Studieren mit Kind – zwischen Spielplatz und Seminaren

Wohin mit dem Kind wenn man in der Bibliothek arbeiten muss?

Wohin mit dem Kind wenn man in der Bibliothek arbeiten muss?

Dass Kinderkriegen während des Studiums nicht gerade trendig ist, ist allgemein bekannt. Zu hoch sind die Kosten für Essen, Windeln, Kita und Kleidung des Kleinen, zu stressig die Vereinbarung von Studium und Kind – das denkt zumindest die große Mehrheit der Studenten. pflichtlektüre wollte es genauer wissen, und versuchte, einen unvoreingenommeren Blick auf die Finanzierung, Betreuung, die psychische Belastung und auch den Berufseinstieg mit Kind zu bekommen. Ist es nicht sogar vorteilhaft, sein Kind schon im Studium zu bekommen?

Auf dem Wohnzimmer-Fußboden liegen Matchboxautos, Puzzlebücher und Bauklötze verteilt. Dazwischen sitzt Jonas, blond, mit Latzhose und einen Bob-der-Baummeister T-Shirt. Er setzt sein Lieblingsauto auf das Parkhaus und wartet ungeduldig auf das Startsignal seiner Mama. Die aber hat gerade ganz andere Sorgen. Sie denkt an die Hausarbeit, die sie nächste Woche abgeben muss. Hastig greift sie zum Telefon, um ihren Professor anzurufen und um Aufschub zu bitten.

Streng strukturierter Tagesablauf

Sara Ortmanns pendelt zwischen Hörsaal und Spielplatz, zwischen Referaten, Hausarbeiten, Klausuren und Jonas, ihrem 26 Monate alten Sohn. Sie studiert Philosophie und Religionswissenschaften. Vormittags besucht die 26-Jährige Vorlesungen an der Ruhr-Universität Bochum, am Nachmittag kümmert sie sich die um ihr Kind. Sie geht dann mit ihm auf den Spielplatz oder in die Stadt. „Hauptsache, ich verbringe so viel Zeit wie möglich mit ihm“, sagt Sara. Wenn Jonas abends schläft, hat sie wieder Zeit für ihr Studium. Ihren Tagesablauf hat sie streng strukturiert. „Sonst funktioniert es nicht, Kind und Studium zu vereinbaren.“ Denn irgendwann will sie ja auch mal fertig werden.

123.000 studieren mit  Kind

Sara gehört zu den sieben Prozent aller in Deutschland immatrikulierten Studierenden, die mindestens ein Kind haben. Die 18. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks im Sommersemester 2006 ergab, dass 123.000 Studierende, davon 67.000 Frauen und 56.000 Männer, den Spagat zwischen Studium und Kindererziehung leben. Die Hälfte von ihnen ist, so wie Sara, verheiratet, ein Drittel lebt in einer festen Partnerschaft, jeder Sechste ist allein erziehend.

Nur zwei Prozent der Studenten wollen Kind

Kinder sind laut dem Deutschen Jugendinstitut DJI (2003) für über 80 Prozent der jungen Menschen bis 29 Jahre ein fester Bestandteil der Lebensplanung. Aber nur zwei Prozent der kinderlosen Studierenden wünschen sich ein Kind während des Studiums. „Wir haben uns bewusst dafür entschieden, während des Studiums ein Kind zu bekommen“, sagt Sara Ortmanns. „Ich wollte schon immer ein Kind. Familie hat einen großen Stellenwert in meinem Leben“, erklärt sie. Als Studentin könne sie viel mehr Zeit mit ihrem Sohn verbringen als eine berufstätige Mutter. „Jetzt bin ich zeitlich flexibel. Im Berufsleben wird das nicht mehr so sein.“

Der Staat unterstützt

Nicht alle Dozenten und Kommilitonen reagieren verständnisvoll, wenn das Kind mal mit in den Hörsaal muss.

Nicht alle Dozenten und Kommilitonen reagieren verständnisvoll, wenn das Kind mal mit in den Hörsaal muss.

Trotz der flexiblen Zeiteinteilung: Ein Kind kostet. Das dünne Portmonee der Studierenden reicht oft nicht aus, neben teuren Büchern auch noch für Windeln zu sorgen. Aber der Staat unterstützt studierende Eltern: Die Erhebung des Deutschen Studentenwerks ergab, dass Studierende mit Kind im Durchschnitt 1.178 Euro im Monat zur Verfügung haben. Das ist anderthalb mal so viel wie Kommilitonen ohne Kind. Diese Einnahmen setzen sich aus verschiedenen Quellen zusammen: Ob BAföG, Elterngeld, Kindergeld, Kinderzuschlag, Unterhalt, Sozialgeld oder Wohngeld, wer sich während des Studiums für ein Kind entscheidet, hat je nach Situation einen Anspruch auf diese Unterstützungen. „Der Druck, sich finanziell abzusichern, ist groß bei Studierenden mit Kind“, weiß Kathrin Humpert, Sozialberaterin an der Ruhruniversität Bochum.

