„Ein Nashorn für die Nordstadt“

Das Nashorn für dir Nordstadt

Sie zeigen sich mal im gestreiften Schwimmdress, mal im Zebra-Look, mal schick im Anzug und mit Schal: Dortmunds geflügelte Nashörner. Zwar sind sie vielfältig in ihrer Variation, in ihrem Vorkommen jedoch räumlich begrenzt. Während sich die bunten Dickhäuter bevorzugt südlich des Hauptbahnhofs tummeln, sind sie in der Nordstadt nur selten zu sehen. Ein Missstand, auf den der Künstler Felix Meermann mit seinem Projekt „Ein Nashorn für die Nordstadt“ aufmerksam macht.

Der Designstudent steht im Atelier an der Brunnenstraße. Durch die Fenster schieben sich die Lichtstrahlen nach draußen auf den dunklen Bürgersteig. Begleitet von lebendigen Gitarrenklängen, greift der 26-Jährige ganz routiniert zu einem großen Pappstück, schneidet mit dem Cuttermesser wie zufällig drauf los und montiert das Teil an dem zwei Meter hohen Gerüst vor ihm. Pappreste bedecken den Boden, in Wollsocken bahnt er sich einen Weg durch das Wirrwarr. „Aus Bequemlichkeitsgründen“, sagt er und zuckt verschmitzt mit den Achseln. 

Felix Meermann

Felix Meermann (26) studiert Kommunikationsdesign an der FH Dortmund. Foto: Jasmin Assadsolimani

Nachtschichten wie diese sind für Felix kein Einzelfall. Sein Projekt „Ein Nashorn für die Nordstadt“ hält ihn auf Trapp. „Das letzte Mal war ich bis 5 Uhr morgens hier“, erzählt der 26-Jährige. Vor ihm steht ein halbfertiges, lebensgroßes Nashorn aus Pappe. Die Realisierung einer Idee, dich sich aus dem Wettbewerb „NordDesign“ der Fachhochschule Dortmund ergeben hat. Sein Konzept, das Dortmunder Wahrzeichen aus Pappe nachzubauen und in der Nordstadt zu platzieren, überzeugte. Zusammen mit zwei weiteren Kunstprojekten, die sich ebenfalls mit der Nordstadt beschäftigt haben, wurde Felix‘ Nashorn prämiert. „Und jetzt darf ich es realisieren“, erklärt der Künstler.

Dortmunds Dickhäuter

Das geflügelte Nashorn ist seit 2002 das Wappentier des Dortmunder Konzerthauses. Die Dickhäuter aus Kunststoff sind rund 2,50 Meter lang und 160 Kilogramm schwer. Wo sie überall stehen und ihre Geschichten gibt es hier zu lesen.

Dem Designstudenten war aufgefallen, dass in der Nordstadt viel weniger Nashörner stehen als in der Innenstadt: „In der Nordstadt gibt es nur zwei Nashörner – und ich habe mich gefragt, wie das Ungleichgewicht zustande gekommen ist. Warum gibt es das hier nicht?“ Das geflügelte Nashorn ist das Wappentier des Dortmunder Konzerthauses – ein Stück Hochkultur im Dickhäuterformat. Fehl am Platz in der Nordstadt? Ganz und gar nicht, findet der Künstler. Für ihn hat die Nordstadt ein ganz eigenes kulturelles Potential. „Es kommt neue Kraft aus der Nordstadt. Die Bewegungen hier werden von Studenten getragen und die Multikulturalität ist bereichernd“, sagt der Student. Trotzdem bleiben die Unterschiede zum Süden der Stadt: „Momentan haben wir auf der einen Seite die Armen und auf der anderen die Reichen.“

Potential mit Schwierigkeiten

Rund einen Monat braucht der Student für die Konstruktion. Foto: Jasmin Assadsolimani

Rund einen Monat braucht der Student für die Konstruktion. Foto: Jasmin Assadsolimani

Diese Entwicklung habe sich zuletzt weiter verschärft, bestätigt Christa Reicher, Professorin für Stadtgestaltung an der TU Dortmund. Sie analysiert die Nordstadt seit Langem. „Das Nashorn für die Nordstadt“ hält sie für einen Schritt in die richtige Richtung, sieht aber auch die Probleme: „Das Image der Nordstadt umzukehren, das schon so lange Bestand hat, ist sehr schwierig.“ Auch wenn immer mehr Studenten in das angebliche Viertel ziehen, könne von einer Umstrukturierung keine Rede sein. Die Nordstadt kämpft weiterhin mit Drogenproblemen, Konflikten zwischen verschiedenen Nationalitäten und der Konzentrierung einzelner Bevölkerungsgruppen. Christa Reicher hofft, dass mit dem Projekt ein Diskurs angestoßen wird. „Aber nicht jedes Konzept kann so Impulswirkungen aussenden, wie man es sich wünscht. Aber wenn es gut gemacht ist, kann es durchaus funktionieren“, sagt sie. 

Vernissage am 31. Oktober

Nach seiner Fertigstellung soll das Nordstadt-Nashorn am 31. Oktober 2015 in die freie Wildbahn entlassen werden. Mit musikalischer Begleitung wird die Skulptur ab 17 Uhr zum Nordmarkt transportiert und dort ausgestellt. Nachts kommt es jedoch wieder in die heimische Galerie.  

Doch nicht nur die Probleme der Nordstadt werden in Felix Meermanns Kunstwerk thematisiert. Während sich die Nashörner in der Innenstadt in massivem Kunststoff wind- und wetterfest zeigen, soll sein Papp-Dickhäuter zwar nicht dem Wetter, aber den Regeln der Kunst trotzen. „Es ist ein Grundbedürfnis der Kunst, etwas für die Ewigkeit zu schaffen“, erklärt der Student. Was ihn reizt, ist die Flüchtigkeit, das Vergängliche. Denn nur das errege Aufmerksamkeit – an das Bleibende sei das betrachtende Auge gewöhnt. Wenn sein Projekt als Kritik zu verstehen ist, dann als „Kritik am Kunstmarkt“, sagt er. Der immer mehr auf Kommerz ausgelegten Kunstwelt soll sein Nashorn ein Schnippchen schlagen. Aus einem wertlosen Material eine Skulptur zu bauen, die für den Gebrauch ungeeignet scheint und nicht zu kaufen ist, macht die Kunst zum Selbstzweck. 

Kunst ohne Plan

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Beim Werkeln kann man Felix in der Nordstadtgalerie über die Schulter schauen. Foto: Jasmin Assadsolimani

Zwei Autoladungen Pappe verarbeitet der Designstudent in seiner Skulptur – Material aus Containern, von Freunden und Möbelhäusern. Die Skulptur wird mittels eines Stecksystems zusammengebaut. Eine klare Vorstellung hatte Felix im Vorhinein nicht. Er arbeitet spontan, entwickelt Konzepte im Prozess. Der Künstler ist überzeugt, detailgenaue Planung hätte den künstlerischen Akt unterbunden: „Inwieweit gibt es in der Kunst überhaupt Fehler? Fehler sind doch nur ein Konstrukt. Es geht mir nicht darum, ein perfektes Nashorn zu kopieren. Spannend ist das, was abweicht.“ 

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