Filigrane Kunst am Nagel

Von Lena Seiferlin und Paloma Lozano Gallego

Schon seit einigen Jahren rennen Frauen den Nagelstudios der Republik die Türen ein, wollen längere Fingernägel, weißere Spitzen, weiblichere Hände. Doch auch Muster und Bilder werden bei den Kundinnen immer beliebter – die Kunst am Nagel ist Trend. Marina, Studentin der International School of Management in Dortmund, hat den Trend bisher nicht mitgemacht. Für pflichtlektüre ließ sie sich auf das Abenteuer Nailart ein.

Statt fiesem Acetongeruch wehen Marina am Eingang des Studios Duftschwaden aus Vanille und Rosen entgegen. Die Erasmus-Studentin aus Valencia betritt zum ersten Mal in ihrem Leben ein Nagelstudio. „Das ist ja riesig hier“, sagt sie. Doch es herrscht eine warme und gemütliche Atmosphäre. In den kommenden eineinhalb Stunden wird eine Designerin der „Sexy Nails Company“ am Westenhellweg in der Dortmunder Innenstadt MarinasFingernägel kunstvoll verlängern und verzieren. Für Marina ist die „Nagelkunst“ neu. Duft und Atmosphäre überraschen sie. Die „Sexy Nails Company“ setzt mit weichen Sofas in hellen Farben auf Wohfühl-Klima. An der Wand kleben verschnörkelte Muster in lila und pink, Kreise und Sprüche. „Richtig bequem“, befindet auch Marina.

Kunst auf kleinstem Raum

Nach einer kurzen Wartezeit darf Marina an einem der ungefähr 15 Tische im Raum Platz nehmen. Dicht an dicht stehen die schmalen, weißen Tische aneinander, alle sind besetzt und an jedem leuchtet eine helle Neonröhre. Die Brasilianerin Patrizia ist Teil des Nagelstudio-Teams. „Was willst du auf deinen Nägeln haben?“, fragt sie Marina. Die kennt sich jedoch überhaupt nicht aus, will sich überraschen lassen und überlässt Patrizia die Qual der Wahl. Ihre Kundin glaubt zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass Nailart wirklich Kunst sein kann: „Meine Nägel sind viel zu klein, wie soll sie darauf ein Bild oder ein Muster malen?“ Marina ist skeptisch, will aber trotzdem das Versuchskaninchen spielen. Auch mit Sprachbarriere zwischen Marina und Patrizia sind die Anweisungen leicht zu verstehen: Zu Beginn soll Marina die Hände auf eine Stütze legen, wo ihre Nägel behandelt werden.

Patrizia, mittlerweile mit Mundschutz und Handschuhen ausgerüstet, entfernt zunächst den alten Nagellack und schnappt sich dann etwas, das aussieht wie ein viereckiges Stück

Styropor, den sogenannten „Buffer“. Daran sind verschieden grobe Feilen, mit denen die Nagelkünstlerin abgestorbene Haut und die obere, dünne Nagelschicht abfeilt. Fühlt sich das nicht komisch an? „Überhaupt nicht“, erklärt Marina, „ich finde es hier total bequem und Patrizias Hände sind echt geschickt.“ Außerdem erläutert die Designerin während der ganzen Prozedur immer, was sie tut: „Die Nägel an der rechten Hand werden mit Gel verlängert“, sagt sie und reinigt Nägel und Finger vom abgefeilten Staub. „Links gibt es eine Nagelverlängerung mit Tip“, fügt Patrizia hinzu. So kann Marina nachher wählen, welche Variante ihr besser gefällt.

Tips, Gel und immer wieder UV-Licht

Tips, so heißen die superlangen Kunstnägel aus Silikon, die die Naildesignerin auf die echten Nägel klebt. Zuvor muss Patrizia jedoch die entsprechende Größe für jeden Nagel finden. Nachdem sie die künstlichen Spitzen auf Marinas eigene Nägel geklebt hat, kürzt sie die langen Krallen mit dem Nagelknipser auf die gewünschte Länge. Nachdem die Fläche hinter der Spitze mit Gel aufgefüllt wurde, kann die Hand im UV-Härter verschwinden. Der wirkt etwas futuristisch: ein kleiner weißer Kasten, aus dessen Öffnung es bläulich leuchtet. Das UV-Licht härtet Kleber, Gel, Lacke und Farben, und Marina muss ihre Hände nach jedem Teilprozess bestrahlen lassen.