Kind, Nebenjob, Studium

Dieser Druck lastet auch auf der Essenerin Saskia Wollenberg. Im vierten Semester erfuhr die Studentin der Sozialwissenschaften, dass sie schwanger ist. Anfangs dachte die 25-Jährige, die in Düsseldorf studiert, sogar über einen Abbruch nach, weil sie weder einen Job noch gut verdienende Eltern oder einen Partner hatte. Trotz der staatlichen Unterstützung muss die Alleinerziehende jetzt arbeiten gehen, um mit ihren 15 Monate alten Sohn Joel über die Runden zu kommen. „BAföG würde mich noch ärmer machen als Arbeitslosengeld“, glaubt Saskia.
Sara hingegen hat Glück. Ihr Mann ist Informatiker. „Unser Geld reicht aus. Finanzielle Probleme haben wir nicht“, sagt sie. „Aber wenn ich alleinerziehend wäre und keine finanzielle Rückenstärkung durch meinen Mann hätte, würde ich mir ein Studium mit Kind weder finanzieren können noch zutrauen“.

Keine Studiengebühren während der Regelstudienzeit

Finanziell entlastet werden Studierende mit Kind auch durch besondere Regelungen bei den Studiengebühren. Die drei Allianz-Unis finden dazu unterschiedliche Lösungen. In Dortmund werden Studierende vollständig befreit, wen sie minderjährige Kinder erziehen. In Bochum gilt diese Reglung dann, wenn sie die doppelte Regelstudienzeit nicht überschreiten. Allerdings werden alle Hochschulsemester, auch die aus einem eventuellen Erststudium, mitgerechnet. Seit diesem Semester haben die RUB-Studierenden mit Kind außerdem die Möglichkeit, sich von der Uni beurlauben zu lassen, jedoch trotzdem eine Prüfung abzulegen. An der Uni Duisburg-Essen gibt es ebenfalls klare Regeln: Für die Regelstudienzeit werden Studierende mit Kind befreit. Wer allerdings ein Kind unter zwölf Jahren oder ein Kind mit Behinderung erzieht, ist für die anderthalbfache Zeit befreit.

Wohin mit dem Nachwuchs?

Nach der Geburt von Jonas hat Sara ein halbes Semester ausgesetzt. Zeitgleich hat ihr Mann vier Wochen Urlaub genommen, um für die Familie da zu sein. Nach dem Urlaubssemester ist Sara wieder an die Uni gegangen. Zu den Vorlesungen nimmt sie Jonas aber nicht mit. „Er ist zu neugierig, würde ständig Fragen stellen und versuchen, mit den Kommilitoninnen zu flirten.“ Doch wohin mit dem Kind, wenn der Partner keine Zeit und der Dozent kein Verständnis hat? An allen Ruhrgebiets-Unis gibt es mehrere Angebote zur Kinderbetreuung. In Dortmund zum Beispiel die Kurzzeitbetreuung „Kukis“ und drei Hochschulkindertagesstätten. In Essen werden die Kleinen in der „Krabbelburg“ oder bei den „Brückenspatzen“ untergebracht. Und auch Duisburg und Bochum bieten jeweils zwei Uni-Kitas. Doch trotz des scheinbar großen Angebots finden nicht alle Kinder einen Platz – die Wartezeit ist lang. Am besten, man bewirbt sich direkt nach der Geburt um einen Platz. Ein Recht auf einen Betreuungsplatz haben die Studierenden genauso wenig wie berufstätige Eltern.

Bei Blockseminaren helfen die Kitas nicht

In der „Kinderwerkstatt“ nahe der Ruhr-Uni Bochum spielen, lärmen und lachen täglich 30 Kinder, über ein Drittel davon sind Kinder von Studierenden. Mehr gehen nicht, denn die Kapazitäten sind voll ausgelastet Ausgebildete Erzieherinnen kümmern sich unter der Woche täglich um die Kinder. Wer Blockseminare an Wochenenden oder Vorlesungen in den Abendstunden belegen muss, dem helfen die Kindertagesstätten aber nichts. Die Kosten für die Kitas variieren zwischen 40 und 90 Euro im Monat für Verpflegungs- und Windelgeld, den üblichen Zuschlag fürs Jugendamt müssen die meisten Studierende nicht zahlen – vorausgesetzt, sie verdienen jährlich weniger als 18.000 Euro.

Wie groß ist die psychische Belastung und was sagen die Unternehmen? Weiter auf der nächsten Seite

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