Zu Fuß nach Afrika

Dagobert ist aktuell vielleicht der missverstandendste deutschsprachige Sänger. Immer wieder wird er in die Schlager-Ecke gedrängt, oft fühlt er sich nicht ernst genommen. Doch nicht nur seine Musik wirft Fragen auf.

Auch wenn Dagobert aufrecht sitzt, befinden seine Knie sich noch fast auf Brusthöhe. 1,90 Meter ist er groß. „Aber mit 34 Jahren schrumpfe ich ja mittlerweile“, sagt er mit Schweizer Dialekt und lacht. Jetzt gerade sieht es allerdings komisch aus, wenn er auf der grünen Couch im kleinen Backstage-Bereich des Essener Nachtclubs „Hotel Shanghai“ Platz nimmt. So, als wenn die Welt um Dagobert herum ein wenig zu klein geraten wäre. Dagobert zieht die schmalen Schultern leicht zusammen, legt den linken Arm zögerlich auf die Sofa-Lehne, als wüsste er nicht, was er sonst damit tun sollte. Den ganzen Tag lang hat er im Auto gesessen, ist von Berlin ins Ruhrgebiet gefahren, wo er an diesem Abend des 14. Januar ein Konzert geben wird.

Dagobert im Interview im „Hotel Shanghai“. Foto: Viktor Mülleneisen

Nun sitzt er also auf dem grünen Sofa und tappt mit seinen Zehenspitzen einen Viervierteltakt auf den Boden, während er murmelnd einen Songtext durchgeht. Sitzen, verrät er, tue er nicht so gerne. Lieber läuft er oder er liegt. Aber Singen, das tut er aber am liebsten. Das wird er auch in ein paar Stunden auf der Bühne tun. Über unerwiderte Liebe. Über Bootsfahrten bei Mondlicht. Über Gedanken, die morgens um halb vier kommen. Die Leute werden mitsingen, die Augen schließen, die Hände in die Luft strecken. Dagobert wird glücklich sein. Das ist er eigentlich immer, wenn er Konzerte gibt. Fast schon bedächtig streicht er etwas Staub von seinem glänzenden Pullover in Barock-Optik. Den Bund seiner schwarzen Lederhose ziert eine Gürtelschnalle mit dem Logo der Metalband „Kreator“. Das pomadig-glänzende Haar hat er feinsäuberlich zurückgekämmt. Ein schweizerischer Dandy, der Schnulzen singt. 

Ein Leben in völliger Isolation

Dass Dagobert für manche Menschen zeitweise ein skurriles Bild abgibt, daran hat er sich gewöhnt. Dort, wo sein Name zu lesen ist, ist meist das Wort „Sonderling“ nicht fern. „Ich glaube, das lässt sich einfach nicht vermeiden. Das war schon immer die erste Reaktion auf meine Person – unabhängig von der Musik“, sagt er. Den Umgang mit Menschen, den musste er erst wieder lernen. Nach einer Unterkunft in einem Kellerraum, einem Kulturstipendium über 18.000 Schweizer Franken und einem Kurzaufenthalt in Berlin, zog Dagobert 2005 in ein verlassenes Haus in den Graubündener Bergen. In ein 30-Seelen-Dorf. Eigentlich wollte er dort nur paar neue Songs schreiben. Ein wenig an seiner Musik arbeiten. Er blieb fünf Jahre. Ohne Telefon, ohne Fernsehen, ohne Internet. Die Dorfbewohner mied er, verschanzte sich zu Hause, lebte einfach lieber „asozial alleine“. 

Immer dabei, wenn Dagobert auftritt: Das Leuchtschild mit seinem Namen drauf. Foto: Viktor Mülleneisen

„Das hat auch dazu geführt, dass ich Nachholbedarf in der Kommunikation hatte. Mittlerweile funktioniert das wieder ganz gut. Aber das hat den Eindruck, den ich auf andere mache, schon nachhaltig geprägt. Dass ich mich zunächst einfach nicht so zu verhalten wusste“, sagt er, „Ich glaube, ich bin einfach ein bisschen verwirrend.“ Verwirrend scheint für viele allerdings auch die Musik von Dagobert, der gebürtig Lukas Jäger heißt. Er habe den Schlager für Hipster erfunden, schreiben Medien. Als „Schlager mit Anspruch“ soll er seine Musik einmal selbst bezeichnet haben. „Das ist die infamste Beleidigung, die sich alle voneinander abgeschrieben haben. Würde ich niemals sagen, dass ich so etwas mache“, kontert er. Das, was er macht, das ist kein Schlager. Darauf besteht Dagobert. Nicht, weil er etwas gegen Schlager habe. Für Schlager sei er einfach nicht der Typ.

