Duell: Zäune und Stehplatzverbot in Stadien?

das-duell-sitzplatzeIn England ist es bereits vor einigen Jahren passiert: Um Fankrawalle und Pyrotechnik besser in den Griff zu bekommen, gibt es in Stadien der Premiere-League-Clubs nur noch Sitzplätze. Nach den jüngsten Zwischenfällen beim Spiel zwischen Fortuna Düsseldorf und Hertha BSC Berlin, die fast zu einem Spielabbruch geführt hätten, ist das Thema auch in Deutschland und in der Bundesliga wieder in aller Munde. Manch einer fordert sogar, die Zäune vor den Tribünen hochzuziehen. Doch ist das wirklich sinnvoll? Darüber streiten die pflichtlektüre-Autoren Johannes Hoffmann und Jens Rospek im Duell.

pro contra
Traurig aber wahr: Fußballfans werden immer aggressiver. Zumindest kann man bei den momentanen Geschehnissen im deutschen Profifußball zu dieser Erkenntnis kommen. Das Relegationsspiel zwischen Fortuna Düsseldorf und Hertha BSC Berlin ist nur die Spitze des Eisberges. Ich will hier gar nicht alle Fans in eine Schublade packen, aber es ist ja überall so: Chaoten fallen auf. Und gerade diese Chaoten scheinen keine Grenzen mehr zu respektieren. Felix Magath würde vermutlich von einer „kleinen Gruppe“ sprechen, aber – und da bleibe ich wieder beim Relegationsspiel Düsseldorf gegen Berlin-, die gefühlt 1.000 Fans auf dem Rasen sind bei weitem keine „kleine Gruppe“ mehr.

Das Relegationsspiel zwischen Düsseldorf und der Hertha hat es nochmals eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Die Zäune in unseren Stadien sind zu klein. Die Tatsache, dass sogar Kinder auf den Rasen stürmen, macht die Sache auch nicht besser. Vielmehr wird deutlich, wie wenig Rücksicht aufeinander genommen wird. Im Extremfall kommt es zu schweren Auseinandersetzungen zwischen Fan-Gruppierungen. Die Polizei ist dann machtlos.

Ich will mir nicht vorstellen, wie weit der eine oder andere „Fan“ gehen würde. Wenn auch noch Kinder betroffen sind, muss man sich wirklich fragen, ob wir bereit sind, den geordneten Spielbetrieb zu opfern. Die Worte der Stadionsprecher: „Ihr schadet damit nur eurer Mannschaft“, sie wirken wie eine ausgelutschte Phrase und doch sind sie wahr.

Offenbar Sicherheitslücken vorhanden

Der Sicherheitsaspekt muss also komplett neu durchdacht werden. Stand jetzt: Fans stürmen den Platz und als wäre das noch nicht genug, bringen sie auch noch Pyrotechnik mit auf das Spielfeld. Man stelle sich mal vor, die oftmals selbstgebastelten Bengalos würden als Waffe gegen die gegnerischen Fans missbraucht. Dann wären wir wieder zurück im Mittelalter.

Ich habe es letztes Jahr auch in Dortmund erlebt. DFB-Pokalspiel gegen Dresden. Ein bengalisches Feuer nach dem anderen und sogenannte „Fans“, die sich mit der Polizei anlegen. Interessanter Weise schaffen sie es immer wieder, die Zäune in den Stadien zu überwinden. Manchmal sind es mehr, manchmal weniger Fans. Aber trotzdem scheint es immer möglich zu sein, den Platz zu stürmen. Ein Zustand, den ich für nicht tragbar halte. Zum einen, weil der Großteil der Fans ein ganz normales Fußballspiel sehen will. Zum anderen, weil genau dieser auch abends in Ruhe nach Hause gehen will.

Grenzenlose Fankultur oder Verantwortung?

Eigentlich ist es ja ganz einfach: Die Fans müssen eigenzäunt werden, ihnen muss endlich sichtbar auch eine räumliche Grenze aufgezeigt werden. Persönlich finde ich das zwar sehr schade, denn die Stimmung wird es sicherlich nicht anheben, aber die aktuelle Situation erlaubt nichts anderes. Nur wenn die Fans innerhalb der Blöcke sind, können die Ordner alles unter Kontrolle behalten. Und seien wir mal ehrlich, Sicherheit geht vor. Ich denke, es sollte auch der Anspruch eines deutschen Fußball Fans sein, Fankultur zu pflegen, ohne dabei den ihm zur Verfügung gestellten Bereich zum Ausleben dieser Fankultur zu verlassen. Ein wichtiger Punkt ist da sicherlich der Erhalt von Stehplätzen in deutschen Stadien. Ich glaube, kaum ein Fan möchte darauf verzichten. In Europa sind unsere Stehplätze eine Besonderheit. Wenn allerdings das Stürmen von Stadien zur Gewohnheit wird, kommt der DFB möglicherweise noch auf die Idee, „englische Verhältnisse“ zu schaffen. In der Premier League gibt es schließlich nur noch Sitzplätze. Die Stimmung ist aber nur selten auf dem Niveau der Bundesliga

Zeit zum Handeln

Entweder man reagiert jetzt oder man wartet einfach weiter ab. Nur wer zu lange wartet, erlebt irgendwann ein richtiges Horrorszenario und dann wird der Abend in Düsseldorf zum kleinen Scharmützel erklärt. Ich jedenfalls will auch weiterhin nur zwei Mannschaften und das Schiedsrichtergespann auf dem Platz sehen. Wenn die Fans das nicht verstehen wollen, müssen sie durch höhere Zäune zurückgehalten werden. Die Verantwortung für den „normalen“ Zuschauer verlangt diese Einsicht von uns.

