Kommentar: Der Umweg ist das Ziel

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Vom Feuerwehrmann zum Finanzmathematiker: Dass man als Erwachsener nur selten in dem Beruf arbeitet, von dem man als Kind geträumt hat, scheint normal. Wagen Erwachsene hingegen eine berufliche Kehrtwende, wird das als Zeichen für Schwäche und Unentschlossenheit gebrandmarkt. Zu Unrecht. Ein Plädoyer für mehr Umwege im Lebenslauf.

Astronaut, Feuerwehrmann, Tierärztin: Oft bleiben die Zukunftspläne von Kindern Luftschlösser, dutzende Male verewigt in Freundschaftsbüchern. Die Karriere als Polizist scheitert mal an einer Sehschwäche, mal an verschobenen Interessen – oder eben daran, dass die Realität das Berufsbild des Polizisten, das man früher hatte, korrigiert hat. Die Einsicht, sich in seiner beruflichen Zukunft oder im Studium geirrt zu haben, kann aber auch Jahre später auftreten, wenn man bereits mittendrin ist in der Karriere-Maschinerie. Und dann?

Der Idealfall: Beruf und Persönlichkeit ergänzen sich  

In der Psychologie gibt es das so genannte „Gravitationsmodell“. Das sieht, wie Dr. Axel Schölmerich vom Lehrstuhl für Entwicklungspsychologie der RUB erklärt, “in den Berufswechseln, die man im Laufe seines Lebens vornimmt, eine Art Gravitationskraft, mit der man von seinem persönlichen Ideal angezogen wird”. Durch bewusste Berufswechsel nähert man sich also immer weiter der wahren Berufung an. Wer nine-to-five Akten bearbeitet, obwohl er sich als kreativen Menschen sieht, hat noch keine ausreichende Passung zwischen Beruf und Persönlichkeit erreicht. Ein Berufswechsel wird wahrscheinlicher – und ist häufig sinnvoll.

Nachgefragt auf dem Campus: Welchen Beruf würdest du gerne mal für eine Woche ausprobieren?

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Typische Lebensläufe werden seltener

Geradlinige Werdegänge, die einen Abschluss in Regelstudienzeit und den direkten Berufseinstieg enthalten, werden immer seltener. Und: Auch die Nachfrage nach Mr. und Mrs. Perfect sinkt offenbar. Viele Personaler setzen längst eher auf Persönlichkeit als auf Perfektion. Grund: Unregelmäßigkeiten im Lebenslauf können wertvolle Hinweise darauf geben, wie der Bewerber mit Krisensituationen und Veränderungen umgeht.

Auch Stiftungen und Universitäten haben mittlerweile den Reiz des Umwegs erkannt. So vergibt die Privatuniversität Witten/Herdecke das “Pfadfinder”-Stipendium. Die optimale Bewerber fällt dort durch seine Individualität auf. Blick über den Tellerrand statt starren Tunnelblicks Richtung Karriere. Brüche im Lebenslauf als Erfolgsmodell also.

Selbstreflexion zeigt Stärke

Die Einsicht, einen Lebensentwurf gewählt zu haben, der doch nicht für den Rest des (Arbeits-)Lebens tragbar ist, ist kein Indiz für Schwäche. Ganz im Gegenteil! Sie entwächst meist einem Prozess der Selbstreflexion. Wo bin ich? Wo will ich hin? Wie komme ich dorthin? Nur, wer sich diese Fragen beantwortet hat, füllt einen Antrag zum Studiengangwechsel aus oder sucht das Gespräch. Und kommt – vom Drang zur eigenen Selbstverwirklichung angezogen – sich selbst ein ganzes Stück näher. Manchmal ist der Umweg der direkteste Pfad zu Zufriedenheit und Erfolg.

Das komplette Interview mit Dr. Axel Schölmerich von der RUB zum Thema „Traumberufe bei Kindern“ findet Ihr in der aktuellen Ausgabe der pflichtlektüre:

 

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