Anti-Pinocchio-Effekt: Warum wir Lügen oft nicht erkennen

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Die Geschichte vom Holzjungen mit der langen Nase ist in den meisten Bücherregalen von Kindern zu finden. Pinocchios Schöpfer – der italienische Schriftsteller Carlo Lorenzini – wurde am 24. November vor 190 Jahren geboren. Sein kleiner Lügenbold verrät sich schnell durch seine wachsende Nase. So einfach sind Lügner in der Realität allerdings nicht zu erkennen, verrät Psychologin Kristina Suchotzki im Interview.

Als die Fee Pinocchio fragte, wo er die Goldstücke versteckt hatte, zog er kurz in Erwägung, die Wahrheit zu sagen. Er behauptete jedoch, die Münzen verloren zu haben. Kaum hatte er die Lüge ausgesprochen, wurde seine ohnehin schon lange Nase um zwei Finger länger. Die Fee musste über seine Flunkereien lachen. Verwirrt fragte er nach, woher sie wüsste, dass er gelogen habe. Amüsiert sagte die Fee: „Lügen kann man leicht erkennen. Es gibt zwei Arten: die mit den kurzen Beinen und die, die lange Nasen haben.“

Frau Suchotzki, kommen wir Lügnern wirklich so schnell auf die Schliche, wie wir immer meinen? 

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Psychologin an der Uni Würzburg: Dr. Kristina Suchotzki. Foto: Privat

Die meisten Leute sind nicht gut darin, Lügen zu erkennen. Zu dem Ergebnis kamen schon einige Studien. Die meisten Menschen liegen mit ihren Fähigkeiten nicht über der Ratewahrscheinlichkeit. Viele haben auch die falschen Vorstellungen, was Anzeichen von Lügen sind. Stottern oder Erröten zählen zu den sehr schwachen Indikatoren. Sie können eigentlich nicht verwendet werden, um Lügner zu erkennen. Da gibt es einfach individuell zu große Unterschiede. Auch den Blick abzuwenden, heißt nicht, dass man lügt. 
Es gibt sogar manche Befunde, die hingegen der generellen Meinung sagen, dass lügende Menschen sich weniger und nicht mehr bewegen. Aber auch das ist individuell unterschiedlich. 
Wenn der lügenden Person zusätzlich Aufgaben zum Nachdenken gestellt werden, beispielsweise die Lügengeschichte rückwärts zu erzählen, können Außenstehende etwas besser durchschauen, wer länger nachdenkt und somit vielleicht lügt. 

Gibt es Personen, die besser oder schlechter lügen?

Die meisten Studien haben interessanterweise keinen Unterschied zwischen sogenannten Experten und Laien im Bereich Lügen nachweisen können. Spezialisten wie Polizisten oder Geheimdienstmitarbeiter sind nicht viel besser. Sie sind lediglich selbstsicherer. Lügen kann bis zu einem gewissen Grad geübt werden – nicht im Allgemeinen, aber das Lügen auf konkrete Fragen. Wenn man sich vorher eine Antwort überlegt und diese gezielt für eine Frage trainiert, gelingt das besser.

Welche Fähigkeiten braucht ein Mensch, um lügen zu können?

Die Forschung konzentriert sich auf die Idee, dass das Lügen kognitiv anstrengender ist. Wenn ich lüge, muss ich mir mehr Mühe geben, als wenn ich die Wahrheit sage. Und dafür brauche ich verschiedene exekutive Funktionen. Ich muss mich erinnern, was eigentlich die Wahrheit ist – dafür brauche ich ein Arbeitsgedächtnis. Zudem muss ich verhindern, dass die Wahrheit einfach raussprudelt. Also brauche ich etwas, das man in der Psychologie Reaktionshemmung nennt, um die Wahrheit zurückzuhalten. Und dann benötige ich etwas, das man Aufgabenwechsel oder Task-Switching nennt. Ich muss in der Lage sein, flexibel zwischen Wahrheit und Lüge hin und her zu wechseln. Man erzählt nämlich selten eine große Lügengeschichte, sondern vielmehr viele kleine, die man zwischen der Wahrheit einbettet.

Sie sagten, man müsse die Wahrheit unterdrücken. Sind wir dazu veranlagt, immer die Wahrheit zu sagen?

Ein Teil der Forscher ist der Meinung, dass die Wahrheit der automatischen Antwort des Gehirns entspricht. Wenn mich jemand etwas fragt, wird die „richtige Antwort“ automatisch aktiviert. Beim Lügen muss ich sie erst zurückhalten. Für andere Wissenschaftler ist Verhalten, das einen Nutzen bringt, die automatische Antwort – der Automatikmodus des Gehirns. In manchen Fällen kann dies dann auch die Lüge sein. Das steht aber immer noch zur Diskussion. 

Wie ist das bei Kindern?

Man weiß aus vorheriger Forschung, dass bei Kindern die Reaktionshemmung, also die Fähigkeit die Wahrheit zurückzuhalten, noch nicht so ausgeprägt ist. Für eine Studie haben wir mehr als tausend Leute im Alter zwischen sechs und 77 Jahren gefragt, wie häufig sie in den letzten 24 Stunden gelogen haben und ihre Fähigkeit der Reaktionshemmung mit einem Computertest gemessen. Kinder und ältere Menschen gaben an, weniger zu lügen und in den vorgegebenen Aufgaben mehr Schwierigkeiten zu haben. Jungen Erwachsenen hingegen fiel das Lügen leichter und sie gaben an, auch mehr zu lügen. Natürlich muss man bei der Beantwortung der Fragen auf Ehrlichkeit hoffen. Der Computertest hat gezeigt, dass Kinder länger für eine Lüge als für die Wahrheit brauchen. Was Kinder aber auch brauchen, um überhaupt lügen zu können, ist die sogenannte „Theory of Mind“. Darunter versteht man das Wissen, dass eine andere Person, nicht das Gleiche denkt wie man selbst und die Welt etwas anders wahrnimmt. Kleine Kinder denken nämlich noch, dass alles, was sie wissen, auch die anderen so kennen.

Weshalb lügen wir überhaupt? Was erhoffen wir uns davon?

Darüber gibt es aus dem Jahr 1996 eine umfangreiche Tagebuchstudie von Bella DePaulo. Hierbei sollten die Teilnehmer eine Woche lang eintragen, wie oft und weshalb sie gelogen haben. Anschließend wurde versucht, die Lügen zu klassifizieren. DePaulo kam zu dem Ergebnis, dass am häufigsten gelogen wurde, um daraus einen Nutzen für sich selbst zu erzielen. Nicht für andere, um diese etwa zu schonen. Dahinter standen allerdings meistens keine materiellen, sondern psychologische Gründe. Zum Beispiel, um den eigenen Ruf zu verbessern oder sich Ärger zu ersparen. Der Großteil sind auch eher kleine Alltagslügen, um sich das Leben zu vereinfachen.

Beitragsbild: flickr.com/Insomnia Cured Here unter Verwendung der Creative Commons Lizenz

 

 

 

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