Ungewollte Geisteswissenschaftler

Auch wenn das große „T“ für „Technisch“ seit einigen Jahren den Namen der Dortmunder Uni ziert, laufen auf dem Campus viele Geisteswissenschaftler umher. Rund ein Drittel an der TU studiert Fächer wie Sprachwissenschaften, Erziehungswissenschaften oder Alternde Gesellschaften. Anders als die Ingenieure und Wirtschaftswissenschaftler werden sie aber bei der Jobsuche nicht von Unternehmen umworben. Sie müssen sich selbst präsentieren.

Geisteswissenschaftler studieren „auf arbeitslos“ – diesen Vorwurf wird jeder schon einmal gehört haben, der sich für ein solches Studium entschieden hat. Dass das nicht stimmt, zeigen die Zahlen einer Absolventenbefragung der Hochschul-Informationssystem GmbH von 2011. Nur rund 5 Prozent der Sprach- und Kulturwissenschaftler waren ein Jahr nach ihrem Uni-Abschluss arbeitslos. Dennoch sind sie nicht in der glücklichen Position, dass sie eine große Auswahl an Jobs haben. Anders sieht das bei Ingenieurs- oder Wirtschaftsstudenten aus. Seit Jahren ist in diesen Branchen der Fachkräftemangel ausgerufen.

Daten und Fakten: Jobsuche nach dem Studium
  • Rund 5 Prozent der Sprach- und Kulturwissenschaftler, Sozial- und Politikwissenschaftler sowie Psychologen waren ein Jahr nach ihrem Abschluss arbeitslos. Bei den Maschinenbauern lag die Arbeitslosenquote deutlich niedriger, bei den Wirtschaftswissenschaftlern etwas höher.
  • 65 Prozent der Sprach- und Kulturwissenschaften-Absolventen gaben an, dass für ihr Studienfach nur relativ wenige Stellen angeboten würden. Bei den Sozial- und Politikwissenschaftlern waren es sogar 77 Prozent. Anders sieht es bei Maschinenbau-Absolventen (19 Prozent) oder Wirtschaftswissenschaftlern (23 Prozent) aus.
  • Auch schätzen Geisteswissenschaftler ihren Job als unsicherer ein: Nur 36 Prozent der Politik- und Sozialwissenschaften- und 44 Prozent der Sprach- und Kulturwissenschaften-Absolventen sahen ihren Job als sicher. Deutlich optimistischer sind da Wirtschaftswissenschaftler (67 Prozent) und Maschinenbauer (86 Prozent).
  • Quelle: HIS-Absolventenbefragung 2011
Auf Kontaktmessen wie der konaktiva in Dortmund werben Unternehmen um Studenten. Nur für Geisteswissenschaftler gibt es hier kaum ein Angebot. Fotos: Tobias Lawatzki

Auf Kontaktmessen wie der konaktiva in Dortmund werben Unternehmen um Studenten. Nur für Geisteswissenschaftler gibt es hier kaum ein Angebot. Fotos: Tobias Lawatzki

Besonders deutlich wird das auf der Kontaktmesse konaktiva. Einmal im Jahr werben Unternehmen in den Dortmunder Westfalenhallen um Studenten. An aufwändig gestalteten Ständen präsentieren sie ihren Betrieb, ihre Produkte und sprechen mit Studenten, um sie für ihr Unternehmen zu begeistern. Im Idealfall kommt für die Studenten dabei ein Praktikum oder sogar ein Job rum. Andere bekommen die Möglichkeit, eine Abschlussarbeit zu schreiben. Große Namen aus der ganzen Welt wie Amazon, Volkswagen und Miele sind vertreten. Nur wer als Geisteswissenschaftler auf die Messe kommt, wird feststellen: „Wir werden hier nicht gesucht.“