Diese Bilder wird kein Fußballfan so schnell vergessen: Fortuna Düsseldorf gegen Hertha BSC Berlin, Relegationsrückspiel. Erst veranstalten sogenannte „Gäste-Fans“ ein Feuerwerk, werfen mehrere Raketen auf das Spielfeld und lösen einen Polizei-Aufmarsch vor der Fankurve aus. Dann stürmen tausende Fortuna-Anhänger im Freudentaumel das Spielfeld, obwohl die Partie noch gar nicht beendet ist.

Nach dem Abpfiff ist von einem „Skandalspiel“ und „unhaltbaren Zuständen“ die Rede. Entsprechend dauert es nicht lange, bis übermotivierte Politiker und selbsternannte Experten ungefragt auf der Bildfläche erscheinen. „Zukünftig sollte es nur noch Sitzplätze geben“ oder „Notfalls muss man die Zäune vor den Tribünen wieder hochziehen“, lauten ihren Forderungen. Und der Fußballfan erkennt sofort: Von Fußball haben diese Menschen nicht die geringste Ahnung. Oder sie wollen einfach nicht verstehen, welche Folgen eine Kurzschlussreaktion wie ein Stehplatzverbot für die Fankultur hätte.

Deutschland= England 2.0? Nein Danke!

Die Begründung für solche Forderungen ist schnell gefunden. Man müsse doch einfach nur nach England, dem Mutterland des Fußballs, gucken. Dort sei die Gewalt nach der Verbannung von Stehplätzen nachweislich zurückgegangen. Krawalle würden schließlich häufig auf den Stehtribünen ausgelöst. So weit, so gut.  Aber die Sicherheit ist nur ein Aspekt. Denn auf der Insel ist neben den Stehplätzen noch etwas viel wichtigeres verloren gegangen: die Stimmung.

Zum Sport gehören Emotionen, und zwar auch auf der Tribüne. Und noch viel wichtiger: auch die Mannschaften selbst profitieren, lassen sich von den Fans mitreißen. Nicht umsonst beginnen alle Teams ihre „Ehrenrunde“ nach einem Sieg vor der Stehplatztribüne, vor ihren größten Fans. Nicht umsonst redet man gerne vom „Zwölften Mann“. Nicht umsonst gibt es die Redewendung „hinter seiner Mannschaft stehen“. Guckt man hingegen nach England, kommen einem „echten“ Anhänger fast die Tränen. Statt 90 Minuten Hexenkessel sitzen alle Zuschauer fein aufgereit nebeneinander und applaudieren von Zeit zu Zeit brav. Mutterland des Fußballs? So definitiv nicht.

Teuer, Teurer, Sitzplätze

Doch ein Stehplatzverbot hätte noch weitere Folgen. Eine normale Sitzplatzkarte der billigsten Kategorie bei einem Bundeligaclub kostet häufig 25 bis 30 Euro, Dauerkarten teilweise hohe dreistellige Beträge, Tendenz steigend. Damit sind sie deutlich teurer als jedes Stehplatzticket. Doch wie bezahlt das der deutsche Durschnittsbürger? Häufig überhaupt nicht.

Ein Verbot würde solch ein Szenario zwar nicht für alle, aber viele Fans zur Realität werden lassen. Und was würde man damit erreichen? Vielleicht weniger Randale auf den Rängen. Vor allem aber würden viele der treuesten (und lautesten) Fans aus den Stadien vertrieben. Auch hier lohnt sich wieder der Blick nach England: Dort gehen viele Zuschauer aus finanziellen Gründen mittlerweile lieber in den örtlichen Pub statt ins Stadion, um ihr Team zu unterstützen. Warum? Weil die Stimmung einfach besser ist. Das mag zwar für die Bierindustrie erfreulich sein, nicht aber für die Fußballclubs und die Stadionatmosphäre.

Problem gelöst – und die Ursache?

Die größte Frage, die sich jedoch stellt: Was will man mit dem Verbot eigentlich erreichen? Die Wurzel des Übels bekämpft man damit jedenfalls nicht. Vor einigen Wochen hatten mehrere „Überfälle“ von Zuschauern auf Fanbusse gegnerischer Mannschaften für ähnliche Aufregung gesorgt. Und in Amateurligen, wo es gar keine Tribünen gibt, sind Krawalle häufig an der Tagesordnung. Heißt: Ein Stehplatzverbot in Bundesliaga-Arenen würde das Problem „Fangewalt“ lediglich aus der Öffentlichkeit verbannen, aber nicht dauerhaft lösen. Das sollte eigentlich auch der größte Kritiker verstehen.

Statt unüberlegter Schnellschüsse sollte man sich in Ruhe sinnvollere Alternativen überlegen. Und noch viel wichtiger: Nicht viele Fans für die Fehler weniger Idioten bestrafen. Zur Fußballkultur in Deutschland gehören Stehplätze. Das sollte und darf sich auch zukünftig nicht ändern.

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Foto: stockxchng/bizior, Montage: Steinborn/Schweigmann, Teaserfoto: Jörg Sabel/pixelio.de