Studieren in Ägypten: „Die Regierung hat Angst vor Studenten“

Nadine Hassan ist 21 Jahre alt, Studentin und lebt in Kairo. Seit drei Jahren erlebt sie die politischen Umbrüche in Ägypten hautnah mit. Bereits im Juli 2013 berichtete die Pflichtlektüre vom Leben der Studentin. Nun erzählt uns Nadine in einem Interview, was seitdem passiert ist und ob sich an den alltäglichen Bombenanschlägen, an ihrem Leben als Frau in Ägypten und am Studentenleben etwas geändert hat.

Pflichtlektüre: Vergangene Woche gab es auf der Sinai Halbinsel einen Anschlag auf einen Touristenbus. Wann wird es für Touristen wieder sicher sein nach Ägypten zu reisen?

Nadine: Es ist grundsätzlich schon sicher für Touristen nach Ägypten zu reisen, es kommt aber darauf an wohin genau. In Sharm el Sheikh und anderen typischen Touristenorten ist es sicher. Auf der Sinai Halbinsel jedoch nicht. Eigentlich wollte ich an dem Tag, an dem der Anschlag geschah auch einen Ausflug zum Sinai machen. Doch ich habe mich dagegen entschieden, weil es mit der derzeitigen politischen Lage zu gefährlich ist dorthin zu fahren.

Die 21-jährige Nadine Hassan lebt und studiert in Kairo.

Die 21-jährige Nadine Hassan lebt und studiert in Kairo. Foto: Privat

Wie würdest du die allgemeine Situation seit dem Sturz von Staatschef Mohammed Mursi durch das Militär einschätzen? Ist es sicherer geworden?

Das kann ich nicht so genau sagen. Es war auch vor Mursis Sturz unsicher, es gab immer Leute, die gegen irgendwas demonstrieren. Doch seit Mursis Sturz sind in Kairo einige Bomben explodiert, das ist besonders beunruhigend.

Wie schützt du dich vor solchen Bedrohungen?

Man kann sich nicht hundertprozentig davor schützen. Ich versuche gefährliche Gegenden zu meiden, jedoch will ich mich auch nicht so sehr einschränken. Ich mache alles was ich möchte. Wenn etwas passiert, dann passiert es halt. Eine Zeit lang gab es sehr viele Bombenanschläge in meiner Wohngegend, aber ich bin trotzdem ganz normal rausgegangen.

Während der Demonstrationen auf dem Tahrir Platz hörte man immer wieder von Vergewaltigungen von Frauen. Wie gefährlich lebt man als Frau in Ägypten?

Es ist sehr traurig, dass ich das sagen muss, aber als Frau in Ägypten hat man es nicht leicht. Man muss wirklich aufpassen zu welchen Uhrzeiten man zu welchen Orten geht und was man dabei anhat. Nur wenn man sehr vorsichtig ist, kann man Belästigungen vermeiden. Das schränkt einen in seinem Alltag sehr ein. Es gibt aber auch vereinzelte Viertel in Kairo, in denen man sich frei bewegen kann.

Nadine Hassan verfolgt die Unruhen in ihrem Heimatland seit drei Jahren. (Foto: Teresa Bechtold)

Nadine Hassan verfolgt die Unruhen in ihrem Heimatland seit drei Jahren. Foto: Teresa Bechtold

Du trägst kein Kopftuch. Wäre es leichter für dich, wenn du eines tragen würdest?

Nein, die Belästigungen haben nichts mit dem Kopftuch zu tun, eher mit der Kleidung. Es gibt Frauen, die zwar ein Kopftuch tragen, aber freizügig angezogen sind, die werden genauso belästigt. Es liegt also einfach daran, dass es Frauen sind.

Du studierst Politik und Wirtschaft an der Universität Kairo. Auch die Studenten haben im Laufe der Umstürze immer wieder protestiert. Wofür demonstrieren die Studenten?

Seit Mursis Sturz demonstrieren vor allem Studenten, die Anhänger der Muslimbrüder sind. Sie stellen sich vor Fakultätsgebäude oder stürmen in Seminare. Diese Studenten wollen, dass die Muslimbrüder wieder an die Macht kommen.

Wie reagiert die Regierung auf diese Proteste?

Es sind immer viele Polizisten an der Universität, die versuchen die Demonstranten auseinanderzutreiben und auch Tränengas einsetzen.

Vor einigen Monaten sind zwei Studenten bei Demonstrationen gestorben. Keiner weiß genau warum und wer sie getötet hat, es könnten Polizisten, Muslimbrüder oder andere Demonstranten gewesen sein. Daraufhin kam es zu Streiks an der Universität, viele viele Studenten haben protestiert.

Was wollten die Studenten erreichen?

Mehr Menschlichkeit. Es kann doch nicht sein, dass ein Student an seiner eigenen Uni umgebracht wird. Der Vorfall ging mir sehr nahe, stelle dir mal vor, man ist nicht mal in seiner Uni sicher!

Wie geht die Regierung mit der Situation an der Uni um?

Eigentlich hätte das Semester bei uns schon seit Anfang Februar wieder anfangen sollen, doch der Bildungsminister hat den Beginn auf März verschoben. Er hat keinen richtigen Grund angegeben, doch ich denke, dass die Regierung Angst vor Aufständen der Studenten hat.

Die Armee von Machthaber Abdel Fattah al Sisi hat angekündigt, die Medien in Ägypten noch stärker kontrollieren zu wollen. Wie informierst du dich über die politische Lage?

Man konnte noch nie besonders auf Fernsehen und Zeitung vertrauen. Es ist wirklich sehr schwierig sich ein Bild zu machen, weil jeder in den Medien seine eigene Meinung vertritt. Deswegen ist es am besten, wenn man möglichst alles schaut und liest und sich daraus seine eigene eine Meinung formt. Am meisten vertraue ich auf persönliche Berichte, die Freunde von mir auf Facebook posten. Die sind zwar auch nicht unbedingt neutral, aber da weiß ich wenigstens, woher die Informationen kommen.

Vielen Dank für das Gespräch. 

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