Kaum ein Unternehmen braucht Geisteswissenschaftler

Dabei ist es nicht so, als würde sich die konaktiva nicht mehr Geisteswissenschaftler auf der Messe wünschen: „Die konaktiva ist nicht nur für Ingenieure und Wirtschaftswissenschaftler“, heißt es vom Veranstalter. „Wir finden aber kaum Unternehmen, die Geisteswissenschaftler suchen. Es gibt scheinbar kaum ein Angebot in diesem Bereich.“

Die Bemühungen der konaktiva-Veranstalter konnten in diesem Jahr erstmals ein Angebot für angehende Lehrer auf die Messe locken. Das Ministerium für Lehre und Weiterbildungen NRW war mit einem Stand vertreten. Nachfrage danach gibt’s in Dortmund genug. Schließlich zählt die Fakultät „Erziehungswissenschaften, Psychologie und Soziologie“ mehr als 4000 Studenten und ist damit die zweitgrößte der TU. Auf Platz vier liegt die Fakultät Kulturwissenschaften.

Jobs in der Kinderbetreuung

Informieren sich Geisteswissenschaftler an den anderen Ständen der konaktiva, werden sie kaum fündig. „Für Geisteswissenschaftler haben wir im Moment keinen Bedarf“, heißt es etwa bei Vaillant. „In Bereichen wie der PR brauchen wir Leute, die sich mit unseren Produkten gut auskennen. Da setzen wir keine Geisteswissenschaftler ein.“ Das Unternehmen sucht auf der Messe vor allem Maschinenbauer und Elektroingenieure.

Blickt man als Geisteswissenschaftler auf die Jobs, die auf der konaktiva angeboten werden, wird man schnell ernüchtert. Voraussetzung ist meist ein Ingenieurs- oder Wirtschaftsstudium. "Literaturwissenschaften" oder "Soziologie" findet man hier nie.

Blickt man als Geisteswissenschaftler auf die Jobs, die auf der konaktiva angeboten werden, wird man schnell ernüchtert. Voraussetzung ist meist ein Ingenieurs- oder Wirtschaftsstudium.

„Die Nachfrage nach Geisteswissenschaftlern wird aber langsam mehr“, meint Jan Peter Ihmann, der für BASF junge Kräfte sucht. „Wir wollen einen guten Mix herstellen. Die Produktion basiert natürlich weiter auf Leuten aus Forschung und Wirtschaft. Immer wichtiger werden aber auch Sachen wie Kinderbetreuung und die Organisation von Events. Dafür suchen wir Geisteswissenschaftler.“

Nicht auf Stellenanzeigen warten

Braucht die freie Wirtschaft Geisteswissenschaftler also nur als Kinderbetreuer und Eventveranstalter? In einem Interview mit Spiegel Online ruft Martha Meyer-Althoff von der Uni Hamburg Geisteswissenschaftler dazu auf, sich selbst den Weg in die Unternehmen zu erarbeiten. Sie sollten nicht auf Stellenanzeigen warten, in denen sie gesucht werden. Kaum ein Arbeitgeber suche schließlich gezielt nach ihnen.

Das macht deutlich, wo der Unterschied zwischen den Geisteswissenschaftlern und vielen anderen Uni-Absolventen liegt: Um Ingenieure & Co. buhlen die Unternehmen. Auf Kontaktmessen wie der konaktiva haben sie beste Chancen, einen Arbeitgeber zu finden. Geisteswissenschaftler hingegen müssen sich bei den Unternehmen präsentieren und zeigen, warum sie Vorzüge haben gegenüber Studenten, die eine Laufbahn absolviert haben, die klassischer für einen Job in der freien Wirtschaft scheint.

Eine offenere Haltung zu Geisteswissenschaftlern gebe es laut Meyer-Althoff in den angloamerikanischen Ländern. Hier könnten sie auch Jobs in Großbanken finden.

In Deutschland scheint das noch schwer bis unmöglich. Wenn sich Geisteswissenschaftler jetzt aber ins Gespräch bringen und aktiv auf Firmen zugehen, haben sie bald vielleicht auch in der hiesigen Wirtschaft die Chance, in anderen Bereichen als der Kinderbetreuung und Eventveranstaltung zu arbeiten.

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