Den Kopf Richtung Mekka

Asli Ozuntas steht vor einem Grab auf dem Dortmunder Hauptfriedhof. Der Grabstein ist aus weißem Marmor, davor liegen Blumen. Eine Grabplatte gibt es nicht. Die Dortmunder Studentin besucht ihren Bruder, der vor fünf Jahren gestorben ist. Er wurde auf einem Teil des Dortmunder Hauptfriedhofs beerdigt, der für Muslime reserviert ist.

Dass Aslis Bruder hier begraben liegt, ist nicht die Regel. Das islamische Gräberfeld in Dortmund gibt es sei 1996. 103 Personen wurden hier bestattet, das sind weniger als zehn pro Jahr. „80 Prozent der in Deutschland lebenden Muslime lassen sich nach dem Tod in ihre Heimatländer überführen“, sagt Peter Buschkamp von der Dortmunder Friedhofsverwaltung. Sie schließen dafür eine Versicherung ab, die nach dem Tod alles mit den Behörden regelt und den Toten in sein Heimatland überführt. Bei der DITIP, der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religionen, kostet das 50 bis 60 Euro pro Jahr.

Das islamische Gräberfeld in Dortmund: 103 Muslime wurden hier begraben. Foto: Susanna Zdrzalek

Das islamische Gräberfeld in Dortmund: 103 Muslime wurden hier begraben. Foto: Susanna Zdrzalek

Rituale vs. Bestattungsgesetz

Die Gründe dafür sind unterschliedlich. „Da ist einmal die Verbundenheit zur Heimat. Viele wollen dort bestattet werden, wo auch ihre Vorfahren und Verwandten liegen“, erklärt Ünal Gökce, Vorstandmitglied im Türkisch-islamischen Kulturverein in Dortmund-Hörde. Der zweite Grund: Viele Muslime haben Angst, dass sie in Deutschland nicht gemäß der muslimischen Rituale beerdigt werden. Ein Problem ist das Gebot der ewigen Totenruhe. „Wir Muslime werden auf einer Fläche begraben, auf der vorher noch nie jemand bestattet wurde. Und dieses Grab wollen wir dann auch für immer behalten. Das ist in Deutschland aber nicht möglich. Das Grab wird hier nur für eine befristete Zeit gepachtet und irgendwann kommt da eine andere Person hin“, sagt Gökce.

Die muslimischen Rituale schreiben vor, dass der Tote gewaschen wird, um suaber ins Jenseits überzugehen. Danach wird er in ein Leichentuch gewickelt und noch am Todestag mit dem Kopf Richtung Mekka begraben – und zwar ohne Sarg. Die sarglose Bestattung war in Deutschland lange Zeit ein Problem. In der Dortmunder Friedhofsatzung steht aber seit einigen Jahren: „Von der Pflicht, Tote in Särgen zu bestatten, kann die Friedhofsverwaltung bei Toten einer Glaubensgemeinschaft, die sarglose Bestattung gebietet… Ausnahmen zulassen.“ „Wir versuchen den Muslimen so weit es geht entgegenzukommen“, sagt Peter Buschkamp.

Es habe einige runde Tische gegeben, bei denen Vertreter muslimischer Gemeinden ihre Wünsche äußern konnten. Das islamische Gräberfeld liegt zum Beispiel auf einem Teil des Hauptfriedhofs, auf dem vorher noch nie jemand bestattet wurde. „Als Friedhofsverwaltung sind wir aber auch an das Bestattungsgesetz gebunden. Und das besagt zum Beispiel, dass man eine Sterbeurkunde vorweisen muss, wenn man jemanden bestatten lassen will. Das dauert aber zwei, drei Tage, bis die fertig ist. Und deshalb können wir die Toten nicht schon am Todestag bestatten“, erklärt Buschkamp.

80 Prozent der in Deutschland lebenden Muslime lassen sich nach dem Tod in ihr Heimatland überführen. Foto: stock.xchng

80 Prozent der in Deutschland lebenden Muslime lassen sich nach dem Tod in ihr Heimatland überführen. Foto: stock.xchng

Die meisten muslimischen Bekannten von Ünal Gökce wollen sich nach dem Tod in die Türkei überführen lassen. Auch seine Eltern haben eine Versicherung abgeschlossen. Er selbst ist noch im Zwiespalt. „Einerseits wäre es schön, nah bei den Verwandten zu sein. Ich könnte mir auch sicher sein, dass die Rituale zu 100 Prozent eingehalten werden. Andererseits wachsen meine Kinder hier in Deutschland auf, Deutschland ist ihre Heimat. Für sie wäre es unkomplizierter, wenn ich mich hier begraben lassen würde“, sagte Gökce. Er ist überzeugt, dass sich mit den kommenden Generationen immer mehr in Deutschland lebende Muslime auch hier begraben lassen werden. Peter Buschkamp sieht das ähnlich. „Da ist die Verbundenheit zum Heimatland nicht mehr so groß. Und wir wollen unsere Toten nun mal in der Nähe haben.“ Noch sei vielen Muslimen aber nicht bewusst, dass sich der Großteil der Bestattungsrituale auch in Deutschland umsetzen lässt. „Das muss noch mehr in die Öffentlichkeit dringen“, findet Buschkamp.

Für Asli Ozuntas‘ Familie war klar, dass der Bruder in Dortmund bleibt, wo sie sein Grab regelmäßig besuchen können. Asli selbst will nach dem Tod auch in Deutschland bleiben. Dass bei der Beerdigung möglicherweise nicht alle Rituale eingehalten werden können, stört sie nicht. „Im Endeffekt kommt es doch darauf an, dass man ein guter Mensch war.“

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