Während die Nägel der einen Hand nun antrocknen, nimmt sich Patrizia die Rechte vor. Hieran sollen Gel-Nägel entstehen, wozu Patrizia kleine gelbe Schablonen um die Fingerspitzen klebt. Mit einem kleinen Pinsel füllt sie den von der Schablone vorgegebenen Bereich mit speziellem Nagel-Gel aus. Nach dem Daumen geht es auch für die rechte Hand in den UV-Härter. „Das könnte jetzt etwas brennen“, warnt Patrizia ihre Kundin vor, „dann musst du noch einen kleinen Moment warten“. Doch nichts brennt oder schmerzt, Marina findet sogar, dass sich die neuen, noch unfertigen Gel-Nägel „richtig bequem“ anfühlen.

Die linke Hand darf sie nun wieder herausnehmen und auf die Stütze legen. Patrizia feilt sowohl Nagelspitzen als den kleinen Huckel aus Gel in die richtige Form: kürzer, flacher, natürlicher. Dann kommt die erste Schicht Klarlack drüber und wieder verschwindet die Hand im Härter. Rechts hingegen wird zunächst die Schablone von den Fingern gezogen. Danach können auch die Gel-Nägel so lange gefeilt werden, bis sie wie echt wirken. „Sie sehen aus, wie aus Glas“, befindet Marina nach dem minutenlangen Feilen. Auch auf das Gel streicht die Nageldesignerin die erste Schicht Klarlack.

Präzision und Geschicklichkeit

Nach und nach werden nun alle zehn Fingernägel einer French-Manicure-Prozedur unterzogen. Dabei malt Patrizia den obersten Rand mit weißer Acrylfarbe an, lässt diese trocknen, und lackiert dann wieder klar über den ganzen Nagel. Immer trocknen und härten die Nägel der einen Hand, während die der anderen bearbeitet werden. Marina gefällt schon jetzt die Version mit der Schablone besser: „Ich finde die Variante sieht natürlicher aus. Aber ja, beides ist eine Kunst“, sagt sie entschieden. Obwohl die Verlängerung der Nägel geschafft ist, fehlt noch das eigentliche Kunstwerk. Wiederum mit einem schmalen Pinsel bestreicht Patrizia die weißen Spitzen mit feinem Glitzerstaub. Konzentriert und ohne zu zittern tut sie das, und diese Ruhe überträgt sich auch auf Marina. Die hat regelrecht Angst zu wackeln oder eine unkontrollierte Bewegung der Finger zu machen.

Nach kurzer Trocknungszeit nimmt Patrizia noch einmal die Feile zur Hand, um die neu entstandenen Huckel auf den Nägel flach zu feilen und so den natürlichen Look wiederherzustellen. Mit einem millimeterdünnen Pinsel, unendlicher Präzision und Geduld malt sie eine klitzekleine Blüte auf den Ringfinger-Nagel. Marina wagt indes kaum zu atmen, so filigran ist das Bild. Fliederfarbene, weiße und schwarze Acrylfarbe ergeben das Bild einer Blume, in deren Mitte Patrizia als Höhepunkt einen kleinen Glitzerstein setzt.

„Ich hätte vorher wirklich nicht gedacht, dass ein so schönes Bild auf einem meiner Nägel entstehen könnte“, staunt Marina nach der letzten Trocknungsphase. Begeistert betrachtet sie ihre verlängerten und lackierten Nägel. In fast eineinhalb Stunden entstand ein Kunstwerk, das jedoch alle drei oder vier Wochen erneuert werden muss. „In dieser Zeit wachsen die Nägel so weit nach, dass die künstliche Verlängerung nicht mehr schön aussieht“, weiß Patrizia. Sie erklärt aber auch, dass eigentlich jede Länge möglich ist. Außerdem bietet das Nagelstudio viele verschiedene Bilder, Muster, Animalprints und mehr an. Künstlich und künstlerisch liegen beim Nägel gestalten direkt beieinander, doch auch nur die Verlängerung oder nur das Muster sind möglich. Kleiner und Präziser geht es in der Kunst jedoch kaum.(Fotos: Lena Seiferlin)

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