„Es ist schwierig, zurückzukommen“

Malaria, Tuberkulose, Cholera: In Deutschland muss keine dieser Krankheiten tödlich verlaufen, in Ländern wie Uganda und Nigeria sterben daran täglich Menschen. Krankenschwester Heidi Anguria kämpft seit Jahren gegen vernachlässigte Krankheiten wie diese und unterstützt den Memento-Preis, der am Mittwoch, 25. Februar, in Berlin verliehen wird. Im Interview spricht sie über ihre Erlebnisse vor Ort und die Herausforderungen ihrer Arbeit.

Mit welchen Krankheiten wurden Sie bisher konfrontiert?

Als ich im Südsudan war, habe ich in einem unserer Außenposten gearbeitet. Das sind kleine Krankenstationen mitten im Busch. Dort kommen Menschen mit ihren alltäglichen Erkrankungen wie Malaria, Lungenentzündungen, Mangelernährung, Masern und Durchfall. Das sind die Erkrankungen, mit denen man am häufigsten zu tun hat. Die zählen zu den Haupttodesursachen bei kleinen Kindern.

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Wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus? Worin liegt der Schwerpunkt Ihrer Arbeit?

Wenn wir im Projekt sind, arbeiten wir jeden Tag zehn bis zwölf Stunden. Wenn man von morgens bis abends arbeitet, ist man am Ende des Tages geschafft. Jeder von uns hat seinen eigenen Bereich, den er leitet. Wir arbeiten immer mit einheimischen Mitarbeitern zusammen und schulen sie, damit unsere Arbeit nachhaltig bleibt. 

In den letzten Jahren gab es immer wieder Berichte von Ärzten, die mit dem Misstrauen der Einwohner ihnen gegenüber konfrontiert wurden. Wie reagieren die Menschen auf Ihre Hilfe?

Ich glaube, dass die Organisation Ärzte ohne Grenzen heutzutage weltweit so bekannt ist, dass wir vor Ort keine große Arbeit mehr leisten müssen. Die Menschen kennen Ärzte ohne Grenzen und wissen genau, was sie davon haben – nämlich eine kostenfreie medizinische Versorgung.

Welche Erlebnisse geben Ihnen Kraft?

Man wird immer nett auf- und angenommen. Wenn man sich Mühe gibt, können sogar eine Art Beziehungen entstehen. Dass man nicht alle Patienten retten oder heilen kann, ist auch klar. Damit muss man leben können. Aber es ist schön, wenn ein mangelernährtes Kind, das nicht laufen kann und keine Kraft mehr hat, drei Wochen später wieder anfängt zu lachen. Solche Erlebnisse braucht man auch selber, um durchhalten zu können.

Aerzte-ohne-Grenzen-Heidi-Anguria

„Vor Krankheiten habe ich keine Angst.“ Foto: Karel Prinsloo/MSF

Haben Sie selbst Angst, dass Sie sich anstecken könnten?

Es gibt zwei Dinge, vor denen man Angst haben kann: Das eine sind die Krankheiten, das andere ist die Sicherheitslage. Vor Krankheiten habe ich keine Angst, weil ich weiß, was passiert, wenn ich mir eine Krankheit zuziehe und was ich dagegen tun kann. Ich persönlich hatte schon zwei Mal Malaria. Sie ist aber abgeschwächt abgelaufen. Ansonsten war ich nie besonders schwer krank. Grundsätzlich gibt es keine hundertprozentige Sicherheit. Es gab eine Situation, in der ich Angst hatte: Rebellen in Uganda hatten uns in einen Hinterhalt gelockt und uns aus unserem Auto von der Straße gezerrt. Wir mussten uns mit ihnen im Busch verstecken. Dann griffen sie ein Militärfahrzeug an und eine wilde Schießerei brach aus.

Belastet Sie das Leid der kranken Menschen auch privat?

Ja, das Leid der kranken Menschen belastet einen schon. Im Kopf dauert es schon länger, bis man dann wieder hier angekommen ist und den Übergang geschafft hat. Man freut sich natürlich, die Familie und die Freunde wieder zu sehen. Ich brauche dann aber auch erstmal die Zeit für mich. Das ist wie eine Art Übergangsphase von der einen in die andere Welt.

Zur Person
Heidi Anguria ist 57 Jahre alt und von Beruf Kinderkrankenschwester an der Uniklinik Lübeck. In ihr erstes Projekt für Ärzte ohne Grenzen startete sie 1989. Damals war sie für zwölf Monate in Uganda. Dort lernte sie ihren Mann kennen, der als Einheimischer dasselbe Projekt unterstützte. Nach der Geburt ihres Sohnes blieb sie für 20 Jahre mit ihrer Familie in Deutschland, weil es schwierig war, Kinder mit in Kriesengebiete zu nehmen. 2010 reiste sie für eine Massenimpfkampagne nach Nigeria. Danach war sie bis heute dreimal im Südsudan. Mitte Februar 2015 ist sie aus dem Südsudan zurückgekehrt. Letztes Jahr im September kündigte sie ihre Arbeit als Kinderkrankenschwester in der Uniklinik Lübeck, um mehr Zeit für ihre Projekte zu haben. Ihren nächsten Einsatzort kennt sie noch nicht, allerdings soll es im April wieder losgehen. Heidi Anguria möchte Ärzte ohne Grenzen so lange unterstützen, wie es ihre Gesundheit zulässt.

Was machen Sie, wenn Sie wieder in Deutschland sind?

Als Erstes freue ich mich auf Vollkornbrot und Käse. Das vermisst man unterwegs. Und dass man nicht mehr auf ein Plumpsklo gehen muss, sondern ein schönes sauberes Bad hat. Als ich zum ersten Mal wieder einkaufen gegangen bin im Supermarkt, da fühlte ich mich schon überfordert. 

Könnten Sie sich vorstellen, wieder in Deutschland zu arbeiten?

Für mich wird es immer schwieriger, wenn ich zurückkomme und die Leute hier sehe.

Deshalb habe ich letztes Jahr meine Arbeit als Kinderkrankenschwester in Deutschland gekündigt. Außerdem müssen Krankenschwestern hier immer mehr Verwaltungsarbeit leisten und haben weniger Zeit für den Patienten. Es gibt zu wenig Personal, das dennoch das gleiche Arbeitspensum schaffen muss. Dadurch kommt es leichter zu Fehlern.

Sie kämpfen hier für die Aufklärung über vernachlässigte Krankheiten – was müsste sich außerdem vor Ort verändern?

Es müsste möglichst viel für die Bildung und Ausbildung der Einheimischen vor Ort getan werden. Vorbeugen ist besser, als später die Krankheit zu behandeln. Wenn ich weiß, wie ich eine Krankheit vermeiden kann, gibt es auch weniger Krankheiten. Die Vernachlässigung findet eher von unserer Seite statt, weniger von dort.

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