Der Breitmaulfrosch: Glühweinkrampf

BreitmaulfroschOb Glitzerbärte, grüne Smoothies oder hippe Fummel aus der Mottenkiste – über Kunst, Lifestyle, Mode und Kultur lässt es sich gut das Maul zerreißen. Besonders gut kann das der Breitmaulfrosch, der in dieser Kolumne über merkwürdige Trends wütet – dabei nimmt er kein Seerosenblatt vor den Mund. Heute schreibt er frisch aus dem Fresskoma. Die letzten Wochen auf dem Weihnachtsmarkt: Ein Drama in vier Akten.

Die erste Kerze brennt

Draußen regnet es in Strömen, die Halloween-Deko hängt noch überall, Oma schimpft, warum es denn jetzt schon Lebkuchen geben muss. Egal. Sobald die erste Kerze am Adventskranz angesteckt ist, ist für den Breitmaulfrosch Weihnachten. Nach wenigen Stunden erinnert der Weihnachtsmarktgast an einen besinnlichen Piraten. Statt der Hakenhand klebt die Glühweintasse wie ein zusätzliches Körperteil am Handgelenk, die traditionellen Lieder sprudeln ganz selbstverständlich zwischen den roten Lippen hervor. An den Essensständen wird alles geplündert! Gut, teuer ist es schon. Aber egal, Augen zu und Karte durch und überhaupt: Alkohol! Zucker! Lichter! Jingle Bells! Schön!

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Vom Geist der Weihnacht in den Bankrott getrieben. Foto: Susanne Romanowski

Die zweite Kerze brennt

Spätestens in der zweiten Woche weicht die Hysterie einem gelasseneren Blick auf diese abendliche Beschäftigung. Der Breitmaulfrosch weiß, wo es den besten Glühwein gibt, nämlich nicht auf dem Weihnachtsmarkt. Dafür weiß er auch, dass er an allen Ständen gleich schmeckt und dass er an allen Ständen nach zwei Tassen gleich zufrieden macht. Mittlerweile hat er für jedes Familienmitglied eine Kerze und ein graviertes Frühstücksbrettchen, die Geschenke sind also auch abgehakt. Kurz vor der alljährlichen Geburt Jesu steht der unchristlichen Völlerei nichts mehr im Wege.

Die dritte Kerze brennt

Eine weitere Erkenntnis: Den Weg zur ärztlichen Untersuchung kann er sich sparen. Beim Anblick der gebrannten Nüsse, Mandeln und Kerne blutet jedem (angehenden) Allergiker das Herz. Wem die Nüsse nichts ausmachen, den erwartet eine andere nervliche Belastung: Lebkuchenherzen und ihre hasserfüllenden Aufschriften von „Zaubermaus, ich liebe dich“ bis hin zu „Kleiner Racker“ oder schlicht „Scheißer“. Der Breitmaulfrosch zieht seinen Schal enger an sich und geht bedächtig an den Botschaften vorbei, jedes Lebkuchenherz eine post-mortem-Gedenktafel für den guten Geschmack.

Die vierte Kerze brennt

Drei Lumumba später ist dem Breitmaulfrosch schlecht. Tief durchatmen, nicht zu genau ins Portemonnaie schauen, eine Runde spazieren, dann müsste es wieder gehen. Kurz vor der riesigen Tanne auf der Mitte des Weihnachtsmarktes überkommen den übermütigen, betrunkenen Gast düstere Gedanken. Wie groß der Baum ist, wie klein die Menschen darunter, wie unbedeutend. Vom Glühwein zum Burnout. Last Christmas tönt unheilverkündend aus dem kaputten Lautsprecher, ein Paar prügelt sich vor dem Dekostand, und dann diese verdammte Edeka-Werbung im Kopf. Im Rucksack klackern die vielen Glühweintassen aneinander. Zeit, nach Hause zu gehen. Pünktlich zum „Letzte Runde, Leute!“ stellt der Breitmaulfrosch ein halbes Teeservice auf die Theke. Von dem Geld gibt es Heiligabend mal richtig guten Glühwein. Und ein peinliches Lebkuchenherz für jeden.

Beitragsbild: Helena Brinkmann

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