „Selbst Abschminktücher bekommt man heute in einigen Umkleidekabinen angeboten“, erzählt Hannah.

Die Ausbeute auftischen

Die Anreize für einen Kaufrausch finden sich allerdings nicht erst auf den Einkaufsmeilen. Überhaupt erst den Anstoß für das Kaufrausch-Projekt der sechs Konsumforscherinnen hat das Phänomen der „Hauling“-Videos gegeben. In diesen Videos präsentieren Frauen stolz all die Kleidung und Beauty-Artikel, die sie auf einer Jagd durch die City ergattert haben. Der Trend kommt zwar aus den Vereinigten Staaten, aber auch in Deutschland gibt es inzwischen viele bekannte „Hauling“-Mädels, die abertausend Klicks mit ihren Videos generieren. Eine der bekanntesten deutschen „Hauler“ ist Lamiya Slimani, die unter dem Alias The Dorient regelmäßig ihre Shopping-Ausbeute vor dem YouTube-Publikum auftischt.

[youtube yiPoUNiR-sA http://www.youtube.com/watch?v=yiPoUNiR-sA]

Die ursprünglich weniger als Werbung für die Textil- und Kosmetikindustrie, sondern als positive Selbstinszenierung gedachten „Hauling“-Videos wurden inzwischen auch von der Industrie als Konsumköder entdeckt. „Viele Blogger werden heute von der Industrie für ihre Videos bezahlt“, verrät Prof. Gudrun M. König, die Leiterin des „Kaufrausch“-Projekts. Und die Köder erweisen sich als effektiv. Auch Projektteilnehmerin Gesa Müller-Salget hat sich dabei erwischt, wie sie nach Produkten gegoogelt hat, die bei einem „Hauling“-Video  in die Kamera gehalten wurden. „Man denkt immer, man wäre ein ach so mündiger Bürger und stehe über all die Konsumanreize. Aber letztendlich erkennt man sich dann doch in dem wieder, was man selbst erforscht hat“, gibt Gesa zu.

Konsumwahn im Grundschulalter

Aber es sind nicht allein die vielen verstecken Konsumanreize des Marktes, die uns zu Kaufrausch-Süchtigen machen. Laut der Projektteilnehmerinnen stellt der Wandel der gesellschaftlichen Strukturen überhaupt erst die Bedingung für den Konsumrausch. „Heute gibt es viel mehr Single-Haushalte“, klärt Gesa auf. Deshalb entscheiden immer mehr Leute über ihre eigenen Ausgaben, darunter selbstverständlich auch vermehrt Frauen, die ihren Konsum vor etwa 50 Jahren noch nicht selbst bestimmen konnten. Zusätzlich werde Shoppen laut Gesa heute als entspannende, gemeinschaftliche Beschäftigung empfunden. „Viele shoppen heutzutage um Stress abzubauen.“

Als lockere Freizeitbeschäftigung scheint Shoppen inzwischen auch schon von den 6-10 Jährigen entdeckt worden sein. Im Rahmen ihres Projektbeitrags hat Avelina Rimada Ruiz die „next generation“ der Konsumgesellschaft über zu ihrem Kaufverständnis befragt und dabei festgestellt, dass die Kleinen schon so verrückt nach Shopping sind wie die Großen. Avelina erklärt, warum das so ist: „Die Kinder sind heute in der Werbung schon total trendy gekleidet  und es gibt immer mehr Werbung mit modisch gekleideten Teenie-Stars. So werden die Kinder immer mehr gezielt von der Industrie angesprochen.“

Konsumrausch scheint also auch schon eine Selbstverständlichkeit für die junge Generation zu sein. Na da freue ich mich ja jetzt schon auf den Sonnenbrillen-Einkauf mit meinen Kindern, falls ich irgendwann mal Nachwuchs bekommen sollte.

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