Niemals will Dagobert arbeiten

Dagobert meint ernst, was er tut. Nicht nur in der Musik. Dass er während seiner Zeit in den Bergen so gut wie nur Reis gegessen hat, ist kein Scherz. Und dass er dort oben, in völliger Isolation, den Plan geschmiedet hat, zu Fuß nach Afrika zu wandern, um dort als Landstreicher zu leben – auch das ist kein Witz. Der erste Gedanke: In Afrika sei es bestimmt schön warm. Da bräuchte er kein Haus, da müsse er keine Miete zahlen. Da könne er einfach draußen schlafen. Damals, da habe er nicht geglaubt, mit seiner Musik jemals erfolgreich zu sein. Gleichzeitig hat er sich geschworen, niemals zu arbeiten. Die Schulzeit habe ihn einfach schon zu fertiggemacht: „Diese Zeit, einfach jeden Tag irgendwas zu machen, das irgendwer einem sagt und das einen überhaupt nicht interessiert. Da wird das Leben irgendwann so richtig sinnlos und man wird so nutzlos. Und Arbeiten habe ich mir genauso vorgestellt.“ Deswegen gab es für ihn nur einen Ausweg: Afrika.
Schon in der Schweiz machte er Experimente, aß und trank eine Woche nichts. „Der Plan klingt kurz erzählt etwas naiv und wahnsinnig, aber ich war damals echt in einem schrägen Film und habe mich da schon drauf eingestellt.“ Mit Büchern hat er sich sogar selbst Suaheli beigebracht:

 

Durchkreuzt wurde dieses Vorhaben von einem Plattenvertrag. Er ging zurück nach Berlin. 2013 erschien sein Debütalbum, benannt nach ihm selbst. Zwei Jahre später folgte die zweite Platte „Afrika“, auf der er im Titelsong genau diesen Plan besingt. Die Kritiker lobten ihn hoch, doch gewinnbringende Verkaufszahlen blieben aus. „Das war ein Riesenflop“, urteilt er, „Die Platte hat die bescheidenen Erwartungen bei weitem nicht erfüllt. Da war ja gar nichts. Da ist einfach nichts passiert mit der Platte.“

Drittes Album soll im Herbst kommen

Für eine eigene Wohnung reicht das Geld nicht. Dagobert wohnt bei einer Freundin. Wenn er etwas auf den sozialen Netzwerken teilen will, geht er in die Bibliothek. Zuhause hat er kein WLAN. Wenn er Termine hat, geht er zu Fuß. Er habe kein Geld für öffentliche Verkehrsmittel sagt er. Wenn er Konzerte gibt, ist das Publikum selten ein großes. Die Frage nach dem Warum beschäftigt ihn jeden Tag, aber er erklärt sich das erst einmal so: „Meine Musik steht ja nicht in einer gewissen Tradition. Als Mensch versucht man ja immer irgendetwas Neues auf etwas Bekanntes zurückzuführen. Das ist in meinem Fall nicht möglich, deswegen muss man ein bisschen länger zuhören, um zu verstehen, was da eigentlich abgeht.“

2016 war er fleißig. Viel mehr Musik als für ein Album nötig ist, habe er aufgenommen. Im Herbst soll sein dritter Langspieler rauskommen. Wenn alles nach Plan läuft. Viel zu sagen gäbe es dazu noch nicht, nur, dass es einige „einschneidende Veränderungen“ im Sound gäbe. Dagoberts Zukunftspläne sind nicht zu klein. „Also ganz ehrlich ich finde: Die Songs, die ich mache könnten schon Arenen füllen“, sagt er. Ob ihm das mit dem dritten Album gelingen wird, weiß er nicht. Aber selbst wenn nicht, dann sei das auch nicht schlimm: „Wenn es dazu kommt, dass sich viele Leute an meiner Musik freuen, dann kann ich das auch immer weitermachen. Sonst muss ich irgendwann mal aufhören, weil ich in Schulden ertrinke. Was dann aber auch okay ist, weil ich habe dann ja trotzdem immer das gemacht, was ich wollte.“

Und der Afrika-Plan stehe ja auch noch. Irgendwie werde er sich schon durchschlagen. Er kann ja Suaheli.

Beitragsbild: flickr.com/Flo Köhler mit CC-Lizenz

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