Springerstiefel statt Stollenschuhe

„Um neun Uhr geht die Randale meistens schon los. Die Borussenfrontler rotzen, pöbeln die Leute an und beschmieren die Bürgersteige mit SS-Runen und Hakenkreuzen.“ So beschreibt ein Anwohner die Zustände rund um den Dortmunder Borsigplatz im Sommer 1982. „Das sind nicht nur Fußballfans, sondern Leute, die nach rechts tendieren. Die tun sich zusammen, um ihre Aggressionen abzulassen.“ Der besorgte Anwohner behält recht:

Die Borussenfront sorgte regelmäßig für negative Schlagzeilen. Foto: DAFI Dortmund

Die Borussenfront sorgte regelmäßig für negative Schlagzeilen. Foto: DAFI Dortmund / Teaserfoto: flickr.com/vectorprotal

Unter der Führung des deutschlandweit bekannten Neonazis Siegfried Borchardt – besser bekannt unter dem Namen SS-Siggi- radikalisiert sich die Borussenfront immer weiter. Bei NPD-Kundgebungen treten „Borussenfrontler“ bald als sogenannte „Schutzstaffel“ auf und skandieren offen Parolen wie „Heil Hitler“ oder „Ausländer raus“. Kein Einzelfall im deutschen Fußball der achtziger Jahre – in fast allen Bundesliga-Städten entstehen zu der Zeit ähnliche Nazi-Fanclubs: „Die Löwen“ in Hamburg, die Frankfurter „Adler-Front“ oder „Zyklon B“ in Berlin.

Fan-Projekt setzt auf Dialog mit rechten Fans

Als Gegenpart zur Borussenfront gründet der BVB 1988 schließlich das „Fan-Projekt“. Diplom-Sozialarbeiter Rolf Marewski ist von Beginn an dabei. Seine erste Amtshandlung: Ein Besuch in der „Borsigstube“, dem damaligen Treffpunkt der „Borussenfront“. Damals wie heute setzt er auf Dialog statt auf Konfrontation: „Wir arbeiten mit den Jungs. Wir sagen nicht, mit euch wollen wir nichts zu tun haben, ihr seid rechts. Wir integrieren sie, und versuchen wirklich den ein oder anderen, der noch zu retten ist, von diesem Gedankengut runterzubringen und wieder in die Gesellschaft einzugliedern.“

Rolf Marewski zur Borussenfront und Siggi Borchardt

Rolf Marewski arbeitet seit 1988 für das Dortmunder Fan-Projekt. Foto: Fan-Projekt Dortmund.

Rolf Marewski arbeitet seit 1988 für das Dortmunder Fan-Projekt. Foto: Fan-Projekt Dortmund.

Borchardt und seine Nazi-Hooligans sieht man heute nicht mehr bei den Spielen des BVB. Aber wie hat sich die Situation entwickelt seit den achtziger Jahren? Ist im modernen Fußball noch Platz für rechte Gedanken? „Der Fußballplatz ist das Brennglas unserer Gesellschaft“, sagt Marewski. „Es wäre unseriös eine Zahl zu nennen. Aber ich glaube, es gibt nur sehr wenige Neonazis im Umfeld von Borussia Dortmund.“ Trotzdem: Auch rechtsradikale Dortmunder Gruppierungen fühlen sich dem BVB verbunden. Wie zum Beispiel die „Autonomen Nationalisten“ aus Dorstfeld oder die Hooligan-Gruppe „Frontline“.

Rolf Marewski zu den Nationalen Autonomen und Frontline

Selbstregulierung im Fanblock

30.000 Fans - 30.000 Meinungen: Die Dortmunder Südtribüne. Foto: flickr.com/dortmundtourismus

30.000 Fans - 30.000 Meinungen: Die Dortmunder Südtribüne. Foto: flickr.com/dortmundtourismus

„Politisch gefestigt sind höchstens dreißig bis vierzig Prozent von denen“, relativiert Marewski. „Wenn man denen ganz normal entgegentritt, und ihnen zeigt, dass ihre Art zu leben falsch ist, dann werden die Jungs auch nicht größer werden.“ Eine Politisierung der Kurve fürchtet Rolf Marewski nicht – er baut auf die Selbstregulierungskräfte innerhalb der Fans: „Wenn sich da einer von der NPD vor die Südtribüne stellt, dann kann ich mir gut vorstellen, dass der richtig was auf die Jacke kriegt.“

Als Meinungsführer und harter Kern der Dortmunder Südtribüne gelten heute Ultra-Gruppierungen wie „The Unity“ oder die „Desperados Dortmund“. Gerade den „Desperados“ wird dabei häufig eine Nähe zur rechten Szene nachgesagt. Mitglieder der Gruppe gerieten 2008 in die Schlagzeilen, als sie gemeinsam mit Neonazis Straßenkampf-Übungen in einer Dortmunder Turnhalle durchführten. Ein Einzelfall, der nicht exemplarisch für die gesamte Gruppe steht – sagt Fanbetreuer Marewski: „Sie sind heterogen besetzt, sagen wir es mal so. Die Ultra-Gruppierungen versuchen niemanden auszugrenzen, achten aber schon darauf, dass nicht zu viele radikale Ideen in ihre Reihen kommen. Die einen mehr, die anderen weniger.“ Und auch die Führung der Desperados versucht, sich von der rechtsautonomen Szene zu distanzieren: Die Ultras unterstützen aktiv den afrikanischen Fußballverein „Borussia Commondale“, den Fanbetreuer Marewski 2010 ins Leben gerufen hat. Die einen mehr, die anderen weniger.

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